Afrikanische Comedy:Von Liebe und Bankauszügen

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M3nsa und Wanlov The Kubulor sind das Rap-Duo „Fokn Bois“. (Foto: FOKN Inc.)

Gospel-Porn-Rap: Die Politsatire des ghanaischen Hip-Hop-Duos "Fokn Bois"gibt einen guten Einblick in die Realität einer afrikanischen Metropole wie Accra.

Von Jonathan Fischer

Wenn Wanlov und M3nsa, die beiden Rapper des ghanaischen Hip-Hop-Duos Fokn Bois, daheim das Radio andrehen, dann kann es durchaus passieren, dass sie sich Jesus preisen hören. In einer der Guten-Morgen-mit-dem-Herrn-Sendungen, die Accra zusammen mit Open-Air-Gottesdiensten, Straßenpredigern und aus Bussen und Friseursalons dröhnender Gospelmusik mit dem Wort Gottes dauerbeschallen. "Jesus is coming" heißt der Rap. Da schwärmen sie vom "Stab des Herrn". Und mahnen, "auf die Knie zu gehen und sich der heiligen Macht zu öffnen".

Was wie eine Aneinanderreihung willkürlicher Bibelstellen wirkt, verstehen ihre Fans sofort als Sperrfeuer obszöner Anspielungen. "Eine letzte Form von Selbstverteidigung", nennt M3nsa den Song: Was außer Ironie könne noch helfen, um nicht am täglichen Gebets- und Erlösungs-theater zu ersticken, das in Ghana so allgegenwärtig ist.

Die Macht der Religion, die Massenmigration der Jugend oder auch die unhinterfragte Verehrung alles Westlichen liefern dem Duo ihre Kernthemen für ihre lyrischen Angriffe, die auch Außenstehenden aus Europa viel über die gesellschaftlichen Realitäten und Konflikte Afrikas erzählen. Und wenn Kritiker ihnen Versautheit und religiöse Respektlosigkeit vorwerfen, dann haben sie das stolz zu ihrem eigenen Genrebegriff erkoren: "Gospel Porn Rap".

"Jede Situation hat auch ihre komische Seite", sagt M3nsa. "Wir nutzen das als Therapie. Immer ist Gott schuld. Oder der Teufel. Dabei sollten wir über bessere Straßen, funktionierende Schulen und anständige Arztgehälter diskutieren." Ihre Comedy cum Rap fungiere als Sprachrohr eines kollektiven Unbewussten. "Wir rappen, was Afrikaner denken, aber niemals auszusprechen wagen." Im Videointerview aus einem Hotelzimmer in Bordeaux, wo die Fokn Bois auf ihrer Europa-Tournee gastieren, ist dabei nie ganz klar, wo der Spaß aufhört und der Ernst anfängt. Oder umgekehrt.

Religion, Massenmigration und westlicher Konsumwahn geben böse Pointen her

M3nsa, teils in London aufgewachsen, wirkt mit seinem sanften Lächeln wie der verbindlichere Teil der beiden. Sein Partner Wanlov The Kubulor schießt Kommentare aus dem Off. Seine Persianerfellkappe kann man - hello Ceauşescu! - als Hinweis auf seine rumänische Mutter deuten. Tatsächlich schwänzten die beiden - damals noch Emmanuel und Mensa - früher in Accra die Schule, um Raps zu improvisieren. Und wurden 2010 mit dem Pidgin-Musical "Coz Ov Moni" bekannt.

"Wir sind die einzigen schwarzen Rapper, die weiß sein wollen", erklärt Wanlov The Kubulor dann, dessen Künstlername sich aus "One Love" und dem Twi-Wort für "Vagabund" ableitet. "Aber nur von außen", ergänzt M3nsa. Eine Anspielung auf den Song "Wanna Be White", in dem die Fokn Bois erkunden, warum so viele Afrikaner sich die Haut bleichen und das negative Selbstbild übernehmen wollen, das ihnen die Kolonisatoren einst zusammen mit dem Christentum einimpften.

Neben dem Rap gehört subversiver Aktionismus zu ihrem Repertoire. Einmal haben sie auf dem Marktplatz von Accra in Plastikeimern Spenden für Amerika gesammelt. Vorsorglich, wie sie erklären, schließlich gehe die Wirtschaft dort den Bach runter, während das Bruttosozialprodukt in Afrika stetig wachse. In einem anderen Video machen sie sich über das westlich-wichtige Auftreten der heimischen Oberschicht lustig, indem sie in Anzug und Krawatte Felder beackern und auf Bäumen herumklettern.

Auf ihrem jüngsten Album "Afrobeats LOL" knöpfen sich die Fokn Bois neben Migration und Materialismus auch die Untiefen afrikanischer Popmusik vor. Genauer gesagt das Afrobeats-Genre, das sich - im Gegensatz zu Fela Kutis politischer Kampfmusik Afrobeat ohne s - über Tanz und Luxusfantasien definiert und gerade als größtes Exportgut Westafrikas gilt: "Eigentlich", sagt M3nsa, "wollten wir uns nur über die immer gleichen Steig-in-meinen-Ferrari-Videos lustig machen."

Letztendlich ist "Afrobeats LOL" dann aber ein beeindruckendes Meisterstück des Genres geworden. Mit avancierten Club-Rhythmen. Und einem Gastspiel des Afrobeats-Superstars Mr. Eazi. Nur die Texte klingen bisweilen, nun ja, anders: "Leih mir doch ein bisschen Geld und habe Geduld. Eines Tages werde ich reich sein."

Besonders "Account Balance" persifliert den Beziehungsmaterialismus mit lieblichen Chören. "I love you"? Das reicht nicht. Zeig mir deinen Bankauszug.

Wer aber keinen reichen Lover findet, dem bleibt immer noch die Auswanderung. Davon handelt "Abena": Ein afrikanisches Mädchen emigriert mit Hollywood-Träumen nach Amerika. Und gerät in einen Albtraum. Abena benennt sich in Tanja um. "Ta", erklärt Wanlov, bedeutet bei uns "furzen", "nja" übersetzt sich mit "scheißen". Und genauso wird Tanja in ihrer neuen Heimat behandelt: "Um der Armut zu entkommen, geben wir unsere Identität auf und suchen uns im Westen eine vermeintlich bessere." Wenn Donald Trump Afrika vor Kurzem ein "shit hole" genannt habe, würden die Fokn Bois sich ihm anschließen - "zumindest was den geringen Wert menschlichen Lebens betrifft. Und unsere Selbstachtung. Als Ghanaer kommst du mit dem Wissen zur Welt, dass dein ganzes Leben und Lernen einzig und allein dazu dient, später einmal ein Visum zu ergattern".

Homosexuelle als Sündenböcke sind eine Erfindung der allgegenwärtigen Kirchen

Bezeichnenderweise schließt das Album mit "Abena Repatriation". Die Familie beschwört ihre Liebe zur ausgewanderten Tochter, sie solle zurückkommen, in der alten Heimat könne sie bestimmt stressfreier leben. Aber - und diesen Part kennen afrikanische Emigranten nur allzu gut: Vergiss nicht, uns das neueste iPhone und ein Smartbook mit Retina-Erkennung mitzubringen!

Hat solche Politsatire Tradition in Afrika? Die traditionellen Griots, sagt M3nsa, könnten sich im Gegensatz zu Rappern höchstens sehr verklausulierte Kritik an den Mächtigen leisten. Dafür schätzt er die erfrischende Respektlosigkeit etwa des nigerianischen Schriftsteller Chinua Achebe und dessen Klassiker "Things Fall Apart". Oder, natürlich, Fela Kuti: Wie er sich mit vielen Amens über Politik und Religion ("Shuffering and Shmiling"), über Hautbleichmittel ("Yellow Fever") und gewissenlose Soldaten ("Zombies") lustig macht. "Fela war da sehr direkt. Wir spielen unsere Pointen viel subtiler aus." Etwa in "Thank God We're Not A Nigerians": Manche ghanaische Radiostationen spielen den Fokn-Bois-Song als Kommentar, wenn das Nachbarland mal wieder von einer Katastrophe, etwa einem Boko-Haram-Bombenanschlag, heimgesucht wird. Ein Missverständnis. Wanlov erklärt ihn vielmehr zur "Antwort auf die grassierende Mode unter ghanaischen Jugendlichen, die Redensarten nigerianischer Popstars zu kopieren". Als sie in Fela Kutis "Shrine" in Lagos auftraten, hatten sie den Song vorsichtshalber nicht auf der Setliste. Bis ihn 7000 Zuschauer lauthals einforderten. "Der Clou war, dass die Nigerianer jedes Wort mitsangen, aber den Refrain abänderten: 'Thank God we are not a Ghanaians'".

Ob die Fokn Bois bei allem Maulheldentum keine Repressionen fürchten? Ihr Vorbild Fela Kuti wurde immerhin vom nigerianischen Militär mehrmals zusammenschlagen und ins Gefängnis gesteckt. Nein, sagt M3nsa. Der ghanaische Präsident lasse Kritiker zwar durch inoffizielle Milizen verprügeln. Aber als Künstler seien sie zu bekannt - und die Regierung sei zu sehr um ihren internationalen Ruf besorgt.

Wanlov: Dafür kennen wir es nur allzu gut, dass Leute mit Messern aus ihren Autos springen und uns zur Rede stellen: Warum habt ihr diesen oder jenen Song gemacht?

M3nsa: Erinnerst du dich daran, wie uns die Rastas wegen einer One-Love-Satire mit abgebrochenen Bierflaschen die Schädel rasieren wollten?

Wanlov: Gewisse Nachbarschaften in Accra haben uns nach unserem Song "Sexin Islamic Girls" sogar mit einem Bann belegt. Wir fragen uns in dem Song, ob Muslime - anders als die dauernd über Sex redenden Christen - ihren Spaß eher im Geheimen ausleben.

M3nsa: Vor Ort wollten die Leute dann lieber mit uns Fotos machen. Besonders die muslimischen Frauen verstanden, dass es eine Hommage an sie war, ein Aufruf zur Selbstermächtigung ..

. M3nsa: Am schlimmsten fielen die Reaktionen auf unseren Song "Strong Homosexual Guys" aus. Einige Hörer drohten, uns glühende Stäbe in den Anus zu schieben ..

. Wanlov: Und das nur, weil wir die Menschenrechte auch für Schwule einfordern.

"Strong Homosexual Guys" spielt mit all den irrationalen Ängsten, die das Thema in Westafrika (und einem großen Teil der Welt) produziert: "We don't fear guns/ we don't fear knives/ we just fear strong homosexual guys". Im dazugehörigen Video geraten die beiden Rapper in einen Schwulenclub zwischen händchenhaltende Männern. "Der eigentliche Skandal", sagt M3nsa, "ist doch die Kriminalisierung deiner privaten Sexualität, während wir in einer Gesellschaft leben, in der sich die Regierung nicht unserer Nöte annimmt. Und unsere Ohnmacht und Wut lassen wir dann ersatzweise an einer schwachen Minderheit aus." Die Verteufelung Homosexueller gehe heute von den Kirchen aus - eine afrikanische Tradition aber könne er darin nicht erkennen. Früher hätten Transvestiten gar als selbstverständlicher Teil der Gemeinschaft gegolten. Heute aber werde Homosexualität weniger mit Liebe assoziiert als mit dem in kirchlichen Internaten gängigen Kindesmissbrauch.

"Politiker lieben das Thema: Solange die Schwulen an allem schuld sind, müssen sie nicht über ihre eigene Korruption reden." Was kann der Gospel Porn Rap da schon ausrichten? Eine ganze Menge, wenn man in die westafrikanische Folklore schaut: Die Spinne Kwaku Anansi, Urvater aller Trickster-Figuren, bedient sich dort einer ganz ähnlichen Strategie. Sie schafft Chaos. Bringt kreative Unordnung in festgefahrene Verhältnisse. Anansi heißt heute Fokn Bois. "Nur wenn das gewohnte Gefäß bricht", sagt Wanlov, "denken die Menschen über ein neues nach."

© SZ vom 15.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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