Abenteuer:Überleben lernen

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Chris Vick: Allein auf dem Meer. Aus dem Englischen von Wieland Freund und Andrea Wandel. Beltz & Gelberg 2022. 270 Seiten, 15 Euro. Ab 13 Jahren. (Foto: Verlag)

Zwei Jugendliche in Seenot.

Von Harald Eggebrecht

Schiffbruch, Irrfahrt und Robinsonade, Tagebuch und Märchenerzählung, Traum und Wahn, Sinnlichkeit und Abenteuer - all das bietet der Roman "Allein auf dem Meer" von Chris Vick. Es ist die Geschichte des wohlbehüteten englischen Bill, der auf einem Segelturn mit der Jacht Pandora von den Kanarischen Inseln aus durch einen plötzlichen Sturm von den anderen Crew-Mitgliedern getrennt wird: Die Pandora sinkt, die anderen können sich in eine Schlauchbootinsel retten, Bill gelingt es, im Beiboot zu überleben, allein auf dem Meer. Noch hat er Vorräte, doch alles geht zur Neige, auch die Wasserreserven. Er entdeckt auf einer vorbeischwimmenden Boje das völlig erschöpfte Mädchen Aya. Bill kann sie zu sich rüberziehen, ein verzweifelter gemeinsamer Überlebenskampf gegen Durst und Hunger, brennende Sonne und die erbarmungslose See beginnt. Sie lernen voneinander, Bill von Aya Mut, Glaube und untilgbare Hoffnung, Aya von Bill erkennende Naturbeobachtung. So gewinnen sie Kondenswasser zum Trinken, fangen eine Schildkröte, die sie essen können und fertigen Köder aus ihren Innereien zum Fischfang. Anfangs hakt die Verständigung, dann wächst allmählich eine Art von gegenseitiger Gewöhnung, die Vertrauen schafft. Dennoch bleibt Aya fast bis zum Schluss scheu und misstrauisch, erst recht, als sie auf einer Insel mit einer Leuchtturmruine landen. Dort stoßen sie auf Stephan, der sich als böse lauernder Junge entpuppt. Aya stammt von Berbernomaden ab und sie will nicht auf der Insel auf eine Rettung irgendwann warten. Also segeln die beiden wieder los, bis wieder alle Vorräte verbraucht sind, Wasser fehlt und Haie um das Boor spielen, das Ende naht . . .

Chris Vick erzählt knapp und dicht, nie gefällig oder gar gefühlig. Dass er das Meer kennt und liebt, lässt sich in jeder Schilderung spüren, vom tödlichen Sturm bis zur bleiernen Flaute. Überzeugend vermag er bei seinem Icherzähler Bill dessen verschiedene Tonlagen zu intonieren: einmal den Actionerzählersound, dann das Selbstgespräch oder den fast poetisch klingende Tagebuchton. So entsteht ein Sog der Spannung, den zuallererst die ziellose Fahrt auf dem Ozean erzeugt, dann der Kampf der beiden Jugendlichen mit den äußeren Gefahren und inneren Dämonen. Dass dieser Schiffbruch mit gerade noch irgendwie glücklichem Ausgang auch eine Schule des Erwachsenwerdens und des Lebens bedeutet, liegt auf der Hand. Aber nirgendwo gibt es pädagogische Zeigefinger oder patriarchalische Besinnlichkeit. (ab 13 Jahre)

© SZ vom 08.04.2022 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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