Afrikanische Kunst:Flaneur der Ferne

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Félix Fénéon in protopsychedelischem Farbstrudel, 1890 gemalt von Paul Signac. (Foto: Musée d'Orsay)

Das Pariser Musée du Quai Branly würdigt Félix Fénéon, den Kritiker, Freund berühmter Künstler, Literaten und Sammler.

Von Joseph Hanimann

Unsere ganze Verlegenheit beim Umgang mit den Kunstwerken aus ehemaligen Kolonien findet in diesem Mann einen perspektivischen Fluchtpunkt. Dem Pariser Musée du Quai Branly wie dem Berliner Humboldt-Forum könnte er als Symbolfigur dienen. Eine unbequeme allerdings. Denn der 1861 geborene Kunstkritiker, Anarchist, Zeitschriftenherausgeber und Galerist Félix Fénéon war ein Querkopf. Als Dandy des Pariser Fin de Siècle, Mitglied von Stéphane Mallarmés Dienstagsgesellschaft, Vertrauter der Spätimpressionisten, dann von Matisse, Apollinaire und Picasso, Herausgeber von Rimbaud und James Joyce, vor allem aber als Sammler afrikanischer Kunst hat er viele Spuren hinterlassen.

Zum ersten Mal wird diese Figur der Pariser Frühmoderne nun in einer breiten Schau gewürdigt. Das Musée du Quai Branly führt ihn als Pionier der europäischen Entdeckung afrikanischer Kunst vor. Das Musée de l'Orangerie feiert ihn im Herbst als Literaten, Kunstkritiker und Ausstellungsmacher. Und das New Yorker MoMA präsentiert im nächsten Jahr eine Synthese beider Schauen. Dabei war die phlegmatische Entdeckernatur ein Meister des Spurenverwischens. Wie der Literat von seiner frühen Begeisterung für den Maler Seurat, dessen "Badeszene in Asnières" ihn 1884 faszinierte, zur afrikanischen Kunst gelangte, vermag die Ausstellung nicht ganz nachvollziehbar zu machen.

Er engagierte sich gegen den Kolonialismus, doch wie kam er an die Objekte aus Afrika?

Fénéons Karriere begann mit der Kunstkritik. Für die Maler Seurat, Signac, Pissarro brachte er die Bezeichnung "Neoimpressionismus" in Umlauf. Mit einigen von ihnen teilte er auch die anarchistischen Überzeugungen. Nach einem Bombenanschlag vor dem Pariser Senat 1894 wurde er als Verdächtiger festgenommen.

1896 übernahm er als Chefredakteur die Leitung der Literatur- und Kunstzeitschrift La Revue blanche und veröffentlichte dort Texte von Alfred Jarry, Oscar Wilde, André Gide und Paul Valéry. Berühmt wurden auch seine eigenen "Drei-Zeilen-Novellen". Ich, ein Literat? - winkte er in einem Brief jedoch leicht kokettierend ab: "Nicht doch, ich schreibe nichts, habe wohl nie etwas Nennenswertes geschrieben; ich bin nur ein Spaziergänger durchs Reich der Literatur."

Im Mittelpunkt seines Interesses stand, was sich in der Kunstszene tat. Als künstlerischer Leiter der Pariser Galerie Bernheim-Jeune förderte er unter anderen Matisse. Sein Freund Apollinaire schleppte ihn auch in Picassos Atelier auf dem Montmartre, wo die "Demoiselles d'Avignon" auf der Staffelei standen. Ob er dem Maler dabei wirklich zur Karriere als Karikaturist geraten habe, wie dieser später behauptete, bleibe dahingestellt. Ganz so verstörend dürfte der Einfluss der "art nègre" auf die damals neue Malerei für Fénéon jedenfalls nicht gewesen sein.

Seine Vorliebe für afrikanische Kunst war wohl, wie die Ausstellung nahelegt, ursprünglich durch seine frühe antikolonialistische Einstellung motiviert. Seine kritische Natur ließ ihn früh die Widersprüche zwischen humanistischem Diskurs und schierer Machtpolitik der europäischen Kolonialimperien spüren. Ihm schwebte die Gleichstellung aller Völker vor. Bereits 1895 hatte Fénéon für die Revue blanche Persönlichkeiten wie Jules Verne nach ihrer Meinung zu einer Aufhebung aller Rassenunterschiede befragt. 1931 beteiligte er sich an der von Louis Aragon und André Thirion unter dem Titel "Die Wahrheit über die Kolonien" organisierten Gegenveranstaltung zur französischen Kolonialausstellung an der Pariser Porte Dorée.

Unklar bleibt, wann genau diese Vorliebe für afrikanische Kunst und das damit einhergehende Sammeln begann. Schon 1904, wie manche behaupten? Dann wäre Fénéon wirklich ein Pionier gewesen. Oder erst am Ende des Ersten Weltkriegs? Er wäre dann eher einer Mode gefolgt. Immerhin hat er die richtigen Fragen gestellt.

Wird diese "art lointain", diese "Kunst aus der Ferne", wie er sie in Opposition zu den problematischen Bezeichnungen "Primitiven-", "Ur-", "Negerkunst" nannte, eines Tages im Louvre hängen?, fragte er 1920 in dem von ihm lancierten "Bulletin de la vie artistique". 80 Jahre später hat der Louvre mit zwei Sondersälen für afrikanische und ozeanische Kunst die Antwort gegeben. Im Quai Branly, dem 2006, eröffneten Pariser Museum für außereuropäische Kunst, gehört das Prinzip, diese Objekte nicht mehr primär völkerkundlich, sondern als Beispiele des universalen Kunstschatzes zu betrachten, zu den konzeptionellen Grundpfeilern.

Zur Schärfung dieses neuen Blicks hat Fénéon mit seiner Sammlung von über 400 Objekten erheblich beigetragen. Eine große Leistung der Kuratoren ist es, in jahrelanger Arbeit die nach Fénéons Tod 1944 aufgelöste und in alle Welt verstreute Sammlung für die Ausstellung zumindest teilweise wieder zusammengeführt zu haben. Kaum angesprochen bleibt allerdings die Frage, wie der Sammler zu seinen Objekten gekommen war und wie sich sein politisches Bewusstsein sich mit dem Horten solcher "Kunst aus der Ferne" vertrug.

Natürlich war die Zwischenkriegszeit eine andere Epoche als die unsere. Wie Michel Leiris nach seiner Teilnahme an der ethnografischen Forschungsexpedition 1931-1933 zwischen Dakar und Dschibuti in "Phantom Afrika" jedoch durchblicken ließ, weckte das Plündern und der unsensible Umgang mit fremden Kunstgütern bei manchen wachen Geistern aber auch damals schon Unbehagen.

Statuen, Masken und Amulette hingen bei ihm neben Gemälden von Manet und Modigliani

Wertvoll ist die Ausstellung dennoch, weil man nun erstmals dem eklektischen Blick Fénéons auf die afrikanische Kunst folgen kann. Neben kleinen und mittelgroßen Statuen, Masken, Amuletten, geschnitzten Löffeln und Holzreliefs vor allem aus Westafrika war in seiner Sammlung auch Erstaunliches wie eine Auswahl kunstvoll bearbeiteter Webspulen von der Elfenbeinküste. All das hing in Fénéons Pariser Wohnung ebenbürtig neben Gemälden von Manet, Pierre Bonnard, Modigliani und Max Ernst.

Dank seines literarischen Gespürs versah Fénéon seine Sammlungsstücke fürs Inventar überdies mit prägnanten Beschreibungen. Von einer Amazone mit Libellenaugen und "aggressiven Brüsten" ist da etwa die Rede oder von einem Kind, "das Gesicht und Brust auf derselben Seite trägt wie den Hintern".

Mag die facettenreiche Persönlichkeit dieses Mannes in der Ausstellung auch nicht ganz plastisch werden, gewährt diese doch einen guten Einblick in seine Auffassung von Kunst. Schade nur, dass sie enden wird, noch bevor die Parallelausstellung in der Orangerie beginnt.

Félix Fénéon. Les arts lointains. Musée du Quai Branly. Bis 29. September. Katalog 39,90 Euro. Die Parallelausstellung "Félix Fénéon - Les temps nouveaux" ist von 16. Oktober bis 27. Januar im Musée de l'Orangerie zu sehen.

© SZ vom 22.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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