Afrika:Europas Drang, alles zu besitzen

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Ihr Institut in Senegal ist ein Ort für Recherchen und Reflexionen - aber kein Museum. Wie die kamerunische Kuratorin Koyo Kouoh die Kunst als intellektuellen Rohstoff behandelt.

Von Sonja Zekri

Als sie in Senegal mal ein Jahr lang Deutsch unterrichtete, saß der Direktor des Instituts hinten in der Klasse, und manchmal griff er ein: "Koyo, keine Helvetismen!" Was ist ein Helvetismus? "Parkieren" statt Parken zum Beispiel. Wer für Hochdeutsch bezahlt, sollte kein Schweizerdeutsch bekommen. Das sind so die Nuancen.

Koyo Kouoh kennt die kulturellen Distinktionsanstrengungen der Länder, und ihr Verhältnis dazu ist nicht feindselig, nur bestehen ihr Leben und ihre Arbeit daraus, oberhalb oder neben oder um die so gewonnenen Abgrenzungen herum zu wirken. Sie nennt sich selbst eine "Naturgewalt", aber das meint sie nicht als Selbstlob, sondern eher im Sinne von "Was bleibt mir übrig?".

Die koloniale Gier nach den Objekten aus Afrika ist für sie ein historisches Missverständnis

Die gebürtige Kamerunerin Kouoh, die ihre Jugend in der Schweiz verbrachte, vor zehn Jahren in Senegal eine der inzwischen wohl kreativsten Kulturinstitutionen des Kontinents gründete, wirkte an drei Kasseler Documentas mit. Sie gehört seit Kurzem als erste afrikanische Frau der Mitgliederversammlung des Goethe-Instituts an, als eine "der einflussreichsten Kulturproduzentinnen weltweit", wie das Auswärtige Amt zur Wahl schrieb. Auf der Liste der 100 wichtigsten Menschen der Kunstwelt, die die Zeitschrift Art Review herausgibt, belegt sie Platz 72 - zwei hinter dem Kurator Klaus Biesenbach, zwei vor der Künstlerin Marina Abramović. Wenn die so oft und so dringlich geforderte Begegnung der Kulturen Afrikas und Europas Gestalt annehmen könnte, es wäre jene von Koyo Kouoh.

Insofern kann sie nicht nur, sie muss eine Haltung haben zu der Frage, ob Europas Museen gestohlene afrikanische Objekte zurückgeben sollen. Hier ist sie: Unbedingt, wenn auch nicht alles auf einmal - "es wurde ja auch nicht auf einmal gestohlen" -, aber nach und nach ganz zweifellos, und vor allem: Ohne Instruktionen, ohne Fragen. "Ob wir die Objekte ins Museum stellen, ob wir sie auf die Straße werfen, ob wir sie in Privatsammlungen verschwinden lassen oder Priestern aushändigen, das ist dann alles nicht mehr die Sache Europas."

Der Weg zu dieser Haltung führte durch die Museen Europas, in denen sie arbeitete, aber vor allem durch die Raw Material Company. Sie liegt in einem der ruhigeren Viertel der senegalesischen Hauptstadt Dakar hinter Mauern, unter Palmen, eine Oase. Wenn sie über diese sagt, "Wir sind fest in der senegalesischen Kultur verwurzelt, aber wir umarmen den Kontinent, und unser Kopf ragt in die Welt", dann ist das eine blumige Kompilation von Gegensätzen. Denn sie kennt den überdrehten westlichen Kunstmarkt, die Verwertungsketten der Kultur, oft angelegt auf die Maximierung von Vermögen oder Status. Ihr Verständnis von Kunst aber wurde in Afrika geprägt und begreift Kunst erst einmal nicht als Wert oder Gegenstand, den man transportieren und präsentieren kann, sondern als Instrument sozialer Transformation, weniger gegenständlich, eher prozessual: "Kunst ist für mich die Beziehung zum Nächsten", sagt sie, "und dies in einem fast religiösen Sinn."

Das hat Folgen. Jahrhundertelang hat der Westen Objekte als Träger einer künstlerischen Aussage und Kultur gesammelt und gedeutet. Dass Objekte im Museum einander begegnen, dass sie dort "zum Sprechen gebracht" werden, als Zeugnisse der Menschheitsgeschichte, ja, der Menschheit Erinnerung, Geschichte bewahren und schützen gegen private oder politische Interessen, ist eine der wichtigsten Legitimationen von Museen. Koyo Kouoh aber leuchtet schon der Gedanke der Sammlung nicht ein: "Dieser europäische Drang, alles zu erfassen und zu besitzen und die Kontrolle zu behalten, obwohl die Natur uns zeigt, dass wir nichts festhalten können, verrät vor allem eine Sehnsucht nach Unsterblichkeit - durch die Kunst."

Diesem Drang, so sieht sie das, entsprang auch die Gier der Kolonialmächte nach afrikanischer Kunst, die aus ihrer Perspektive auf einem historisch einmaligen Missverständnis beruhte: "Sie haben sich auf die Objekte konzentriert, weil sie nicht begriffen haben, dass diese Vehikel sind, nicht das Ziel selbst, dass sie Spiritualität und Ungesagtes transportieren, die Kraft eines ganzen Dorfes oder eines Clans." Ohne die Kenntnis dieser spirituellen Kraft aber bleibe von Statuen oder Masken oder Textilien in den Museen Europas allein die materielle Erscheinung. In gewisser Hinsicht, aber da ist sie sehr vorsichtig, sei ja selbst ein Rodin weniger spirituell, weniger kraftvoll als die afrikanischen Objekte, sei näher am "Ding" als an der Transzendenz.

Insofern hofft sie ganz ausdrücklich, dass die Rückgabe der Kunst aus Europa in Afrika einen Schub bewirkt, eine Aufbruchstimmung, eine kulturelle Vision - vielleicht nicht ganz so leuchtend, aber doch auch inspirierend wie die Blüte der senegalesischen Kultur unter dem ersten Präsidenten, Léopold Sédar Senghor. Er hatte das Konzept der "Négritude" entwickelt, das den Reichtum und die Eigenart der afrikanischen Kultur betonte, gab ein Vermögen für kulturelle Einrichtungen - auch Museen - aus, hatte Duke Ellington und Pablo Picasso nach Dakar geholt und trat 1980 zurück, um Gedichte zu schreiben. Gewiss, der "afrikanische Grieche" zeigte hier und da autoritäre Neigungen, aber Platons Philosophenkönige hatten mit der Demokratie auch nicht viel im Sinn. Wie Senghor betont auch Kouoh weniger die Herkunft als Kamerunerin - oder Schweizerin -, sondern ein Verständnis als Afrikanerin. "Wo ich bin, ist Afrika", sagt sie. Koyo Kouoh liebt Thomas Mann.

Ihr Institut in Senegal ist eine Oase, ein Ort für Recherchen und Reflexionen - aber kein Museum

Noch ist in Senegal von den visionären Fortschritten durch die Restitutionsdebatte nicht viel zu sehen, und von einer Abkehr von der Idee des Museums schon gar nichts. Im Dezember erst wurde in Dakar ein ausladendes "Museum für die Schwarzen Zivilisationen" eröffnet, das vor allem Kopien zeigt, sich aber als künftiges Forum für die heimgekehrten Exponate aus Berlin oder London empfiehlt. Finanziert wurde es - wie ein mindestens ebenso prächtiges Wrestling-Stadion und ein sehr eindrucksvolles Theater - von China.

Dies nun mag Europa nicht auf sich sitzen lassen. Seit Monaten stehen europäische Pläne für Museen in Afrika im Raum, was Koyo Kouoh nicht stört. Sie hat gegen neue Museen nichts einzuwenden, nur als singuläre Methode der Kulturvermittlung ist es in ihren Augen entzaubert.

Denn was auch immer Afrika mit den heimgekehrten Objekten anfängt, dürfte die Bedeutung von Instituten wie der Raw Material Company wachsen lassen. Kouohs Institut bietet Gastaufenthalte für Künstler, Programme für Anwohner und Ausstellungsflächen, es will Kunst und Intellektualität aus Afrika auf höchstem Niveau zeigen, der Welt und Afrika selbst, denn das Unwissen der Welt über Afrika ist beschämend, aber das Afrikas über sich selbst eine Tragödie. Der Name ihres Instituts spielt auf vieles an, Afrika als Rohstoffproduzent, Kunst als Rohstoff. Aber "Raw" ist auch ein Wort in Wolof, der meistgesprochene Sprache in Senegal, dort heißt es "der Erste". Was Raw nicht ist: ein Museum. Gewiss, es gab Ausstellungen, sogar viel beachtete. "Gay in Africa" im Jahr 2014 sollte die Homophobie des Kontinents debattieren, aber dann entgleiste die Situation. Koyo Kouoh bekam Morddrohungen, schlief auswärts. Auf keinen Fall aber dürfen solche Vorfälle zum Argument gegen den Kunststandort Afrika verdreht werden, sagt sie: "Senegal hat seinen eigenen Weg. Der Westen sollte nicht urteilen."

Und dies nicht nur, weil sie nirgends sonst als in Dakar leben wollte, dieser "unwiderstehlichen" Metropole in einem pragmatisch islamischen, politisch für die Region außergewöhnlich stabilen Land. Sondern auch, weil auch ein Streit wie jener um die Homosexuellen-Ausstellung über die reine Betrachtung hinausgeht - und das ist das Ziel. Kouoh, die unter anderem 2016 die Biennale in Irland unter dem Titel "Still the Barbarians" gestaltete und gerade erst in Pittsburghs Carnegie Museum of Arts eine Schau in einer Schau mit dem Titel "Dig Where You Stand", zielt auf diskursive Mobilisierung. "Es gibt eine lange Tradition, Bilder in Ausstellungen zu zeigen", sagt sie: "Wir aber wollen vorstoßen zu den Recherchen, Reflexionen, Analysen, Debatten."

In Kouohs Institut arbeiten nur Frauen, und obwohl sie für viele junge Afrikaner das ist, was der ehemalige Leiter des Münchner Hauses der Kunst, Okwui Enwezor, für ihre eigene Generation afrikanischer Kulturschaffender war: ein Vorbild, modellhaft, bahnbrechend, ist Kouoh es besonders für Frauen. "Ich komme aus einer Familie mit starken Frauen, ich bin stark geboren", sagt Kouoh. Sie lernte früh, allein zu bestehen, und entwickelte daraus gegenüber anderen Frauen nicht Unnachgiebigkeit, sondern Solidarität. Als Künstlerin habe sie wenig Talent, sagt sie, aber sie besitzt die Gabe, Kunst in die Welt zu bringen. Hebamme wäre auch ein schöner Beruf gewesen. "Natürlich will ich die Welt verbessern. Wer will das nicht?"

© SZ vom 04.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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