Kammermusik:Gleichberechtigter Genesungsgesang

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"Heiliger Dankgesang eines Genesenen an die Gottheit" - so überschrieb Beethoven den langsamen Satz seines späten Streichquartetts in a-moll. Das Belcea-Quartett spielte ihn jetzt in München

Von Reinhard J. Brembeck

Jeder im Münchner Herkulessaalsaal wartet auf den langsamen Satz aus Ludwig van Beethovens a-Moll-Quartett. Gelten doch die fünf letzten Streichquartette des Meisters, zu denen auch das a-Moll-Stück gehört, als die nie übertroffenen Spitzenwerke der Gattung und die jeweils viertelstündigen langsamen Sätze in den Quartetten in Es-Dur, cis- und a-Moll als das Großartigste vom Großartigen. Selbst solche Superlative reichen nicht hin, die Verehrung adäquat zu beschrieben, die dieser Musik von der Gemeinde der Kammermusikfreunde entgegengebracht wird. Also werden beim Münchner Konzert des BelceaQuartetts das Quintenquartett Joseph Haydns und das dritte und letzte von Benjamin Britten mit leichter Ungeduld angehört, immer in Erwartung des ganz Gewichtigen, Beethovens Selbstzerquälung in a-Moll.

Doch die Belcea-Leute - sie nennen sich nach ihrer Chefgeigerin Corina Belcea - zeigen bereits bei Haydn, worauf sie Wert legen. Ja, sie können den Klang symphonisch aufbauschen, sie können herb und musikantisch zupacken. Virtuose Passagen kommen nicht kalt und brillant, sondern lässig und mit einer gekonnt inszenierten Note sympathischen Schlendrians daher. Der Klang der Truppe ist dunkel, gedeckt, irden und lockend. Nie geraten sie in Versuchung, komplizierte Geflechte analytisch oberlehrerhaft zu verdeutlichen. Aber sie phrasieren immer klar, sie lieben Nuancen und Details. Und sie können leiser spielen, als es manchem im Saal lieb ist. Wenn da ein Pianissimo steht (die drei Komponisten des Abends lieben diesen Leisigkeitsgrad), dann ist das halt doppelt so leise wie ein Piano - und schon in der vierten Reihe ziemlich am Rand der Stille. Was wohl davon ganz hinten im Saal noch zu hören ist?

Die Belceas überraschen nie durch gewagte Interpretationen, die sich radikal von der Aufführungstradition entfernen würden. Sie sind aber auch keine Traditionalisten. Ihr Ansatz ist modern nüchtern auf Deutlichkeit ausgerichtet, die impressionistisch abgemildert wird. Der Hörer ist bei dieser Art des Musizierens als Co-Musiker gefordert, sich einen Reim auf das Erklingende zu machen, gerade bei Beethoven. Anstatt den ausufernden Gestaltenreichtum des ersten Satzes einzudämmen, anstatt den Gesamtklang stets der Oberstimme unterzuordnen, forcieren die Belcea-Leute Beethovens Häcksel- und Zerstückelstrategie. Alle Instrumente treten gleichberechtigt an, aber sie wechseln sich in der Führung oft in Sekundenschnelle und stets organisch ab. Das Ergebnis ist ein sich nach allen Richtungen öffnendes und immens betörendes Geflecht.

Am intensivsten und stimmigsten versenkt sich dieses Ensemble in die langsamen Sätze. Natürlich in Beethovens brütende Doppelvariation, die das langsame Zu-Kräften-Kommen eines Kranken nachzuzeichnen vorgibt. Linien tauchen auf und brechen ab, Triller fluten dazwischen, Girlanden und Akkordakzente verschlingen sich, zuletzt zerbricht die Musik, entschwebt zart in die Höhe: War die Heilung nur eine Vision, meinte sie den Tod?

Ähnlich intensiv, jenseitig und todessüchtig gelingt den Belcea-Musikern auch das Finale des Britten-Quartetts, eine über nur drei verschiedenen Tönen errichtete Passacaglia, die die Serenissima beschwört, die Republik Venedig und damit Thomas Mann - "Death in Venice" war Brittens letzte Oper, mit der er sich erstmals zu seiner Homosexualität bekannte. Verblüffend, wie nah sich Britten und Beethoven in diesen langsamen Sätzen sind, wie fortschrittlich der Alte, wie rückwärtsgewandt der Jüngere. Und die daraus resultierende Abschiedswehmut schwebte über dem ganzen Abend, sie schien erklären zu wollen, warum Kammermusik immer mehr aus dem Fokus der Öffentlichkeit schwindet.

© SZ vom 15.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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