Alben der Woche:Lieder für temporäre Seelenschieflagen

Sven Regener verkündet auf dem neuen Album seiner Band "Element of Crime" zähe Heilsbotschaften. Und Cat Power verliert sich konsequent selbst.

Phosphorescent - "C'est La Vie" (Dead Oceans)

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(Foto: Dead Oceans)

Der Mond hängt immer noch ganz besonders schön schief über dem sphärischen Synthie-Country von Matthew Houck. "C'est La Vie" (Dead Oceans) ist schon das siebte Album des US-amerikanischen Indie-Musikers, das erste aber nach seinem kleinen großen Durchbruch mit "Muchacho" vor fünf Jahren. Houck, der seit 2001 unter dem Pseudonym Phosphorescent musiziert, zählt zu der in jüngster Vergangenheit doch etwas ausgedünnten Spezies der weltschmerzenden Bart-Männer mit Gitarre. Wie auch Avantgarde-Tüftler Bon Iver operiert Phosphorescent an den Rändern eines eigentlich eher konservativen und Veränderung fürchtenden Genres. Der Wandel, er kommt im Kleinen und Unscheinbaren, zum Beispiel wenn Houck in "Christmas Down Under" seine Stimme so hochpitcht, dass sie mit dem Sound der zäh vor sich hin leidenden Pedal-Steel-Gitarre verschmilzt. Das ist natürlich weniger umstürzlerisch gedacht als Bon Ivers genrebrechenden Kanye-West-Kollaborationen. Einen so wundervoll direkt aus dem übervollen Herzen herausgeschwoften Tropical-Country-Gospel wie "New Birth in New England" kriegt der aber auch nicht hin.

Cat Power - "Wanderer" (Domino)

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(Foto: Domino)

Charlyn Marie "Chan" Marshall, besser bekannt als Cat Power, ist die große Selbstverneinerin der US-amerikanischen Indieszene. Eine Musikerin, die sich für die Präsenz in ihren eigenen Songs beinahe zu entschuldigen scheint. Auf "Wanderer" (Domino), ihrem zehnten Album,vereint sich dieser musikalische Fluchtinstinkt mit der Geschichte einer Popkultur. Eine uramerikanische Platte, Songs, die davonlaufen, vor dem Alten, dem Stillstand, der Vergangenheit. Eine Platte im Geist der Wanderer, der Folk-Hobos und Güterzugspringer, der Blues-Prediger und Gospel-Reisenden, eine Platte im Geiste Woody Guthries und Bob Dylans. Im wundervoll schlingernden "Horizon" lässt Cat Power zuerst ihre Familie am Horizont verschwinden und zerbröselt dann mit elektronischen Hilfsmitteln ihre Stimme. Alles löst sich auf, der Song, seine Geschichte, das ganze Land. Konsequenter hat sich Cat Power noch nie verloren. Und noch nie klang sie mehr nach sich selbst.

Element of Crime - "Schafe, Monster und Mäuse" (Vertigo Berlin)

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(Foto: Vertigo Berlin)

"Grausam ist der Haifisch und grausam warst auch du". Gleich der erste Satz auf "Schafe, Monster und Mäuse" (Vertigo Berlin), dem neuen Album von Element of Crime, ist einer dieser tollen, holzhammerigen Sven-Regener-Vergleiche. Zwei Sätze, die kausal nichts miteinander zu tun haben, und die deshalb die Schwere ihres Inhalts (in diesem Fall: die Grausamkeit) noch einmal unterstreichen. Ja, Sven Regener und seine Band machen auch 2018 das, was sie seit jetzt nun mehr 33 Jahren wirklich gut können: Lieder für und über temporäre Seelenschieflagen schreiben. Zum typischen Element-of-Crime-Sound, irgendwas zwischen Chanson, Mariachi, Schifferklavier, Psychedelic und Folk, heißt es auf "Bevor ich dich traf": "Da drüben war mal ein Wienerwald, den gibt es schon lange nicht mehr." Schon im Song darauf aber wird verkündet: "Da ist immer noch Liebe in mir." Zwischen diesen beiden Sätzen spannt sich die ganze Regenersche Lebensphilosophie auf: Früher war da irgendwas, das heute nicht mehr ist. Ein Restaurant, eine Frau, ein Leben. Aber, und das ist die Heilsbotschaft Regeners, irgendwas anderes ist dafür immer noch da. "Jetzt bloß nicht weinen, da kommt doch nur Wasser". Emotionale Zähigkeit ist der Kern dieser Protestplatte. Eine Existenz gegen Widerstände. Es geht nicht darum, dass man ist. Sondern, dass man trotzdem ist.

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