Vollverschleierung:Wie viel Freiheit nimmt der Nikab?

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Natürlich können muslimische Frauen und Mädchen in Deutschland Kopftuch tragen, wenn es ihnen wichtig ist, schreiben SZ-Leserinnen und Leser. Aber für ein verschleiertes Gesicht bringen sie kein Verständnis auf.

SZ-Zeichnung: Karin Mihm (Foto: N/A)

Zu " Schwarzes, rotes Tuch" vom 6. Februar, " Streit um Vollverschleierung" vom 5. Februar und " Nikab in der Schule erlaubt" vom 4. Februar:

Mehr als ein Symbolstreit

Die gerne benutzte Wendung "nur ein Stück Stoff" im sogenannten Kopftuchstreit weitet Susanne Klein vom Kopftuch auf den Nikab aus. Einspruch! Es gibt einen deutlichen Unterschied zwischen beiden Textilien: Das Kopftuch bedeckt die Haare, verhüllt jedoch nicht das Gesicht. Der Nikab hingegen verhüllt seine Trägerin, und so ist es auch gewollt. Mir persönlich geht es so: Kopftuch okay, Vollverschleierung gar nicht okay.

Es ist meines Erachtens die freie oder vielleicht auch nicht so freie Entscheidung von muslimischen beziehungsweise zum Islam konvertierten Frauen, Kopftuch zu tragen, wann und wo sie es möchten. Auch im Beruf. Nun wird im Kommentar bagatellisiert, werden die Skeptiker quasi als Kleingeister vorgeführt mit der Frage, wie relevant denn der Streit um das Stück Stoff sei - entzündet am Urteil des Hamburger Oberverwaltungsgerichts, dass eine streng gläubige Schülerin sich auf "vorbehaltlos geschützte Glaubensfreiheit" berufen und vollverschleiert zum Unterricht erscheinen dürfe.

Ich bin linke Feministin und blase nicht ins Horn der Erzkonservativen und Rechtsradikalen, die von der Emanzipation der Frauen reden, wenn sie gegen den Islam hetzen. Über den weiblichen Körper wurden schon so viele politische Positionen verhandelt (sexuelle Selbstbestimmung, Schwangerschaftsabbruch etc.). Für mich ist die Diskussion um Vollverschleierung kein Symbolstreit, sie spiegelt vielmehr eine frauenfeindliche Realität, der ich Einhalt gebieten möchte - und zwar mit einer politischen Klarheit, die nicht wieder an der nächsten innerdeutschen Landesgrenze relativiert wird.

Allerdings brauchen wir Maßnahmen, welche die Wurzeln des Problems angehen, sonst sind ausschließlich die vom Verbot betroffenen Frauen und Mädchen die Leidtragenden. Vielleicht könnten das interkulturelle Projekte, Patenschaften und Aktivitäten sein, getragen von engagierten Musliminnen und Muslimen sowie auch von Nicht-Muslimen, die die Diversität im modernen Deutschland selbst sehr gut kennen und auch leben. Schon möglich, dass das naiv gedacht ist. Doch naiv der Vollverschleierung zuzuschauen ist kein Weg.

Carolina Brauckmann, Köln

Klare Grenzüberschreitung

Susanne Klein vertritt in ihrem Kommentar die Auffassung, dass durch das Nikab-Verbot ein Problem aufgeblasen werde, wo keines sei. Es mag zutreffend sein, dass es sich dabei bisher um Einzelfälle handelt, doch das waren Kopftücher bis vor einigen Jahren auch. Während es sich beim Kopftuch jedoch um ein legitimes Zeichen des Glaubens handeln mag, bin ich ganz entschieden der Meinung, dass durch den Nikab in einer liberalen, weltoffenen Gesellschaft bewusst eine Grenze überschritten wird.

Für mich steht fest, dass ich als Sprachenlehrer mit mehr als 25-jähriger Berufserfahrung mich weigern würde, eine Nikab tragende Schülerin zu unterrichten. Ich kann nicht in meinem Unterricht immer wieder die Bedeutung einer offenen Kommunikation unterrichten und vorzuleben versuchen, wenn sich jemand bewusst dieser Zielsetzung auf provokante Art widersetzt. Davon abgesehen, dürfte es in der Praxis unmöglich sein festzustellen, ob ich im Unterricht oder bei Prüfungen tatsächlich die betreffende Person vor mir habe. Darüber hinaus empfinde ich persönlich den Nikab als bedrohlich, da ich diesem Menschen nicht ins Gesicht sehen kann. Ich halte es daher für angemessen, Schulen und Universitäten durch ein Verbot des Nikabs eine klare Rechtsgrundlage zu geben, die eine quälende Einzelfallprüfung vermeidet, zumal der Nikab ansonsten im negativen Sinne 'Schule machen' könnte.

Ulrich Nauditt, Siegen

Es geht auch um Sicherheit

Zwei gravierende Punkte haben die Herren Richter in ihrem Urteil nicht in Betracht gezogen: Wer stellt sicher, wer sich unter dem Nikab verbirgt und garantiert die Sicherheit der Lehrkräfte? Sind die Lehrerin oder der Lehrer sicher, dass sich die gemeldete Person auch tatsächlich im Raum befindet? Angebracht in diesem Fall wäre, dass sich die Lehrer bei der Benotung auf den Standpunkt zurückziehen, dass keine Benotung stattfinden kann, da nicht einwandfrei festgestellt werden kann, wer sich hinter der Verkleidung befindet. Alle reden von Sicherheit an den Schulen, nur die Herren Richter entscheiden sich gegen Sicherheit. Also urteilten sie für den Nikab gegen Verlust der Sicherheit.

Helmut Schuessler, Augsburg

Religion soll Privatsache bleiben

Ich finde auch offen zur Schau getragene Symbole anderer Religionsgemeinschaften problematisch, weil sie nicht in erster Linie als Identifikationsmerkmal einer gesellschaftlichen Gruppe, sondern als Zeichen der Abgrenzung wahrgenommen werden (und wohl auch werden sollen). Eine großzügige Haltung gegenüber zur Schau getragener religiöser und weltanschaulicher Gruppenzugehörigkeit erleichtert gerade bei Kindern und Jugendlichen keineswegs die gesellschaftliche Integration, sondern stärkt im Gegenteil bereits in der Grundschule Abgrenzungstendenzen und Vorurteile sowie eine Konkurrenz um die "beste Religion", die im Schulleben nichts zu suchen hat. Mein neunjähriger Enkel kann davon berichten.

Unsere Zivilgesellschaft funktioniert nur, solange Religion Privatsache ist und bleibt und das säkulare Recht mit seinen Prinzipien wie zum Beispiel die Gleichstellung von Mann und Frau nicht infrage stellt. Es sei daran erinnert, dass die übergroße Meinungsvormacht der christlichen Kirchen erst mit der Säkularisation beendet wurde, und zwar zum Vorteil für die Demokratie. Ich will nicht, dass durch eine vermeintlich großzügige Haltung des zivilen Gesetzgebers die faktische Meinungsmacht konservativer und tendenziell oder offen demokratiefeindlicher religiöser Gruppen gestärkt wird. Genau das befürchte ich für den Fall, dass das Tragen einer Ganzkörperverhüllung in der Öffentlichkeit geduldet wird, auch wenn Integrationsforscher teilweise zu milderen Ergebnissen kommen.

Rolf Schmuck, Erbach

Werte zeigen und umsetzen

Fast täglich lese ich, wie wichtig die Integration von Migranten für unser funktionierendes Zusammenleben sei. Alles leere Worte, wenn man die praktische Umsetzung betrachtet: Unsere Toleranz und Freiheit fällt den importierten "Werten" zum Opfer, eine langjährig entstandene Kultur, auf die wir angeblich so stolz sind, wird dadurch zunichte gemacht. Falls die Rechtsprechung es wirklich zulässt, dass Mädchen öffentlich verschleiert werden, sollte die Politik dringend Gesetze so gestalten, dass unsere Werte nicht nur hochgehalten, sondern umgesetzt werden.

Holger Nachtigall, Sachsenried

© SZ vom 29.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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