Literaturfest:Mutter aller Dichter

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Ihre Söhne Heinrich und Thomas verehrten Julia Mann. Dagmar von Gersdorff schrieb nun ihre Biografie

Von Susanne Hermanski, München

Womit fängt ein Text über eine Frau an, deren Söhne die bekannteste deutsche Dichterfamilie begründeten? Am besten mit den eigenen Worten der Söhne über diese Mutter. Dagmar von Gersdorff stellt ihrer Biografie der Julia Mann denn auch ein Thomas-Mann-Zitat voran: "Sie war von ausgesprochen romanischem Typus, in ihrer Jugend eine vielbewunderte Schönheit und außerordentlich musikalisch." Nicht nur Thomas hat seine Mutter verehrt, ihren Einfluss auf seinen Werdegang betont und ihr in seinen Romanen manches Denkmal gesetzt. In der Figur der Gerda Buddenbrook, aber auch in der Frau Senatorin Rodde im "Doktor Faustus" oder etwa der Mutter des Protagonisten von Aschenbach im "Tod in Venedig". Bruder und Rivale Heinrich huldigte seiner Mutter ähnlich intensiv, andere Familienmitglieder taten es beiden nach. Klaus Mann etwa schrieb über seine Oma, die als Tochter einer kreolisch-portugiesischen Mutter und eines deutschen Vaters im Dschungel Brasiliens, direkt unterm Blätterhimmel auf die Welt gekommen war: "So ließ sich nicht leugnen, dass sie unter den Damen der bourgeoisen Aristokratie oft ein wenig fehl am Platz wirkte. In Lübeck passt es schon nicht, so dunkle Augen zu haben wie Frau Julia Mann; Schmelz und Feuer ihres Blickes hatten schon einen Stich ins Skandalöse. Sie spielte Klavier, gerade ein wenig zu gut für eine Dame in ihrer Stellung, und sang ausländische Lieder, die lieblich, doch auch verfänglich klangen. Nur gut, dass man den Text nicht verstand."

In großer Robe lässt sich Julia Mann um 1900 vor einem Ball fotografieren. Da lebte sie schon in München. 1891 war sie Witwe geworden. (Foto: SZ-Archiv)

Dass Dagmar von Gersdorff angesichts so vieler prominenter Perspektiven dieser Julia in ihrem Buch nicht ganz ohne Redundanzen auskommt, ist verständlich. Und es ist verzeihlich. Denn es ist ihr dennoch ein interessantes und in eigener, unaufgeregter Sprache verfasstes Buch geglückt, das sogar für Neueinsteiger in den Familie-Mann-Kosmos geeignet scheint. Denn ihre Julia ist das Alpha, mit dem all dessen Geschichten anfangen. Sie ist das fremde Element, das in die Welt der bürgerlichen Lübecker Gesellschaft fiel und kreatives Chaos stiftete.

Julias Vater war als junger Kaufmann mit einer gewissen Abenteuerlust nach Übersee gegangen, weil sich auf den Plantagen dort einem Geschäftsmann allerlei Möglichkeiten boten. Auch zur Begegnung mit einer exotischen Schönheit aus wohlhabendem Hause wie Julias Mutter, die streng katholisch war. Um sie heiraten zu dürfen, konvertierte der deutsche Protestant sogar. Seine Ehe verlief ebenso glücklich wie seine Karriere. Julias Kindheit war wild und fröhlich, rekonstruiert die Biografin mit "detektivischer Leidenschaft", wie sie selbst sagt - bis zum Tod der Mutter bei der Geburt ihres sechsten Kindes. Julia, geborene da Silva-Bruhns, von klein an "Dodo" genannt, war da selbst noch keine sechs Jahre alt.

Ihr Vater entscheidet, die Kinder zu seinen Eltern nach Lübeck zu bringen, geht kurz darauf zurück nach Brasilien. Von Gersdorff schildert einfühlsam - und ohne übermäßig zu spekulieren -, wie es mit Julias Leben weiterging, von der eigenen frühen Ehe über die Geburt ihrer Kinder und den Tod des Mannes, auf den ein neuerlicher, entscheidender Ortswechsel folgte. Als Witwe zog sie mit ihren Kindern weg von Lübeck und seinen Konventionen, nach München und später, als ewig ein wenig Fremde, immer weiter. Nach Augsburg, Polling und schließlich Weßling, wo sie in ärmlichen Verhältnissen 1923 starb. Münchner Leser finden viele Bezüge im Buch; wie die Ursprungsgeschichte des Bären etwa, der heute im Literaturhaus unterm Glaskasten steht. Pittoresk sind ist der kleine Bildteil, der auch optisch vermittelt, wie verwandt diese Julia mit ihren tief sitzenden Brauen und dem ausgeprägten Kinn etwa ihrem Sohn Thomas war.

Dass von Gersdorff für sich in Anspruch nehmen kann, die erste Biografie über Julia, diese Mutter aller Dichter, zu veröffentlichen, mag erstaunen (sie liest daraus am 30. November, 19 Uhr, Black Box, Gasteig). Doch Julias eigene Aufzeichnungen waren nur für den Gebrauch in der Familie gedacht. Sie erschienen erst in den Fünfzigerjahren im Band "Ich spreche so gern mit meinen Kindern" als lose Sammlung von Prosaskizzen und Briefwechseln mit dem Sohn Heinrich.

© SZ vom 29.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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