Alben der Woche:Aus dem inneren Kreis einer flauschigen Hölle

Benjamin Francis Leftwich versucht Unmögliches: "Dankbarkeit" ohne Gesäusel vertonen. Danger Mouse und Karen O schaffen es aus den Nullerjahren ins Jetzt. The Cinematic Orchestra nicht.

Karen O und Danger Mouse - "Lux Prima" (BMG Rights Management/Warner)

1 / 4
(Foto: N/A)

Musikalische Paarungen haben eine lange Geschichte in der Popmusik. Da gibt es die offensichtlichen (Jay-Z und Kanye West) und die unvorhersehbaren, die furchtbar sein können (Sting und Shaggy) oder überraschend gut (Paul McCartney und Rihanna). In letztere Kategorie fällt auch "Lux Prima" (BMG Rights Management/Warner), das neue Album von Karen O und dem Produzenten Brian Burton alias Danger Mouse. Beide haben auf ihre Weise den Sound der Nullerjahre geprägt: Karen Orzolek war Sängerin des New Yorker Art-Punk-Trios Yeah Yeah Yeahs, Burton produzierte Gnarls Barkleys Superhit "Crazy" und war einer der Architekten des Retro-Sixties-Soul, der bald in Pop, Rock und Hip-Hop einsickerte. Ihr gemeinsames Album führt jetzt in eine Welt aus elaborierten Popsongs: Traumgleich sind sie, breitwandig und sehnsuchtsvoll, zugleich eingängig und gespenstisch weit draußen. Immer scheint hinter der nächsten Abzweigung eine große Radiohit-Melodie zu lauern und immer winden sich die Songs doch woanders hin. Am besten ist der neunminütige Titelsong, in dem Danger Mouse Karen Os heiseren Gesang mit allem umspült, was er für seinen schwirrenden Space-Pop braucht: warmen Bass, Streicher und ein Xylophon.

The Cinematic Orchestra - "To Believe" (Ninja Tune)

2 / 4
(Foto: N/A)

Die neue Platte von The Cinematic Orchestra heißt "To Believe" (Ninja Tune) - und ist die erste seit zwölf Jahren. Unter alten Fans des britischen Duos, das von 1999 an mit ihrem Nu-Jazz den Trip-Hop ins neue Jahrtausend hinüberrettete, ist das eine kleine Sensation. Für alle anderen klingt die Platte wahrscheinlich etwas aus der Zeit gefallen: Die Songs sind handwerklich fein gemacht, hängen aber irgendwie auf verlorenen Posten zwischen Jazz und Neo-Klassik: beides Genres, die zwanzig Jahre später aus sich heraus erfolgreich und das für The Cinematic Orchestra typische Zusammenspiel aus Lounge-Atmosphäre und ausgedehnten Orchestersätzen hinter sich gelassen haben. Einzig das geisterhafte Titelstück spielt in der Gegenwart, was aber auch eher am tollen Gastsänger Moses Sumney liegt.

Stephen Malkmus - "Groove Denied" (Domino)

3 / 4
(Foto: N/A)

Stephen Malkmus hat ein Elektro-Album gemacht. Das klingt erst mal irgendwie falsch, der amerikanische Songwriter wurde in den Neunzigern ja vor allem mit dem wattigen Indie-Slacker-Sound seiner Band Pavement bekannt, an dem er seitdem auf Solo-Platten mehr oder weniger weiterschrieb. Nun also "Groove Denied" (Domino), das in krachigen Posen die Synthie-Musik der Achtziger zitiert: "Viktor Borgia" klingt wie die frühen Human League, "A Bit Wilder" wie die noch früheren The Cure, beides nachgespielt auf billigem Equipment. Für ein paar Songs ist das ganz lustig. Und gerade als es anfängt zu nerven, stellt sich alles als Mogelpackung heraus: Fast scheint es, als habe Malkmus den ballerigen Synthie-Einstieg gebraucht, um auf der zweiten Albumhälfte wieder echte Malkmus-Songs zu singen, die diesmal - und mehr als sonst - in Schräglagen kippen: Slacker-Songs, die klingen wie aus den Sechzigern durch ein schrottiges Radio in die Gegenwart gebeamt und wie eine Parodie des Pavement-Sounds. Ein bisschen albern ist das schon, aber auch merkwürdig unterhaltsam.

Benjamin Francis Leftwich - "Gratitude" (Dirty Hit)

4 / 4
(Foto: Dirty Hit)

Vielleicht die größte Gefahr für die ganzen flauschigen Folk-Jungs mit ihren vintage-abgegriffenen Gitarren und vintage-ausgewaschenen Frisuren, mit ihren holzknisternden Licks und ihren wuscheligen Arrangements: die Füllfläche. Die Füllfläche ist ein kleiner Produktionstrick aus dem inneren Kreis einer breitwandig auswattierten Hölle. In der Regel kommt sie zum Einsatz, wenn Songs irgendwas fehlt (meistens tragende Ideen), und man muss unbedingt sagen, dass Benjamin Francis Leftwich ein Meister der Füllfläche ist. In einem ganz und gar unironischen Sinn. Das besondere Mojo des Briten bestand (neben ein paar wirklich zum heulen schönen Refrains) darin, die Füllfläche zu etwas ehrlich Erhebendem zu machen. Jetzt veröffentlich er "Gratitude" (Dirty Hit), sein zweites vollständiges Album, und bei dem ist natürlich der Titel schon verdächtig: Wie, bitte, soll man "Dankbarkeit" denn auch vertonen, ohne säuselnde Chöre? Ohne Melodien wie Kosenamen? Ohne Klaviere wie Daunenbetten? Eben.

© SZ vom 13.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: