Literatur:Ein Festival für alle Fälle

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In Bamberg beginnen die Lesewochen "BamLit". Deren Kurator Thomas Kraft organisiert Events in ganz Bayern und hat damit ein neues Geschäftsmodell entwickelt

Von Antje Weber

Auf der Titelseite blickt Timur Vermes entschlossen in die Zukunft, ihm folgen im Programmheft großformatig Alice Schwarzer, Volker Kutscher und Gretchen Dutschke. Harald Lesch ist auch dabei, Gaby Hauptmann, Gregor Gysi, Amelie Fried - um nur ein paar der fast durchweg bekannten Namen zu nennen. Sie alle lesen beim Bamberger Literaturfestival "BamLit" vom 7. bis 24. Februar. Etliche Abende sind bereits ausverkauft. Und man liegt sicher nicht falsch, wenn man voraussagt: Das Bamberger Literaturfestival, bereits das vierte, wird auch in diesem Jahr wieder ein schöner Erfolg.

Dieser Erfolg hat eine Geschichte. Und hinter der steckt ein findiger Kopf. Thomas Kraft war es, der das Festival angeregt hat und bis heute kuratiert. Der bald 60-Jährige, in der Literaturszene wohlbekannt und bestens vernetzt, hat damit ein neues Geschäftsmodell erfunden.

Denn Bamberg, seine Heimatstadt, ist beileibe nicht Krafts einziges Betätigungsfeld. Um die ganze Dimension seines Wirkens zu erfassen, kommt man nicht umhin, erst einmal all die Literaturevents aufzuzählen, die er organisiert. Die Münchner Bücherschau beim Literaturfest, die Kraft in diesem Jahr zum 20. Mal kuratiert, könnte man dabei als Urmutter aller Festivals bezeichnen. Dass Kraft das Programm der Münchner Frühjahrsbuchwoche zu Kanada gestaltet hat, ist schon mehr als zehn Jahre her und zählt kaum mehr richtig mit. Bleiben noch die Ingolstädter Literaturtage, die Kraft seit 2014 kuratiert; im selben Jahr begann er auch mit "Dachau liest", "Literatur in Fürstenfeld" und "Literatur im Schafhof Freising". 2015 und 2016 erlebte Lindau seine "Literatur in den Höfen". Seit 2016 läuft neben dem bereits erwähnten Bamberger noch das Allgäuer Literaturfestival sowie seit 2017 das Salto-Kinder- und Jugendbuchfestival in Herrsching.

Beim Bamberger Literaturfest liest unter anderem Gretchen Dutschke. (Foto: Lune Dutschke)

Das ist, so viel Zeit muss sein, noch nicht alles. Zu erwähnen wären für das Jahr 2017 noch das Hassfurter Literaturfestival sowie die "Literatur im Pfaffenwinkel". In Planung hat Kraft derzeit außerdem ein Chiemgauer Literaturfestival, das ebenso wie ein Literaturfestival in der Oberpfalz und ein Literaturfestival in Nordschwaben 2020 erstmals die Leser von den Büchern weg und in die Säle locken soll. Wie macht der Mann das alles nur - und warum?

Man muss in seiner Biografie ein paar Jahre zurückgehen, um das Literaturfest- Phänomen besser zu verstehen. Im Jahr 2012 suchte Kraft, der nach vielen Jahren als Literaturkritiker und -organisator auch Programmleiter eines Verlags gewesen war, einen neuen Job. "Alle sagten: Du musst eine Agentur aufmachen, Du kennst so viele Leute", erinnert er sich. Tat er dann auch erst einmal, doch es machte ihm keinen Spaß und funktionierte nicht so, wie er als ungeduldiger Mensch sich das vorstellte: "Das ist teilweise zäh." Und so beschloss er, künftig nur noch Veranstaltungen zu machen, denn: "Organisieren kann ich."

Auch Volker Kutscher liest beim "BamLit" vom 7. bis 24. Februar. (Foto: Andreas Chudowski)

Fragte sich nur: was genau? Kraft überlegte sich ein "Modell mobiles Literaturhaus", das man doch vielleicht in die Regionen tragen könnte. "Ich bin durch ganz Bayern gefahren", sagt er, auf der Suche nach "weißen Flecken" auf der Literatur-Landkarte. Bei den vielen Gesprächen in Kulturvereinen, Stadtarchiven und Tourismusämtern konnte er oft Interesse wecken. Manchmal traf er natürlich auch auf Widerstände, legte erfolglos Konzepte vor, scheiterte am Geldmangel der Kommunen. Entstanden sind jedenfalls beeindruckend viele Festivals, immer "in Kooperation mit lokalen Kräften". Denn Kraft will "nichts von außen künstlich drüberstülpen".

Wie wichtig Kooperationen sind, hat er nicht zuletzt bei einem Misserfolg erlebt: Das Festival im Pfaffenwinkel, wo er selbst lebt, hatte er selbst finanziert, ohne Förderung von Sponsoren oder öffentlicher Hand. Das funktionierte nicht, er musste Veranstaltungen absagen, zahlte letztlich drauf. "Kommt vor", sagt er lapidar, doch seither weiß er: "Alleine, privatwirtschaftlich, ist das nicht zu machen." Selbst in Bamberg "müssen wir jedes Jahr kämpfen", sagt er, damit am Ende eine schwarze Null herauskomme: "Wir brauchen immer Sponsoren." Dass es in Bamberg insgesamt aber so rund laufe, führt Kraft auf drei Faktoren zurück: auf ein sehr professionelles Team aus unterschiedlichen Bereichen, vom Stadtmarketing bis zur Geschäftsführung; auf ein sehr "attraktives Angebot" an Lesungen mit einer "bunten Mischung" aus Sachbuch, Belletristik und Kinderbuch; und auf die große Unterstützung des Landkreises: "40 kostenlose Kinderveranstaltungen sind vom Landkreis finanziert."

Schauspielerin und Autorin Désirée Nick liest in Bamberg aus ihren Werken. (Foto: Severin Schweiger)

Damit ist man schnell beim Wert von Literatur- und Leseförderung. Denn auch wenn Kraft diese Festivals natürlich nicht uneigennützig macht, betont er doch: "Es geht nicht nur ums Geldverdienen, ein gewisser Idealismus ist auch dabei." So versuche er auch immer wieder, Themen abseits des Mainstreams unterzuschieben, wie zum Beispiel in Bamberg einen Abend mit jungen Autoren: "Das ist schwer." Denn wer nicht kontinuierlich ein festes Haus bespiele, habe es nicht leicht, sich Vertrauen beim Publikum zu erwerben und dann auch mal was riskieren zu können.

Denn eines merkt er überhaupt deutlich: Es gibt wenig Neugier auf Experimente. "Die Gesellschaft hat sich verändert", sagt er; auch Bildungsbürger, die früher ihren Kindern vorgelesen hätten, kämen aus Zeitmangel immer weniger dazu und ließen sich nach harten Arbeitstagen selbst von Serien berieseln. Am Geld liege es nicht: "Die Leute geben es aus, wenn sie wissen, dass ihre Erwartung an einen Abend voraussichtlich befriedigt wird." Lieber lausche man dann zum zehnten Mal dem selben Lieblingsautor, als etwas auszuprobieren: "Warum soll ich zu einer jungen Lyrikerin aus Neuseeland gehen? Könnte ja langweilig werden." Überhaupt sei Literatur im Sinne eines Erfahrungsaustauschs für viele heute "zu anstrengend".

Bestseller-Autor Timur Vermes. (Foto: Cristopher Civitillo)

Und so mixt Kraft eben so prominent besetzte wie populäre Programme zusammen. Wobei es ihm auch wichtig ist, die einheimischen Autoren einzubeziehen; in Bamberg gibt es in diesem Jahr als "Bamberg Special" literarische Busfahrten mit drei Krimiautoren - auch alle ausverkauft. Doch der Fokus liege nicht auf den Lokalmatadoren, sagt Kraft. Grundsätzlich glaubt er: "Der Allgäuer liest nicht anders als der Chiemgauer." Kraft will ein möglichst breites Publikum erreichen, und er engt seinen Spielraum auch nicht durch spezielle Mottos ein. Doch mit einer vorgefertigten Liste komme er nicht in die Orte, und er schicke auch "nicht immer dieselben Leute durchs Land", sondern richte sich nach den jeweiligen Wünschen. So gebe es zum Beispiel im Allgäu die sehr umweltorientierte Gemeinde Wildpoldsried - da fahre im Mai eben der Wissenschaftler Harald Lesch hin.

Bei Festivals in Feriengegenden geht es dabei durchaus auch um Tourismusförderung. Natürlich sei Kultur heutzutage ein "harter Faktor", so Kraft, und spiele auch bei der Urlaubsplanung eine Rolle. Doch ein "Flächenfestival" wie das im Allgäu zum Beispiel, mit inzwischen 27 beteiligten Kommunen, sei "in erster Linie für die Allgäuer", wie man an den Buchungen nachvollziehen könne. Und in einer Stadt wie Bamberg, als Weltkulturerbe von Touristen überrannt, habe man für das Festival eher einen Zeitraum gesucht, in dem nicht so viel los sei wie im übrigen Jahr.

Der Literaturwissenschaftler Thomas Kraft, 1959 in Bamberg geboren, hat sich in den vergangenen Jahren auf die Organisation von Literaturfestivals spezialisiert. (Foto: Catherina Hess)

Wann in Krafts eigenem Leben mal nicht ganz so viel los ist, lässt sich schwer beantworten. Die Vorbereitung der diversen Festivals beschäftigt ihn "jeden Tag", schließlich hänge da viel dran, von den Moderationen bis zum Büchertisch. "Ich kenne niemanden, der das in dieser Größenordnung sonst macht", sagt der inzwischen hauptberufliche Literaturfest-Organisator. Dabei hat er ja auch noch ein paar Nebenbeschäftigungen: Der Autor zahlreicher Bücher, unter anderem zur Rockmusik, tourt selbst mit Abenden zu Leonard Cohen oder Jim Morrison. Nach wie vor ist er auch als Ghostwriter tätig; außerdem kümmert er sich zum Beispiel um die Stiftung des verstorbenen Schriftstellers und Politikers Dieter Lattmann.

Und bei alledem hat er gerade auch noch einen neuen Roman geschrieben, einen Politthriller, 300 Seiten. Einen Verlag hat er derzeit noch nicht; eine literarische Busfahrt für die Buchpräsentation könnte er aber zweifellos schnell organisieren.

© SZ vom 07.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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