Weitere Leserbriefe:Sichere Wege, sicher im Sattel 

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Ein Leser nennt Gründe, die gegen Fahrradhelme sprechen. Ein weiterer erklärt, warum die Aufklärung oft ihren Erwartungen nicht gerecht wurde und warum sie sogar zu Entmündigung führen kann.

Es fehlt an sicheren Wegen

Zu " Deckel drauf" vom 8./9./10. Juni: Im Artikel heißt es, dass es nur zwei Gründe gebe, keinen Fahrradhelm zu tragen: Es sei umständlich und nicht sehr schick. Das wichtigste Argument hat der Autor jedoch vergessen: Das Thematisieren des Helms hält viele Menschen davon ab, Rad zu fahren. Und das ist fatal, denn das sehr geringe Kopfverletzungsrisiko wird um Größenordnungen durch die positiven Effekte des Radfahrens aufgewogen. Die regelmäßige, im Alltag verankerte Bewegung beugt zuverlässig Herz-Kreislauf-Erkrankungen vor, hält Menschen bis ins hohe Alter fit und bringt Lebensqualität.

Wichtig für sicheres und angenehmes Radfahren ist nicht der Helm, sondern die Infrastruktur und Wegeleitung: Sind gute und breite Radwege vorhanden, sind Kfz- und Radverkehr ausreichend entflochten? Wie das vorbildlich geht, kann man in den Niederlanden sehen. Deswegen ist dort Fahrradfahren Teil des Alltags für alle Bevölkerungskreise, von den Kleinsten bis zum Greis, von der einfachen Arbeiterin bis zum Premierminister. Niemand trägt dort Helm, weil Radfahren einfach keine gefährliche Tätigkeit ist. Das gilt ebenso für Deutschland, auch wenn wir viel aufzuholen haben bei der Radinfrastruktur. Die Diskussion um die Helmpflicht lenkt nur davon ab, dass es Infrastruktur und Wegeleitung sind, die Unfällen vorbeugen und Radfahrende effektiv schützen. Und wer sich unbedingt gegen Kopfverletzungen schützen will, kann auch im Auto einen Helm tragen - dort ist das Risiko für schwere Kopfverletzungen sehr viel höher als auf dem Rad.

Gero Walter, Brandenburg

Aufklärung und Entmündigung

Zu " Die fehlbare Vernunft" vom 31. Mai: Wie Platon in seinem Sonnengleichnis, so verklammert Immanuel Kant in seiner kritischen Philosophie auf der Grundlage des Kenntnisstandes seiner Zeit Ontologie, Epistemologie und Ethik zu einer schlüssigen Einheit. Das macht die Faszination seiner Überlegungen aus. Gerade die ersten Sätze der Vorrede zur A-Ausgabe seiner "Kritik der reinen Vernunft" strahlen eine Aufbruchstimmung aus, als sei ein neues Zeitalter angebrochen.

Missionen der Aufklärung gab es in der Geschichte wiederholt, aber sie wurden rückblickend den großen Erwartungen nicht gerecht. Rund 260 Jahre vorher hatte Martin Luther versucht, durch seine Übersetzung der Heiligen Schrift in die Volkssprache die Christen aus ihrer Abhängigkeit von der päpstlichen Auslegung zu befreien und zum Selbstdenken zu befähigen. Doch wohin hat die Kenntnis des Wortlautes der Bibel geführt? Noch immer verstehen wir vieles nicht ohne Hilfe. Statt von Priestern lassen wir uns heute die Schrift von Wissenschaftlern erklären.

Ähnlich ist es mit der Aufklärung des 18. Jahrhunderts gelaufen. Sie hat Wissenschaft und Technik begleitet und beflügelt und am Ende zu einer Komplexität geführt, die nur noch durch Spezialisierung und in Teams beherrschbar ist und die den Einzelnen zum Fachidioten macht. Ein aktuelles Beispiel sind die Auswirkungen von Emissionen auf das Klima. Sie sind nur noch als Ergebnisse von hochkomplizierten Klimamodellen einzuschätzen. Nicht umsonst werden wir immer wieder daran erinnert, dass es keine einfachen Lösungen gebe, und vor Vereinfachungen gewarnt. Die Aufklärung hat also nicht nur zu Mündigkeit, Selbstständigkeit und Glück geführt. Mindestens in gleichem Maße ist sie auf Entmündigung, Knechtschaft oder sogar Vernichtung von Menschen hinausgelaufen.

Doch sind Erkenntnis, Wissenschaft und Technik nicht gleichbedeutend mit Aufklärung. Erkenntnis hat ihre Grenzen und muss solche Grenzen haben, um nicht in metaphysische Selbstwidersprüche zu verfallen. Die Grenze ist nach Kant durch die Gegenstände möglicher Erfahrung gegeben. Jenseits der Grenze des Empirischen sind freier Wille und göttliche Gnade möglich. Auch das ist Aufklärung im Sinne Kants, und daher können nur Akte guten Willens das Projekt der Aufklärung vollständig verwirklichen.

Dr. Rainer von Mellenthin, München

© SZ vom 19.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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