Weitere Leserbriefe:Zu  Wohngeld und Inklusion

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Das Wohngeld helfe vor allem Eigentümern, das Mietniveau hoch zu halten, so ein Leser. Eine Leserin regt sich über Euphemismus beim Konzept der Inklusion auf: Als Behinderte sei sie auf Hilfe angewiesen.

Wohngeld hilft Vermietern

Zu " Wer wenig verdient, bekommt mehr Wohngeld" vom 9. Mai: Das Wohngeld ist keine soziale Wohltat an Geringverdienern, sondern eine sozial getarnte Subventionierung der Vermieter. Tatsächliche Entlastung bringen nur günstigere Mieten! Aber für die Politiker ist der Griff in den Steuertopf offenbar einfacher, als den Konflikt mit den Besitzern von Mietwohnungen zu wagen.

Helmut Opitz, Dobel

Bei Gleichbehandlung verloren

Zu " Vom richtigen Umgang miteinander" vom 7. Mai: Tonio Schneiders Zuschrift stürzt mich in eine Mischung aus Panik und Verzweiflung. Er möchte, dass behinderte und unbehinderte Menschen gleich behandelt werden. Ich bin behindert. Wenn man mich "gleich behandelt" - was oft vorkommt, weil man mir meine Behinderung nicht ansieht - bin ich hilflos verloren. Ich bin darauf angewiesen, dass man im Umgang mit mir meine Behinderung in Rechnung stellt. Und da will mir Herr Schneider verbieten, auch nur zu sagen, dass ich behindert bin! Ich soll mich einfach als ein "verschiedener" Mensch verstehen und bezeichnen! Das ist ein Euphemismus, der mir ins Gesicht schlägt.

Behinderung geht weit über das hinaus, was alltägliche Verschiedenheit von Menschen untereinander ausmacht. Wie also bin ich behindert? Wenn man in normalem Tempo und aus normalem Abstand zu mir spricht, verstehe ich nichts. Wer mündlich mit mir kommunizieren will, muss sich mir genau gegenüber positionieren und nicht so weit weg wie etwa hinter einem Schreibtisch, wenn ich davor sitze. Ich muss in jedem Laden, im Postamt, in der Bank, beim Arzt, wo auch immer ich mit Menschen reden muss, die mich nicht kennen, erst einmal sagen: "Ich bin schwerhörig. Ich verstehe Sie nur, wenn Sie langsam sprechen und deutlich artikulieren. Lautstärke hilft mir nicht." Vorträge, Versammlungen jeder Art, Podiumsdiskussionen, Kino, Theater, gesellige Runden, in denen sich mehrere Personen unterhalten: Ich bin daran gehindert, an all dergleichen teilzunehmen. Musik nehme ich nur noch als Lärm wahr. Ich kann keinem Radio- oder Fernsehprogramm folgen. Und da soll ich nicht behindert sein?

In meiner näheren Verwandtschaft gibt es auch einen durch einen Unfall Querschnittsgelähmten, weiter einen, der nacheinem schweren Schlaganfall nur noch mit Wortfindungspausen sprechen und mit Ziffern und Zahlen keinen Sinn mehr verbinden kann, und ein Kind, das durch einen intrauterinen Gehirnschlag geschädigt ist; es geht auf eine Regelschule, kann aber mit seinen gleichaltrigen Kameraden im Freizeitbereich nicht mithalten. Wir sind verloren, wenn andere Menschen uns "gleich" behandeln. Jeder von uns ist total darauf angewiesen, dass andere im Umgang mit uns in Rechnung stellen, was wir nicht können. Und das ist unter uns vieren ganz verschieden! Wenn Herr Schneider den Terminus "behindert" nicht akzeptiert, wie sollen wir uns dann bezeichnen? Eine Realität, für die es kein Wort gibt, wird von der Sprache geleugnet und gerät deren Sprechern aus dem Blickfeld. Wir wollen nicht geleugnet werden. Uns gibt es! Auch wenn das unbequem ist. Was es gibt, muss gesagt werden dürfen.

Thelma von Freymann, Diekholzen

© SZ vom 16.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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