Alben der Woche:Mehr Carsten Maschmeyer als Public Enemy

Farid Bang ist weiterhin ein neureicher Kapitalismus-Kasper. Fynn Kliemann bringt archetypischen Deutsch-Pop-Rap-Soul - in ganz gut. Und Diplo? Macht jetzt Country.

Flying Lotus - "Flamagra (Instrumentals)" (Warp)

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(Foto: Warp Records)

Stephen Ellison alias Flying Lotus bringt mit "Flamagra (Instrumentals)" (Warp) eine instrumentale Version seines Albums "Flamagra" aus dem vergangenen Jahr heraus. Das könnte zur Mutmaßung verleiten, der Funk-Jazz-Electronica-Produzent aus Los Angeles wolle ein bisschen vom gesteigerten globalen Bedarf nach fluffig im Hintergrund durchlaufender Home-Office-Bedudelung in Zeiten von Covid-19 profitieren. Zu viele Vocals stören ja nur bei der Konzentration auf Heimarbeit, vor allem wenn man parallel noch die ganzen Corona-News zu prozessieren versucht. Easy-Listening-Streaming ist also gefragt! Ellison schaltet die Gesangs- und Rap-Spuren stumm, die zur Originalversion seines Albums von Anderson.Paak, Little Dragon, Solange und vielen anderen beigesteuert wurden. Übrig bleiben seine tollen, mal stolperig-fiepsigen, mal bestimmt schiebenden Kopfnicker-Tracks. Sie halten perfekt die Balance zwischen Anspruch und Klangteppich. Wobei komischerweise ausgerechnet David Lynch weiterreden darf. "Fire Is Coming" heißt der Track, in dem der Regisseur zu nervösesten, Footwork-inspirierten Beats eine kleine Noir-Geschichte über einen Jungen in Kalifornien erzählt, der einen rapide heranwehenden Waldbrand beobachtet und "Mama! Mama!" ruft. Und das ist dann gar mehr nicht so entspannend.

Christian Lee Hutson - "Beginners" (Anti)

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(Foto: Label)

Fans von Phoebe Bridgers kennen ihn schon von ihren Instagram-Posts: ihren Kumpel Christian Lee Hutson. Der Songwriter aus L.A. hat zuletzt Songs zu ihren fantastischen Projekten boygenius und Better Oblivion Community Center beigesteuert. Jetzt veröffentlicht er sein neues Album "Beginners" (Anti). Produziert von Indie-Darling Bridgers höchstpersönlich. In Hutsons Texten tritt immer wieder sein subtiler Humor hervor, etwa wenn er sich und seinen besten Freund zu Schulzeiten beschreibt als "Morrissey apologists / Amateur psychologists / Serial monogamists". Und der ohnehin schon herrlich traurige Song "Unforgivable", geschrieben aus Sicht eines Schlussmachenden, wird durch die zarte Trompete noch trauriger.

Pauls Jets - "Highlights zum Einschlafen" (Lotterlabel)

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(Foto: Label)

Schon zu ihrem letzten Albumtitel "Alle Songs bisher" wollte man Pauls Jets aus Österreich einfach nur gratulieren. Das gilt auch für das neue Album der Band, "Highlights zum Einschlafen" (Lotterlabel). Was hier aufs erste Hören etwas wolkig und seicht wirkt, entwickelt nach und nach eine schöne, somnambule Stimmung. Das liegt an der Stimme von Sänger Paul Buschnegg, der mit seinen rätselhaften Texten in wundersame Welten entführt, wo zum Beispiel "alles für die Fische" ist. Man steht am Ende etwas ratlos vor einer Shoegaze-Wand, aber das muss ja nichts Schlechtes sein. Musikalisch bewegt sich das Album zwischen Indie-Rock, Synth-Pop und Reinhold Messner (kein Witz, es wird aus seinem Tagebuch zitiert!). Und wenn Buschnegg in einem Slow-Motion-Schieber singt, wie sein "Herzchen klopft" und er schüchtern fragt: "Möcht'st du mit mir eine Trap-Band gründen?", dann kann man gar nicht anders, als diese Band in sein Herzchen zu schließen.

Diplo - "Diplo Presents Thomas Wesley Chapter 1: Snake Oil" (Mad Decent)

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(Foto: Label)

Am Anfang hat man den Cowboyhut noch als lächerliches Bro-Gimmick abgetan. Mittlerweile ist klar, dass es der amerikanische Produzent und DJ Diplo ernst meint: Er ist in seiner Country-Phase angekommen. Hätte man nach seinem höchst erfolgreichen EDM-Geballer mit Kumpel Skrillex nicht unbedingt erwartet. Aber Diplo wäre nicht der Hit-Macher, der er ist, wenn er nicht den Zeitgeist checkte - und der steht auf Country beziehungsweise Crossover, wie es auch der Country-Trap-Gassenhauser "Old Town Road" von Lil Nas X ist. Der Diplo-Remix des Hits ist auf dem neuen Album "Diplo Presents Thomas Wesley Chapter 1: Snake Oil" (Mad Decent) zu finden. Darauf sind Popstars wie die Jonas Brothers genauso vertreten wie etablierte Country-Stars. Der Twang wird mit Trap gepimpt, es wird über flott trabenden Elektro-Pop-Beats gesungen, gepfiffen, gefiddelt. Das alles ist super catchy und chartstauglich. Aber natürlich nicht so wegweisend wie Diplos frühe Sachen, als er den brasilianischen Baile Funk in die USA brachte. Trotzdem: Jede Art von Diversität tut dem immer noch vornehmlich weißen und konservativen Country-Genre gut. Mit Lil Nas X, Blanco Brown und dem Rapper Young Thug sind hier drei Afroamerikaner vertreten. Wie Diplo sagt: "My kind of country will unite us all."

Farid Bang - "Genkidama" (Warner)

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(Foto: Warner)

Glaubensfrage I: Hält irgendwer deutschen Gangsta Rap denn immer noch für das Widerstandsgebrüll irgendwelcher Underdogs? Für eine Form von Rebellentum gegen ein diskriminierendes System? Denjenigen sei das neue Album von Farid Bang empfohlen. Sie werden es mögen. "Genkidama" (Warner) ist phasenweise mit immer noch beachtlicher Wut und technisch sehr manierlich gerappt. Ein paar der Beats haben außerdem fast Wiedererkennungswert. Alle anderen werden das Testosteron-Gekläffe, die leeren Provokationen, den aus den finstereren Zeiten des vergangenen Jahrhunderts herübergeretteten Frauenhass und vor allem das immer hohlere Gewedel mit immer teureren Statussymbolen ("Seit wann ist man reich mit einer Rolex-Uhr?") als das empfinden, was es schon immer war: das neureiche Herumgehampel idealtypischer Kapitalismus-Jünger. Farid Bang ist, war und bleibt mehr Carsten Maschmeyer als Public Enemy.

Fynn Kliemann - "Pop" (twoFinger Records )

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(Foto: dpa)

Glaubensfrage II: Reicht es, etwas weitgehend Bekanntes einfach einen Tick schlauer, eine Idee leidenschaftlicher, eine Spur tiefer empfunden zu machen, damit es gut ist? Fynn Kliemann macht recht archetypischen Deutsch-Pop-Rap-Soul, aber an ein paar Stellen, vielleicht sogar an ein paar entscheidenden, schlägt er schöne Haken - und denkt, schreibt, klingt ein paar Grad verzogen. Raut die Oberfläche ein Bisschen auf. Ein kleines Bisschen. Wer mit Zeilen wie "Wenn wir nicht mehr wissen, wo wir sind, sind wir da" etwas anfangen kann, wird an "Pop" (twoFinger Records) viel Freude haben. Alle anderen eher nicht.

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(Foto: Jens Kalaene/dpa)

Für eine Sache muss man Farid Bang (der etwas weniger trainierte rechts) danken: Seit er zusammen mit Kollegah (l.) grauenhaften Stumpfsinn über KZ-Insassen gerappt hat, gibt es immerhin den Echo (mitte) nicht mehr. Danke.

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