Zum Tod des Künstlers Franz West:Schreck der Sammler

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Seine Kunst sollte nicht betrachtet, sondern benutzt und dreckig werden. Diese Art authentischer Provokation ließ Sammlern nur die Wahl zwischen falsch und verkehrt, doch sie machte Franz West zu einem der wichtigsten Künstler der Nachkriegszeit. Nun ist der Maler und Bildhauer gestorben. Ein letzter Beifall.

Catrin Lorch

Es gibt eine Skepsis gegenüber aller Autorität, die sich nicht täuschen lässt. Der außerordentliche Franz West, einer der wichtigsten Künstler der Nachkriegszeit, war einer, der sogar da, wo sich die aktionistische Szene im Jahr 1968 zur "Uni-Ferkelei" versammelte, spürte: Da läuft etwas falsch.

Der österreichische Künstler Franz West wurde 65 Jahre alt. Hier ist er auf einer Pressekonferenz in Wien zu sehen. Das Bild entstand vor einem Jahr. (Foto: REUTERS)

Dass es da eine Selbstzufriedenheit gab, unter den so Ungebärdigen - Brus, Weibel, Muehl und Wiener -, dass sie es an diesen Abend doch wohl mit der Provokation besonders gut hingekriegt hätten. "Ich bin danach aufgestanden und habe gesagt, es war sehr beeindruckend, es hat mir gut gefallen, ich bitte das Publikum also um einen herzlichen Applaus", erinnerte sich Franz West an seinen ungebetenen Beifall, der die Mission "Kunst und Revolution" mit Gediegenheit konterkarierte.

Den damals 21-Jährigen, der in Rom mit beiden Händen die Formen und Falten der Marmor-Klassiker nachtastete (was man ja gleichermaßen als Streicheln wie Betatschen verstehen kann) stimmte das Pathos der Aktionisten "depressiv".

Als Student von Bruno Gironcoli war der Halbbruder des Arbeiterdichters Otto Kobalek immerhin so bekannt, dass er seine Zeichnungen in Kneipen verkaufen konnte - doch sollte er erst mit seinen "Passstücken" Anfang der siebziger Jahre der Kunstszene ein paar Brocken hinwerfen, die man als Armierung eines provokativen Skulpturbegriffs verstehen musste.

Aus Gips und Gaze, mit stumpfer Dispersionsfarbe zugemalt, erinnern sie an die Skulpturen, die Alberto Giacometti für die Hosentasche erfand, sind Negativ-Formen eines körpernahen Kunstverständnisses, dem Betrachtetwerden nicht ausreicht. Die prothetischen "Passstücke" sollten ausprobiert werden, um den Hals gehängt oder in die Armbeuge gesteckt. Das kann man durchaus als Angriff sehen - gegen die klassische Auffassung, die Kunst in Figur-Grund-Mustern oder Betrachterpositionen zu lesen. Man ist nicht vor diesem Werk, sondern ganz Sockel, das fehlende Teil, ohne das sich ein West nicht vollenden kann.

Wenn die "Passtücke" dabei anschrammten und dreckig wurden, hat das Franz West nicht gestört, im Gegenteil. Für sein Freiluftkino auf der Documenta 9 verhängte er stahlstaksbeinige Sofas mit alten Perserteppichen, die im Kasseler Regen bald muffig und feucht rochen; die roh geschlämmten Möbel für das Café des Museums Ludwig musste der Restaurator ins Depot räumen, nachdem die steigenden Preise dieses Künstlers es einfach nicht mehr zuließen, dass Kaffeeflecken die weißen Sitzflächen sprenkeln.

Schwierige Sammlerstücke

Kann man sich als Sammler hier angemessen verhalten? Franz West gehört, kunstmarkthistorisch, in eine Kategorie mit Mike Kelly oder Paul McCarthy, die allesamt ihren Sammlern im Umgang mit den Werten nur die Wahl zwischen falsch und verkehrt lassen, ein Double-Bind-Flirt, der sich auch da ausdrückt, wo Franz West schlussendlich doch theatralisch wird und sein Publikum mit heilsamem Fangoschlamm bewirft.

Dass ausgerechnet Markt und Kalifornien sich diesen europäischen Künstler einverleibt hatten, der in der Nacht zum Donnerstag verstarb, ist ein Paradox - Europa entdeckte ihn erst in den Neunzigern, als er an zwei Documentas teilnahm, im New Yorker Museum of Modern Art gezeigt wurde und als Vertreter Österreichs im Biennale-Pavillon in Venedig (wo er im vergangenen Jahr auch als erster Österreicher mit einem Goldenen Löwen ausgezeichnet wurde).

Auch bei seiner letzten Retrospektive "Autotheater" in Köln standen noch Besucher in der Schlange, die seinen Nachnamen englisch aussprachen. Was aber einem Werk durchaus entspricht, das unverfroren selbst alle Festschreibungs- und Werthaltigkeitsversprechungsversuche unterlaufen hat. Dafür, bitte auch, einen Extra-Applaus.

© SZ vom 27.07.2012/mika/pak - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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