Abenteuer für Kleine:Ein Kuss ist okay

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Anke Kranendonk: Käpt'n Kalle. Aus dem Niederländischen von Sylke Hachmeister. Mit Illustrationen von Annemarie van Haeringen. Carlsen 2016. 150 Seiten, 9,99 Euro. (Foto: a)

Kalle macht sich in seinem kleinen Motorboot samt Nachbarshund Max und Meerschweinchen Hektor auf, um die Kanäle seiner Umgebung zu erforschen. Eine gefährliche Tour, voller Abenteuer und überraschender Begegnungen.

Von Siggi Seuss

Diese wagemutigen Weltentdecker in den neuen Kinderbüchern niederländischer Autoren! Man kann jenen Typus Kind - etwas pathetisch ausgedrückt: in seiner Reinform - wunderbar in " Käpt'n Kalle" kennenlernen, dem neuen Roman der in Amsterdam lebenden Anke Kranendonk, zu dem Annemarie van Haeringen wolkenleichte Illustrationen liefert, die der Erzählung einen ganz besonderen Pfiff geben.

Kalle, acht Jahre alt, ist ein wagemutiger kleiner Forscher, der die Kanäle, die sich um sein Zuhause ziehen, als Kapitän seines neuen, kleinen Motorbootes erkunden möchte. Die stolzen Eltern schenkten ihm das Boot nach bestandener Seepferdchen-Schwimmprüfung, und Papa war mit ihm bereits auf den Kanälen unterwegs gewesen. Kalle kennt also die wichtigsten Handgriffe und Regeln des Schipperns. Deshalb gibt es für ihn nichts Selbstverständlicheres, als sich mit Nachbarhund Max und Meerschweinchen Hektor auf Jungfern-Spritztour zu begeben, bis hin zum großen, viel befahrenen Fluss.

Alles beginnt recht harmlos mit einem Dialog zwischen Kalle und seiner Mama, die gerade von einem Nickerchen erwacht. Das liest sich in der schnörkellosen Übersetzung von Sylke Hachmeister so: "Wo willst du hin?", flüstert sie. "Weg", sagt Kalle leise. "Wohin?", "Nur kurz nach draußen", "Mit wem?", "Mit Max und Hektor". "Gehst du auch nicht zu weit weg?" "Nein." "Kommst du pünktlich wieder nach Hause?" "Klar." "Krieg ich einen Kuss?" "Nein." Manchmal spinnt Kalles Mutter ein bisschen. Wer gibt denn seiner Mutter einfach so einen Kuss? Er ist doch kein kleines Baby mehr. "Einen einzigen", sagt sie. "Na ja, einer ist okay."

Der kleine Kalle erlebt während seiner Reise, einer Irrfahrt voller realer Gefahren, Überraschendes. Er lernt seltsame und sympathische Menschen kennen und er gerät in sehr gefährliche Situationen. Mit Glück und Verstand kann er sie gerade noch so bewältigen. Wüssten die Eltern davon - die Haare würden ihnen zu Berge stehen. Nachdem ihn die Polizei per Hubschraubereinsatz aufgespürt hat, will Kalle am nächsten Tag, unternehmungslustig wie er nun mal ist und um einige Erfahrungen und eine Freundin reicher, schon wieder ins Boot steigen und das nächste Abenteuer bestehen. Mit Freundin, nicht mit Papa, versteht sich. Da ist er, dieser Tick Dreistigkeit, der in unseren, noch etwas mehr pädagogisch korrekt geprägten kinderliterarischen Gefilden weit eher die Ausnahme ist als in der Kinderliteratur der Niederlande und Flanderns.

Man hört auf dieser abenteuerlichen Entdeckungsreise den Wind förmlich durch Kalles Haar brausen und durchs Fell seines Weggefährten Max. Nicht zuletzt auch dank Annemarie van Haeringens farbiger Bebilderung, die sich mit flottem Strich aufs Wesentliche konzentriert. Warum die stilbildende Illustratorin nicht namentlich auf dem Cover erwähnt wird, bleibt dabei ein Geheimnis des Verlags.

Je näher man eigenständige und eigensinnige kleine Persönlichkeiten wie Kalle als literarische Helden kennenlernt, desto mehr erscheinen sie als Menschenkinder, die viele von uns einmal sein wollten - und für Augenblicke vielleicht gewesen waren: ausgerüstet mit einem wachen Sinn für Ungerechtigkeiten und mit einem aufgeweckten Gespür für Abenteuer diesseits des Horizontes. Und mit einer Portion Wagemut, die einem Erwachsenen die Haare zu Berge stehen lassen, aber die Voraussetzungen für ein starkes Kinderleben sind. (ab 8 Jahre)

© SZ vom 30.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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