Wirecard:Was die Politik aus dem Skandal lernen könnte

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Forderungen nach mehr Transparenz und neuen Gesetzen für eine effektive Finanzaufsicht werden lauter, umstritten sind zugleich Sanktionen und die Frage nach Schuld und Verantwortung.

Aschheim: Wirecard Konzernzentrale wird durchsucht (Foto: Claus Schunk)

Zu " Vorsicht, glatt" vom 1./2. August, " Mutprobe für Scholz" vom 30. Juli, " Grillen mit Olaf Scholz" vom 29. Juli, " Was der Fall Wirecard lehrt" vom 25./26. Juli sowie zu " Dieses Privileg muss weg" vom 6. Juli:

Billige Schuldzuweisung

Olaf Scholz wird vorgeworfen, nicht mitbekommen zu haben, was die Wirtschaftsprüfer über viele Jahre nicht bemerkt haben, was die Banken bei der Vergabe von Milliardenkrediten an Wirecard nicht gesehen haben, und was die Deutsche Börse bei Aufnahme von Wirecard in den DAX nicht bemerkt hat.

Welche Rolle haben eigentlich das Bundeskanzleramt und das Bundeswirtschaftsministerium gespielt? Welche Rolle der frühere Finanzminister Wolfgang Schäuble und sein Staatssekretär Jens Spahn, als Wirecard auch schon seine Bilanzen fälschte? Und warum ist es eigentlich noch immer zulässig, dass ein Wirtschaftsprüfungsunternehmen über viele Jahre dasselbe Unternehmen prüft und außerdem zur Unternehmensstrategie berät? Es gibt viel zu tun und gesetzliche Regelungen zu treffen, damit sich ein solcher Betrug nicht wiederholen kann.

Und es wird interessant sein zu beobachten, wer solche Maßnahmen unterstützt, und wer sie blockiert. Olaf Scholz als politisch Verantwortlichen auszumachen ist einfach zu billig und leistet keinen Beitrag, die Wiederholung eines solchen Skandals zu verhindern.

Winfried Wolf, Hamburg

Für mehr Transparenz

Unternehmen müssen zu wenig Informationen nach außen geben. Informationen sind aber wichtig für Gläubiger, Kunden und auch für Mitarbeiter. Der Staat wäre hier in der Pflicht, hat sich aber zurückgezogen. Wenn zur wirtschaftlichen Lage einer Firma keine Daten wie etwa Geschäftsbericht, Bilanz, Gewinn-und-Verlust-Rechnung vorliegen, müssen Informationen auf andere Weise beschafft werden. Dies kostet zusätzlich Geld. Und noch etwas ergibt sich daraus: Eine höhere Wahrscheinlichkeit der Falsch- und Fehlinformation.

Das im Artikel "Was der Fall Wirecard lehrt" aufgeführte Beispiel der Restschuldversicherung ist ein gutes Beispiel. Aber die Bereitschaft in der Politik, hier für mehr Transparenz zu sorgen, fehlt. Vielleicht ändert sich das durch den Wirecard-Skandal. Wir haben einen gut funktionierenden Beamtenapparat, aber es fehlen klare Kompetenzbereiche, Abgrenzungen und Aufgaben. Siehe die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) im Fall von Wirecard.

Michael Habermehl, Radolfzell

Müssen Köpfe rollen?

Dass im Fall Wirecard alle existierenden Kontrollmechanismen versagt haben, scheint im Nachhinein offensichtlich zu sein. Es muss aber nicht unbedingt heißen, dass die Wirtschaftsprüfer, die Finanzaufsicht oder das Finanzministerium ihre jeweiligen Pflichten vernachlässigt hätten. Vielleicht war diese Art von Schwindel einfach zu neu oder zu dreist, als dass irgendjemand sie auf dem Schirm hätte haben können. Es ist noch nicht einmal gesagt, dass man zum Schutz vor Wiederholungen Gesetze ändern muss.

Vielleicht würde es schon genügen, dass jetzt alle Beteiligten klüger sind. Wenn sich aber der Bundestag mit einem Fall befasst, scheint es kaum noch möglich, andere als dramatische Konsequenzen zu ziehen. Mindestens sollten Köpfe rollen, am besten aber Strukturen umgekrempelt und Gesetze verschärft werden. Alles andere würde irgendwie mutlos wirken.

Axel Lehmann, München

Notwendige Sanktionen

Das Versagen von Wirtschaftsprüfern wie im Fall Wirecard darf nicht ohne spürbare und schmerzhafte Sanktionen bleiben. Eine höhere Haftung wird wenig helfen. Notwendig ist - zumindest für kapitalmarktorientierte Gesellschaften - eine Auftragsvergabe durch die Bafin. Damit wird verhindert, dass der Wirtschaftsprüfer bezahlter Auftragnehmer des Unternehmens wird. Sollte dennoch ein so verheerendes Versagen wie bei Wirecard vorliegen, dann müssen gesetzliche Grundlagen geschaffen werden, die es erlauben, einen solchen Wirtschaftsprüfer für einige Jahre zu sperren.

Christian Klose, Freising

Unfassbares Versäumnis

EY, KPMG, Bafin - sie alle sahen den Wald vor lauter Bäumen nicht. Dass Umsätze und Gewinne manipuliert werden können, ist nun wirklich nicht neu. Cash ist der einzig verlässliche Wert. Dass aber die Prüfer vor lauter Details viele Jahre lang nicht mal nachschauen, ob das Geld auch da ist, es handelt sich immerhin um ein paar Tausend Millionen Dollar, das ist nicht zu fassen.

Helmut Schell, Gersthofen

Europäische Aufsicht gefordert

In den 90er-Jahren gab es massenhafte Immobiliengeschäfte, bei denen Kleinstanleger durch eine Allianz aus Banken, Vertriebsgesellschaften, Geschäftsbesorgern und Notaren zum Kauf sogenannter "Schrottimmobilien" verleitet wurden. Es war wie eine Art Hütchenspiel mit Immobilien. Viele Geschädigte fragten sich: "wo bleibt die Bafin, und wo bleibt das Finanzministerium?" So wie man sich das heute bei Wirecard auch fragt.

Vielleicht wird sich nach dem Wirecard-Skandal in Zukunft etwas ändern. Vielleicht wird sich die Bafin aus ihrer Komfortzone bewegen, aber ich habe meine Zweifel. Meines Erachtens bedarf es einer europäischen Finanzaufsicht, die vollkommen unvoreingenommen und ohne Rücksicht auf nationale Interessen vorgehen kann. Auch der VW-Dieselskandal wäre wohl nicht aufgeklärt, sondern unter den Teppich gekehrt worden, wenn die Amerikaner nicht VW auf die Anklagebank gesetzt hätten.

Peter Raster, Vilshofen

© SZ vom 18.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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