Alben der Woche:Ein Internetwitz auf Albumlänge

Dendemann ist der größte lebende Wortspieler, aber leider nicht der zielsicherste Songwriter. Die Backstreet Boys machen Kita-Bewerbungsmusik und Weezer covern - richtig schlecht.

Die Türen - "Exoterik" (Staatsakt)

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(Foto: Staatsakt (Universal))

Konzeptalben über die Rolle des Mannes im 21. Jahrhundert oder das ewige Spannungsverhältnis zwischen Arbeit und Freizeit, ein Theaterstück über Fußball, stetige Metamorphosen zwischen elektrifiziertem Pop, elastischem Funk und angeschwitztem Rock: Die immens humorbegabte Berliner Indie-Band Die Türen hat über die Jahre schon so einige irre Wendungen hingelegt. Ein knapp zwei Stunden langes Krautrock-Album mit philosophischem Unterbau (Exoterik vs. Esoterik) und extrem minimalistischen Texten hätte man trotzdem nicht erwartet. Ohne jede Vorbereitung hat sich die Band um "Staatsakt"-Labelchef Maurice Summen dafür im Sommer 2018 in die brandenburgische Pampa zurückgezogen. Das am Ende aus sechs Stunden improvisiertem Sound-Material herausgefilterte Ergebnis ist ein ebenso kluger wie witziger Trip. Mal komplett gaga in die Hundeperspektive schlüpfend ("Welthundetag"), mal brillant die Nöte des Künstlerprekariats in drei Worten zusammenfassend: "Miete Strom Gas". Mehr wäre schon viel zu viel.

Weezer - "Weezer (Teal Album)" (Crush Music/Atlantic)

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(Foto: Crush Music)

Wenn man jetzt Geld setzen wollte, an welchem Punkt Menschen mit begrenztem Ironie-Reservoir das neue Weezer-Album allerspätestens abwinken: der Tipp wäre "Billie Jean". Genauer: das "Hoooo", das Sänger Rivers Cuomo über den zu eckig hereinstacksenden Bass herauswinselt. Weil man bis dahin dann aber schon acht Songs gehört hätte, wäre das Intro des Songs der dringend empfohlene Anspieltipp. Bei Sekunde 24 versucht Cuomo sich an seiner Michael-Jackson-Imitation, also ernsthaft, und wer darüber schmunzeln kann, wird den Rest auch überstehen. Wer sich fragt, was das alles soll, warum Weezer also plötzlich klingen, als würden sie (richtig schlecht) die Bates covern, die Jackson covern, der spart sich die Zeit und hört zum Beispiel lieber das neue Dendemann-Album (eine Seite weiter klicken). "Weezer (Teal Album)" ist nämlich ein Cover-Album im stumpfesten Sinne - also ein Nachspiel-Album, was heißt, dass Weezer den Originalen (darunter "Take on Me", "No Scrubs", "Sweet Dreams" und "Paranoid") absolut nichts hinzufügen, außer ein paar mürbe verzerrten Gitarren und spielerisch überfordernden Soli. Tiefpunkt: "Stand by Me". Ach so, wer wiederum mit viel Ironie gesegnet ist: Ursprung des Ganzen ist natürlich die von einem Twitter-Account dereinst geforderte Version von Totos "Africa". Man kann also - ohne bösen Willen - sagen, dass Weezer einen Internetwitz auf Albumlänge herausgebracht haben.

Dendemann - "da nich für!" (Vertigo/Universal)

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(Foto: dpa)

Er ist unter den deutschen Rappern der gewitzteste Reimakrobat. Mit dem Hip-Hop-Duo "Eins, Zwo" und seiner unverkennbar verkratzten Stimme wurde der auch schon 44 Jahre alte Daniel Ebel alias Dendemann in den Neunzigerjahren bekannt. Sein neues Album "Da nich für!" (Vertigo/Universal) ist trotzdem erst sein drittes Soloalbum, das letzte mit dem schönen Titel "Vom Vintage verweht" erschien vor neun Jahren. In der Zwischenzeit war er aber nicht faul, sondern mehrte kongenial seinen Ruhm als musikalischer Leiter von Jan Böhmermanns Comedyshow. Der von manchem erwartete große Dendemann-Wurf ist "Da nich für!" nun aber nicht geworden. Der beste Wortspieler ist eben leider doch noch nicht der beste Rapper und schon gar nicht der zielsicherste Songwriter. Auch die Beats wirken seltsam uninspiriert in Vergangenheit und Gegenwart zusammengeklaubt, bisschen Trap-Narkose hier, etwas Oldschool-Wumms da. Anderseits sind da dann wieder Zeilen, die aus dem Stand so supersmart rund auf Punkt sind, das alles andere auch ganz egal ist: "Ich bin, ich bin - na, wie geht's denn weiter? / kein so tu als ob, nur als ob, nix dabei war / 'n klitzekleiner blitzgescheiter Geistesblitzableiter!" Wen kümmert schon Rap. Der größte lebende Wortspieler deutscher Sprache ist Dendemann!

Backstreet Boys - "DNA" (Sony)

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(Foto: dpa)

Das Grundgesetz des Pop im mittleren Informationskapitalismus: Es hört nie auf und sie kommen alle zurück. Das "letzte Album" ist immer nur das letzte vor dem nächsten "letzten Album" und die "Abschiedstour" nur die Tour vor der nächsten "Abschiedstour". Womit man beim neuen Album "DNA" (Sony) der quintessenziellen Boyband der Neunziger wäre: den Backstreet Boys. Konsequenter wäre es selbstverständlich schon seit einer guten Weile, wenn sie sich Backstreet Dads nennen würden. Das Video zur aktuellen Lead-Single "No Place" ist eine Art Kita-Bewerbungsvideo, alle Bandmitglieder zeigen, was für dufte Väter und Ehepartner sie sind. Mit einem kleinen bisschen Hilfe von einer stattlichen Horde von abgezockten Highscore-Pop-Songwritern und -Produzenten ist der Band mit "DNA" ein vollkommen generisches Album gelungen. Vom ersten bis zum letzten Takt unüberhörbar zeitgenössisch und komplett seelenlos. Fahrstuhlmusik für Fürsten der Finsternis im Feierabendverkehr.

Balthazar - "Fever" (Pias)

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(Foto: N/A)

So somnambul-beschwingt dahinnuscheln wie es der belgische Sänger und Songwriter Maarten Devoldere mal wieder tut auf dem neuen Album "Fever" (Pias) seiner Indie-Pop-Band Balthazar - ach, das können wirklich wenige. Man höre nur den Titelsong "Fever" oder "Phone Number" oder "I'm never Gonna Let You Down Again". Wie Leonard Cohen in seiner besten Zeit, nur nicht so feierlich-sakral, eher verkatert unter einer Discokugel liegend gesungen, wenn alle anderen Partygäste längst zu Hause sind.

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