Weitere Leserbriefe:Von Recht und Gerechtigkeit

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Ein Leser erläutert seine Zweifel an der Weisheit des EuGH-Urteils zum europäischen Haftbefehl, ein anderer plädiert für den Verbleib der Aldi-Filiale in der Markthalle Neun in Kreuzberg - zum Wohle der Vielfalt und Lebendigkeit.

Kontrolle, nicht Isolierung

Zu " Politisches Recht" vom 1./2. Juni: Heribert Prantl hat das EuGH-Urteil zum europäischen Haftbefehl überzeugend dargestellt und kommentiert - und doch bleiben Zweifel an der Weisheit des Urteils. Der Gerichtshof ist besorgt, dass die deutsche Staatsanwaltschaft beim EU-Haftbefehl durch "die Politik" beeinflusst werden könnte. Nach deutschem Demokratieverständnis ist aber "die Politik" - genauer: die demokratisch gewählte Regierung - für die Durchsetzung von Rechtsnormen verantwortlich; versagt sie dabei, kann sie von den Wählern bestraft werden. Ein wesentlicher Unterschied zu den Gerichten, der deren völlige Weisungsfreiheit rechtfertigt, besteht darin, dass diese nur auf die Initiative anderer hin tätig werden; sie dürfen nicht aus eigenem Entschluss ermitteln. Wenn die Staatsanwaltschaft vollkommen frei entscheiden darf, ob sie eine Handlung verfolgen oder eben einen EU-Haftbefehl ausführen will, kann niemand dafür rechtlich zur Rechenschaft gezogen werden. Umgekehrt - also wenn ein Staatsanwalt übereifrig ermittelt oder verfolgt - können die Betroffenen Rechtsschutz bei einem Gericht erlangen.

Mir ist nicht klar, was aus den vom Autor genannten Fällen (Strauß, Kohl, Wulff, Gysi, Edathy, Maas) für die Entscheidungsfrage folgt. Die Ermittlungen gegen den Bundespräsidenten Wulff waren doch unverhältnismäßig und hätten theoretisch vom zuständigen Justizminister gestoppt werden können, was der aber wohl kaum getan hätte - aus Furcht vor dem Vorwurf politischer Begünstigung. Edathy ist schon durch das Bekanntwerden der Ermittlungen politisch hingerichtet worden; von einer Anweisung ist nichts bekannt. Für die Politik dürfte es sehr bequem sein, in solchen Fällen auf die Justiz zu verweisen. Die völlige Trennung von "Recht" und "Politik" wird aber auch bei Wegfall des Weisungsrechts nicht zu erreichen sein. Wenn das Parlament und die Regierung keinerlei Einfluss auf die Besetzung der Richter- und Staatsanwaltsstellen mehr hätten, wären wir in einem Ständestaat mit Selbstergänzung der Justiz. Wäre das besser? Das Ziel vollständiger gegenseitiger Isolierung ist selbst fragwürdig.

Wenn wir Demokratie wollen, müssen Gerichte und Staatsanwaltschaften demokratisch legitimiert handeln. Gewaltenteilung heißt nicht, die politischen und rechtlichen Befugnisse auf verschiedene Träger aufzuteilen und diese gegeneinander abzuschotten, sondern ein austariertes System von Checks and Balances zu erhalten. Die auch vom EuGH bestärkte Tendenz, Behörden unabhängig zu stellen, macht die Bürger nicht stärker. Und wenn die polnische Regierung die Unabhängigkeit der Gerichte abbaut, damit der "Wille des Volkes" sich auch in der Justiz durchsetzen könne, zerstört sie dieses System der gegenseitigen Kontrolle und Beeinflussung.

Hans Peter Bull, Hamburg

Eine Halle für alle

Zu " Recht und billig" vom 25./26. Mai: Was Kreuzberg bisher auszeichnet, ist die Fähigkeit seiner Bewohner, trotz aller Unterschiede gedeihlich miteinander auszukommen. Warum also "den Aldi", der seit über 40 Jahren in der Markthalle Neun seinen Platz hat, nicht neben dem Austernstand und dem Biobauer lassen? Übrigens ist die Aldi-Filiale in der Halle kaum sichtbar. Jedenfalls wirkt sie weniger auffällig als etwa der Käseladen am Haupteingang, wo man für hundert Gramm belgischen Ziegenkäse 4,30 Euro berappen muss.

Es drängt sich durchaus der Eindruck auf, dass es letztlich weniger um Aldi geht als um dessen Kunden. Leute, die dort kaufen, weil sie oft ein schmales Portemonnaie haben, passen offensichtlich nicht richtig zu dem trendigen zahlungsfähigen Publikum, das sich in der Markthalle und drumherum breitmacht. Als 2012 neue Betreiber die Halle übernahmen, versprachen sie, "eine Halle für alle" zu schaffen. Dieses hehre Ziel droht in sein Gegenteil umzuschlagen; denn mit der Schließung des Aldi-Ladens in der Markthalle würde der Stadtteil ein Stück seiner Vielfalt und Lebendigkeit verlieren.

Boris Peter, Berlin-Kreuzberg

© SZ vom 18.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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