Ai-Weiwei-Film:Poesie des Opaken

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Ai Weiwei dringt in seinem Film "Coronation" in das abgeriegelte Wuhan vor, das zu Seuchenbeginn fast hermetisch vor der Außenwelt verschlossen blieb. Man wünscht dem Film vor allem in Deutschland viele Zuschauer.

Von Catrin Lorch

Eine Welt aus watteweißem Einwegmaterial. Overalls knittern durch Krankenhausflure. Draußen schneit es. Wuhan, der Ort, von dem die Corona-Pandemie ausging, wurde nach dem 23. Januar - dem Tag, an dem die Stadt abgeriegelt wurde - zu einem blinden Fleck für unsere Wahrnehmung. Denn die Öffentlichkeit war nicht mehr zugelassen. Es gab kaum Korrespondenten, keine O-Töne, keine Nachrichtenbilder. Und auch in den sozialen Medien konnten die Eingesperrten kaum über den Rand der eigenen Wohnung hinaus schauen, höchstens mal eine nächtliche Einkaufstour im eigenen Viertel dokumentieren. "Coronation", der neue Film des Künstlers und Aktivisten Ai Weiwei, der seit dieser Woche kostenpflichtig auf Vimeo gestreamt werden kann, ist der Versuch zu zeigen, wie es damals war. In China.

Der Film ist als Künstlerfilm aber allein dem Namen und dem Ruf von Ai Weiwei verpflichtet, er schert sich also um journalistische Ethik oder dokumentarische Spielregeln nicht groß. Es gibt keine Zahlen, Kontexte oder Einordnungen. Das Team hat eine Aufnahme an die nächste geschnitten, sie bringen Straßengeräusche mit, Gespräche, das Piepsen von Überwachungsmonitoren. Manchmal sind sie mit warmem Bassbeat unterlegt oder mit traditioneller chinesischer Flötenmusik.

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Dass Ai Weiwei zwei Worte - Corona und Nation - zu einem verschmilzt, das ist sein Kommentar. Man sieht ein Land und seine Krankheit, sieht China durch Corona. Dass dieser Ansatz überzeugt, hat Ai Weiwei den Filmemachern zu verdanken, die er in der abgeriegelten Stadt rekrutieren konnte. Sie hatten nicht nur zu Privatwohnungen und Krankenzimmern Zugang, sondern nahmen Footage auf, die kein Nachrichtenteam je hätte aufzeichnen können: auf Baustellen, auf Intensivstationen, Bestattungsunternehmen. Die Offenheit, mit der die Menschen den Filmemachern begegnen, ist überwältigend: Man begleitet den Autofahrer, der an jeder Verkehrsschranke ein Thermometer ins Gesicht gedrückt bekommt. Steht vor dem Bett von Kranken, Diagnose "Virusinfektion". Sie vermuten, man sperre sie einfach weg, damit ihr Fall die Statistik der Seuchenbekämpfer nicht stört. Man hört dem Sohn zu, der verzweifelt mit Behörden telefoniert, weil er die Asche seines Vaters nicht ausgehändigt bekommt. Sieht die junge Ärztin, die versucht, einen Sterbenden zu beatmen. Das Ende des Lockdowns erlebt man mit einer greisen Funktionärin, die ihrem - filmenden - Sohn erklärt, dass sie lieber die vergilbten parteikonformen Geschichtsbücher schmökert, als die aktuellen Bilder von Polizeigewalt zu verfolgen. Das Doppelporträt - sie mit Lupe und Buch, er mit dem Gadget - zeigt auch das Bild eines Staates, der sich zwischen professionellen Überwachungsmedien und alltäglicher Bevormundung ausbalanciert. Man wünscht dem Film vor allem in Deutschland viele Zuschauer, wo Menschen demonstrieren, weil sie bunte Stoffmasken für die Zwangsmaßnahme einer Corona-Diktatur halten.

Ai Weiweis voriger Flüchtlingsfilm wurde als Ästhetisierung des Elends kritisiert. Und auch in "Coronation" hebt die Kamera zuweilen ab. Doch bleiben das poetische Eingriffe: Momente, bevor Wuhan, diese opake Situation, sich der Kamera wieder bedingungslos öffnet.

© SZ vom 25.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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