Weitere Briefe:Eigentum verpflichtet

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Muss man die Großzügigkeit einer Millionenerbin, die einen Teil ihres Vermögens dem Staat geben will, loben oder darf man es auch kritisieren?

"Reiche Menschen fragt man, ob sie gerne Steuern zahlen, und arme Menschen haben immer alles herzugeben", sagt Marlene Engelhorn. (Foto: Lorena Sendic Silvera)

Eigentum verpflichtet

Zu "Ich wurde in die richtige Familie geboren" vom 24./25./26. Dezember:

Darf man jemanden kritisieren, der auf 90 Prozent seines ererbten Vermögens verzichten und es der Gesellschaft zurückgeben will? Ich finde schon. Es ist nachzuvollziehen, dass Marlene Engelhorn nicht von allen Leuten angebettelt werden möchte und deshalb den Staat darum bittet, ihr die unnötig viele Knete abzunehmen. Aber eine Heldentat ist das nicht. Es bedeutet ein unauffälliges "Weiter so". Sagen wir es salopp: Straßen asphaltieren, neue Baugebiete ausweisen, Panzer kaufen... Und mit ihren verbleibenden Millionen kann sich Frau Engelhorn immer noch zwei Schnitzel leisten.

Viel sinnvoller wäre es, anstelle einer Tax-me-now-Initiative eine APO zu installieren, eine außerparlamentarische Obligation. Es gibt endlos Defizite, die auch durch langwierige Budgetverhandlungen der öffentlichen Hand nicht bewältigt werden. Warum spricht Frau Engelhorn so despektierlich über ein "gönnerhaftes Charity-Wesen"? Fällt ihr nichts ein, was sich mit ihrem Geld anstellen ließe? Statt einer Stiftungsprofessur könnte sie eine Stiftungspflege finanzieren, um das unterbezahlte Corona-Klinikpersonal zu unterstützen. Ein Projekt könnte sein, sich systematisch um die vielen leer stehenden Häuser in den Ortsmitten zu kümmern und günstig an Familien zu vermieten, ein anderes sind die nicht mehr ersetzten Alleebäume, ein kostenloser E-Bus, die marode frühgotische Kirche in unserem Nachbarort...

Eigentum verpflichtet auch, über seine Verwendung nachzudenken. Es gäbe so viel zu tun, da kommt die Dame gar nicht weit mit ihrem bisschen Schotter.

Dr. Ing. Wolfgang Bachmann, Deidesheim

Sinkender Lebensstandard

Zu "Über Nacht von 13 Mark auf 13 Euro" vom 28. Dezember:

Es scheint ein sehr großes Missverständnis darüber zu geben, wie die Inflation berechnet wird. Es geht nicht darum, wie viel etwas teurer geworden ist, sondern wie viel mehr für etwas ausgegeben wird. Nehmen wir zum Beispiel der Einfachheit halber an, der Warenkorb besteht nur aus Bananen. Und der Preis für Bananen verdoppelt sich im Laufe eines Jahres. Das bedeutet, sollte man meinen, eine Inflationsrate von 100 Prozent.

Aber wenn die Hälfte der Leute aufhört, Bananen zu kaufen, weil sie sich diese nicht mehr leisten können, dann wird für Bananen genauso viel Geld ausgegeben wie noch vor einem Jahr. Die Inflationsrate beträgt dann null Prozent (keine Inflation) und nicht 100 Prozent.

Meine Beobachtung bei der Einführung des Euro war, dass ein Großteil der Bevölkerung Verzicht geübt hatte. Bananen kauften sie nicht mehr bei Edeka oder Rewe, sondern bei Aldi oder Lidl oder gar nicht. Sie tranken kein Löwenbräu mehr, sondern Oettinger etc. Der "Teuro" drückte sich nicht in einer hohen Inflationsrate aus, sondern in einem sinkenden Lebensstandard.

Willem van Rooijen, Grafrath

© SZ vom 04.01.2022 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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