Verteidiungsministerin Lambrecht:Berechtigte Rücktrittsforderung oder Pseudo-Skandal?

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Zu viele Fauxpas hat sich Christine Lambrecht in ihrer Position erlaubt, meinen die einen. Andere halten dies für vorgeschoben und argwöhnen, dass die Vertreter ersterer Meinung keine Frau in dem Amt haben wollen.

Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) steigt aus einem Hubschrauber. (Foto: dpa)

"Der Ernst der Lage" vom 11. Mai und "Ministerin und Mutter" vom 12. Mai:

Menschen, keine Kampfroboter

Ja, die Lage ist ernst, sehr ernst sogar, und zwar der Umgang der Journalisten mit unseren Politikerinnen. Es ist richtig und notwendig, Lügen, Betrug und kriminelle Handlungen aufzuspüren und zu veröffentlichen. Was nicht geht, ist das penible Verfolgen vermeintlicher Fehlhandlungen und privater Angelegenheiten der Politiker. Was hat ein Besuch im Nagelstudio mit der Qualifikation als Ministerin zu tun? Auch das Missbilligen eines korrekt angemeldeten Hubschrauberfluges ist als Argument für eine fehlende Eignung mehr als schwach und eigentlich lächerlich.

Ja, unsere Regierung besteht aus Menschen und nicht aus Kampfrobotern. Während wir gemütlich weiterleben, verlangen wir von Politikern und Politikerinnen Perfektion, Allwissenheit und einen asketischen Lebensstil. Und wehe, sie verhalten sich nicht danach. Legen Sie auch an Ihre berufliche Tätigkeit so hohe moralische Maßstäbe an? Besonders die weiblichen Mitglieder der Regierung stehen unter Beobachtung, ob sie auch geeignet sind, und werden wegen Kleinigkeiten verurteilt und abqualifiziert. Anschließend wird sich gewundert, dass keine Frauen in die Politik gehen. Als ob wir jetzt keine anderen Herausforderungen gemeinsam meistern müssten.

Susanne Fleißner, Germering

Kein Fingerspitzengefühl

Helikopter und Eltern ist in mehrfacher Beziehung nicht gut. Kaum zu glauben, was die Verteidigungsministerin da so tut. Aber immerhin hat ihr Hubschrauber funktioniert, wo doch bei der Bundeswehr so viel repariert werden muss.

Dr. Jens Brökelschen, Schwerte

Der Lobby im Weg

Ich finde es nicht schlüssig, wenn Mike Szymanski schreibt, dass Olaf Scholz Christine Lambrecht als Verteidigungsministerin berief, weil sie als anerkannte Justizministerin geeignet erschien, sich schnell ins Vergaberecht einzuarbeiten, um Rüstungsprozesse zu beschleunigen, sie nun entlassen soll, da 100 Milliarden Euro in die Bundeswehr investiert werden sollen. Gerade jetzt müsste sie bei der 100-Milliarden-Beschaffung wegen ihrer Fähigkeit, sich in das Vergaberecht einzuarbeiten, ihr Amt behalten. Sie muss aber wohl weg, weil sie der Lobby im Wege steht. Und da macht man aus einem mütterlich korrekten Handeln und der wahrscheinlich wahnsinnig langen Zeit, die es braucht, um die Fingernägel rot zu färben, eine Rücktrittsforderung.

Udo Peplow, München

Pleiten, Pech und Pannen

Eigentlich wollte Christine Lambrecht nach der Legislatur im September 2021 wieder zurück in ihren Traumberuf als Anwältin. Doch dann fehlte Kanzler Scholz eine Frau im Kabinett, um die versprochene Quote einzuhalten. Da das Verteidigungsministerium der SPD zustand, wurde die ausgewiesene Fachfrau Marie-Agnes Strack-Zimmermann, weil von der FDP, nicht berücksichtigt. Und so kam Lambrecht, ohne jede Ahnung von der Bundeswehr, zum Posten der Verteidigungsministerin wie die Jungfrau zum Kind.

Bis heute macht sie den Eindruck, als ob ihr der Job auf der Hardthöhe zuwider wäre. Angesichts der Liste der Peinlichkeiten und Pannen der Ministerin wirkt die Versicherung eines Parteigenossen fast schon wie Hohn, sie habe sich inzwischen knietief in die Materie eingearbeitet. Knietief steckt Lambrecht allerdings in einem Sumpf aus Pleiten, Pech und Pannen, in dem sie mit bemerkenswerter Konstanz wühlt.

Es begann damit, dass sie bei Amtsantritt naiv fragte, ob sie sich denn alle Dienstgrade merken müsse. Erwähnt aus der langen Liste der Pannen sei noch die inzwischen legendäre Realsatire um die 5000 Helme, die Lambrecht als überzeugendes Zeichen der Bundesrepublik für die Ukraine verstanden haben wollte: "Wir stehen fest an euerer Seite." Lustig beziehungsweise traurig auch, dass eine Verteidigungsministerin die "Deutsche Marine" als "Bundesmarine" bezeichnet. So redet jemand, der von Tuten und Blasen keine Ahnung hat. Zu allem Überfluss behielt sie auch noch die im Justizministerium lieb gewonnene Praxis auch im neuen Amt bei, nämlich dass sie ihren Sohn auf Dienstreisen mitnahm. Der Sohnemann sah etwas von der Welt und durfte die Frau Mama unter anderem nach Portugal, Finnland und Frankreich begleiten. Als vorläufigen Höhepunkt lieferte Frau Lambrecht jüngst an Ostern eine Urlaubsreise nach Sylt. Sie nutzte die Anreise zu einem Besuch des Materiallagers Ladelund und des Bataillons Elektronische Kampfführung 911 in Bramsledtlund, die zufällig auf dem Weg nach Sylt liegen. Lambrecht flog also mit dem Bundeswehr-Heli nach Ladelund, besuchte den "bedeutenden" Stützpunkt Bramsledtlund und setzte von dort die Reise zum nur 21 km entfernten Autozug nach Sylt fort. Fiel etwa die Wahl auf Ladelund wegen der Nähe zum geplanten Urlaubsziel Sylt? Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Ungeschickt postete der Sohn, der natürlich auch an Bord war, ein Foto aus dem Bundeswehr-Helikopter mit Ostergrüßen ans Fußvolk.

Selten trat mit einer dermaßen entwaffnenden Radikalität die Untauglichkeit für ein Amt so schonungslos zutage wie bei Christine Lambrecht. Kanzler Scholz sollte gemäß seinem Amtseid Schaden vom deutschen Volk abwenden und Lambrecht von ihrem Amt erlösen.

Josef Geier, Eging am See

Unfair

Wo ist der Skandal? Wer wurde geschädigt? Oder soll gesagt werden, Amtsträger dürfen Privates mit Dienstlichem auch dann nicht verquicken, wenn es nach der Lebenswirklichkeit naheliegt und bezahlt wird? Lambrechts Sohn hätte die Strecke mit dem eigenen Auto oder der Bahn fahren sollen? Die Frage sei erlaubt, wie das dann mit Ehepartner zu handhaben ist, wenn also der Bundespräsident "mit Gattin" reist oder der Wirtschaftsminister auf seine Reisen scharenweise Lobbyisten mitnimmt.

Und dass gerade Friedrich Merz den Zustand der Bundeswehr beklagt und als Verantwortliche Christine Lambrecht nach vier Monaten Amtszeit ausmacht, hat schon groteske Züge angesichts der epochalen Leistungen ihrer Vorgängerinnen. Nun auf Lambrecht einzuschlagen, ist unfair und unangebracht, zumal in Anbetracht der anstehenden Probleme und Aufgaben.

Thomas Przibilla, Rodgau

Geschmacklos

Was meint Szymanski mit "Der Ernst der Lage"? Den Ernst der politischen Lage? Den Ernst der Lage von Verteidigungsministerin Lambrecht? Den Ernst der Lage von Bundeskanzler Olaf Scholz? Leider kann man den Kommentar nicht wirklich ernst nehmen, man kann nicht einmal darüber lachen, denn er ist nur peinlich.

Dass Lambrecht ihren offenbar erwachsenen Sohn auf Dienstreise(n) mitnimmt, kann man kritisieren, auch wenn die Mitnahme von (gleich- oder heterosexuellen) Ehepartnern durchaus goutiert wird von den Medien, und die Kritik reichlich kleinkariert wirkt, wenn stattdessen andere Familienmitglieder mitfliegen. Aber sei's drum.

Eher kindisch wird es, wenn man liest, welche Fehltritte der Autor als Sprachrohr von vermutlich männlichen Uniformträgern der Verteidigungsministerin vorhält. Da soll sie nicht wissen, dass es nicht mehr "Bundesmarine" heißt, sondern "Deutsche Marine". Ja, Raider heißt jetzt Twix, oder war es umgekehrt? Wer weiß, vielleicht heißt sogar die "Bundeswehr" inzwischen gar nicht mehr Bundeswehr, sondern "Deutsche Wehr", ohne "-macht" hoffentlich, und ich habe das, obwohl täglich sorgfältiger Zeitungsleser, auch der SZ, tatsächlich nicht mitgekriegt. Shame on me!

Der nächste Fauxpas: Christine Lambrecht weiß nicht, dass die erstmalige Installierung einer deutschen "Frau General" außerhalb des Sanitätsdienstes "schon wegen der komplizierten Laufbahnwege in der Bundeswehr" so schnell nicht zu schaffen ist. Ist ja klar, in der Bundeswehr kann nur jemand oben etwas werden, der auch unten "jedient" hat, und das haben Frauen bisher halt nur in kleiner Zahl. Passen ja auch nicht in unsern Männerhaufen, nicht wahr.

Und das Höchste: Christine Lambrecht wurde kurz nach Kriegsausbruch "im Nagelstudio gesichtet". Ein anständiger "Verteidiger" hat vielleicht vom "Hineinwühlen in die Arbeit" Schwarz unter den Nägeln, aber doch keinen Lack obendrauf (womöglich gar noch in Sowjet-Rot). "Ist Lambrecht die Richtige fürs Ministerium? Nein, ... Es war ein Fehler von Scholz, eine Person zu wählen, die von der Bundeswehr überhaupt keine Ahnung hat", so der Kommentar. Ist da nicht was falsch an dem Satz, statt "Person" "Frau"? Wollte der Autor nicht in Wirklichkeit sagen: Es war ein Fehler von Scholz, eine Frau zu wählen, die von den Sitten und Gebräuchen in der Bundeswehr keine Ahnung hat? Machohaft geschmacklos. Zum Fremdschämen!

Kaspar Apfelböck, Schwabach

Strukturänderung wäre nötig

Zugegeben, bei der "Mitnahmeaktion" haben Christine Lambrecht alle guten politischen Geister verlassen. Sie hätte wissen müssen, wie sich die Meute gerade in diesen Zeiten auf so etwas stürzt. Dann spielt es keine Rolle mehr, ob das formal korrekt war oder nicht. Die Ministerin hatte einen Start, den ich keiner Führungsperson wünsche. Das Justizministerium hat sich die FDP geholt. Als "Quotenfrau" in ein Ministerium gedrängt, von dem jeder weiß, dass daraus selten Meriten wachsen - es sei denn, man heißt von der Leyen -, dann in einen Krieg gestürzt, in dem es plötzlich nicht bestellte Kriegsminister und -ministerinnen (Baerbock, Strack-Zimmermann und Hofreiter) gab. Diese werden vom Flakhelfer Andrij Melnyk (ukrainischer Botschafter) mit Munition gefüttert und veranstalten ein Dauerfeuer auf alle, die nicht "auf Linie" sind. Und dann noch ein Chef, der zumindest nicht postwendend alle Forderungen aus Kiew erfüllt, sondern erst mal darüber nachdenkt.

Ich kann nur vermuten, warum die Ministerin in den ersten Monaten sehr unsicher wirkte. Aber verdenken kann ich es ihr nicht, wenn sie von so vielen Alleswissern umgeben ist, die ständig die "alternativlosen" Maßnahmen erklären. Vielleicht ist sie wirklich falsch in dieser Position. Aber die Rücktrittsforderungen wegen des "Skandals" sind unangemessen und geschichtsvergessen. Die Liste der Versager und Versagerinnen in diesem Amt ist sehr lang. Vor nicht allzu langer Zeit hat es eine Ministerin geschafft, neben anderen Geld verbrennenden Aktivitäten auch noch einen achtstelligen Betrag in ein Kriegsgerät zu investieren, das vielleicht Sir Francis Drake beeindruckt hätte. Und wo sitzt die Dame jetzt?

Mike Szymanski hätte schon vor Langem die Frage aufwerfen können, wer daran schuld ist, dass die Bundeswehr, die über einen vergleichbaren Etat verfügt wie die Armeen Frankreichs und Großbritanniens, "blank" ist. Christine Lambrecht kann es ja nicht gewesen sein. Ist es nicht sinnvoller, bevor man Geld in ein Loch wirft, dieses zu schließen? Ohne gründliche Strukturänderungen wird Lambrecht nichts erreichen können. Und ohne entsprechende Unterstützung der Regierung wird der Militärapparat zu keinem Zugeständnis bereit sein. Aber die Regierung ist seit Monaten damit beschäftigt, Waffen zu liefern, die sie eigentlich "gar nicht hat". Jetzt muss Olaf Scholz wie seine kongeniale Vorgängerin sagen: "Ich stehe hinter Ihnen." Dann ist der Drops gelutscht.

Thomas Spiewok, Hanau

© SZ vom 19.05.2022 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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