Weitere Leserbriefe:Alle blind

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Wie wurde aus dem Pfleger Niels Högel ein Serienmörder? Und warum hat das niemand bemerkt? Damit beschäftigt sich eine Leserin aus Biburg. Ein anderer Leser macht sich über die Spielzeugindustrie Gedanken und die Auswirkungen auf die Kinder.

Der Klassenkampf geht weiter

"Radikal" vom 1./2. Dezember: Jagoda Marinic schreibt: "Die Infrastruktur (meine Anm.: nicht nur das, sondern fast das ganze Bruttosozialprodukt!) erarbeiten die vielen. Den Profit kassieren die wenigen." Im nächsten Absatz dann: "Aus diesem Grund bleibt die soziale Frage zentral." Daraus den Schluss zu ziehen, der Klassenkampf sei gegen das Kapital verloren, ist ein grundlegender Irrtum.

Auch wenn es manchem heute so erscheinen mag, dass das Finanzkapital und die großen Konzerne das Geschehen auf der Erde beherrschen, zeigt eben die Reaktion der Menschen, die davon betroffen sind, immer wieder die Auflehnung und den Widerstand dagegen. Die gesamte europäische Massenbewegung gegen TTIP, Wasserprivatisierung, gegen die G-7- und G-20-Repräsentanten wie jetzt in Argentinien und die großen Proteste in München beweisen: wo Unterdrückung, Repression und verschärfte Ausbeutung da ist, da ist auch Widerstand dagegen. Wenn in einer Reihe von Ländern Europas, Amerikas und anderswo Regierungen an die Macht kamen, die einen Rechtsruck zum Programm haben, zeigt das nur, dass dort die bisherigen Eliten abgewählt wurden, die den üblichen Neoliberalismus vertraten. Sämtliche Schichten der Bevölkerung sind verunsichert - eine ganze Reihe läuft dann hinter rechten Rattenfängern her. Dies ist eben nicht eine Stärke des Kapitals. Die "sanften" Methoden der finanziellen Durchdringung, Korruption und Schaffung von Abhängigkeiten greifen immer weniger. Zwangsweise wird das Kapital auch immer radikaler.

Alle Erscheinungen, die wir weltweit beobachten können - von der globalen Erwärmung, der Abholzung von Regenwäldern, dem Neokolonialismus in Afrika und Asien bis zu Massenentlassungen durch große Konzerne -, beruhen darauf. Ab hier muss ich dann wieder Jagoda Marinic beipflichten: nur wenn der Mehrheit der Menschen, die auf der anderen Seite der Barrikade stehen, bewusst wird, dass sie dieses Übel von der Wurzel her - was ja "radikal" bedeutet - anpacken müssen, wird es eine Änderung geben. Aber das Agieren der großen Kapitalverbände und der mit ihnen verbundenen Regierungen treibt eben die Millionen Menschen jedes Mal erneut zum Widerstand und zur Erkenntnis, dass eben der Klassenkampf nicht beendet ist.

Bernhard Feilzer, Gilching

Daddeln statt spielen

" Rasen und schlittern" vom 4. Dezember: Die Problematik der Spielzeug-Industrie liegt nicht nur daran, dass Läden in Städten aufgrund steigender Mieten unrentabel werden oder einer nicht vorhandenen richtig guten Online-Plattform stattdessen. Der Homo ludens stirbt vielleicht aus. Vielen fehlt Zeit und Geld, um sich mit den Kindern und einem Spiel genüsslich das Wochenende zu versüßen. Dass die Kinder vom Nachbarn dazugehören, war zu meiner Zeit selbstverständlich. Auch Spielen ist etwas, an das Kinder herangeführt und wozu sie angeleitet werden müssen. Heute daddeln die Kids an PC und Handy oder hocken vor der Glotze. Kulturelle Werte wie gemeinschaftliches Singen und Spielen und die damit verbundene Identitätsbildung oder Persönlichkeitsentwicklung gehen verloren.

Theo Waldhauer, Hamburg

Abgestumpft und feige

" Wieso ich so empathielos wurde? Ich weiß es nicht" vom 22. November: Was mich in dieser Berichterstattung fassungslos macht und aufregt, ist, dass sich anscheinend niemand Gedanken darüber macht, wie so etwas in diesem Umfeld geschehen konnte und jederzeit wiederholbar zu sein scheint. Die Tat eines einzigen Menschen (man muss Niels Högel wohl trotzdem so bezeichnen) ist das eine: Fehlgeleitet, psychisch krank. Das andere ist aber, dass zig versierte Personen diesem Geschehen ohne jegliche Reaktion zusahen. Mir kann keiner weismachen wollen, dass das niemandem auffiel. Ist dieses Verhalten nicht ebenso empathielos, abgestumpft, feige? Und wo ist die Justiz? In was für einer Gesellschaft leben wir?

Ute Dingelmaier, Biburg

© SZ vom 13.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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