Verkaufsoffener Sonntag:Da gehört der Vati uns

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Große deutsche Warenhauskonzerne fordern, den Sonntag generell für den Verkauf zu öffnen - auch um der Konkurrenz des Internets etwas entgegensetzen zu können. Zwei Leser sind strikt dagegen und untermauern das mit dem Beispiel Polen und Köln.

"Offen für alles" vom 30. Mai:

In Polen ein Desaster

Es ist schon eine fast perfide zu nennende Umkehrung der Perspektive, wenn von Karstadt und Kaufhof unter dem Motto eines "selbstbestimmten Sonntags" die Forderung nach verkaufsoffenen Sonntagen gestellt wird. "Samstags gehört Vati mir", lautete die Forderung zum 1. Mai 1956 des

Deutschen Gewerkschaftsbundes. Karstadt und Kaufhof reduzieren jedoch die Selbstbestimmung auf wirtschaftliche Konzerninteressen. Karstadt-Chef Stephan Fanderl scheint mit seinem "Ziel, den Sonntag wieder denen zu geben, denen er gehört: den Kunden, Mitarbeitern und Händlern" die Lebensperspektive seiner Mitarbeiter einzig in einer unbegrenzten Arbeitszeit zu sehen. Sein Verweis auf die kaum reglementierten Ladenschlusszeiten in Polen unterschlägt die Sichtweise der betroffenen Mitarbeiter und Besitzer kleiner Einzelhandelsläden. Überdimensionierte Supermärkte, sogenannte Hypermärkte haben in Polen ganzjährig 24 Stunden geöffnet. Die daraus resultierende Schichtarbeit bedeutet für die Mitarbeiter und deren Familien eine enorme psychische Belastung. Wochenenden sind in den Familien nur unter großen Schwierigkeiten als gemeinsam verbrachte Freizeit planbar. Die Öffnung der Supermärkte hat darüber hinaus die in Polen vorhandene Vielzahl kleiner Einzelhändler unter enormen wirtschaftlichen Druck gesetzt. Sie sehen sich ebenfalls zur Öffnung ihrer Läden an Wochenenden gezwungen, ohne dass sie adäquaten Gewinn erwirtschaften.

Vor diesem Hintergrund ist die Forderung der Pis (Partei für Recht und Gerechtigkeit) nach Schließung der Läden an Sonntagen zu verstehen. Für die Wähler war weniger die klerikale Begründung von Parteichef Jarosław Kaczyński entscheidend, der den Bürgern den sonntäglichen Kirchgang nahelegte, als die Aussicht auf planbare freie Wochenenden. Dr. Mathias Wagner, Berlin

Reserviert für Erholung

Mir scheint, dass die Kaufhaus-Chefs nicht wissen, in welchem Land sie leben. Wer, wie Karstadt-Chef Stephan Fanderl fordert, den Sonntag wieder denen zu geben, denen er gehört: den Kunden, Mitarbeitern und Händlern, stellt sich über das Grundgesetz, das den arbeitsfreien Sonntag für alle, auch den Kunden, den Beschäftigten und ihren Familien und auch den Händlern als seelische Erbauung, sprich gesundheitliche Erholung, soziale Beteiligung, sportliche Betätigung, religiöse Entfaltung usw. vorgesehen hat. Die Kaufhaus-Chefs von KaDeWe, Kaufhof und Karstadt werden auch mit unzähligen Sonntags-Shoppings nicht den Internethandel, von dem gerade sie auch besonders profitieren, zurückfahren können; geschweige denn die Innenstädte nachhaltig beleben.

In Köln wurden mehr als sechzig Mal im Jahr die Geschäfte an Sonn- und Feiertagen geöffnet, weil die Kommunen den wirtschaftlichen Interessen und den angeblichen Konsumgelüsten potenzieller Kunden Rechnung trugen und nicht den gesetzlichen Vorgaben. Dank der Sonntags-Allianz von Verdi und Katholischer Arbeitnehmer-Bewegung steht nun wieder die gesetzliche Regelung im Vordergrund, die dem Anlass der Sonntagsöffnung einen höheren Stellenwert einräumt als Wirtschaftsinteressen. Konsum-, Profit- und Wirtschaftsinteressen dürfen nicht über individuelle Rechte und damit über den Menschen gestellt werden. Wie eine Bürgerinitiative in Münster im vergangenen Jahr gezeigt hat, ist die Mehrheit der Bevölkerung gegen weitere Sonntagsöffnungen. Und die einzelnen MitarbeiterInnen können eben nicht "selbstbestimmt" entscheiden, wenn Fanderl und Co. Sonntagsarbeit anordnen. Matthias Rabbe, Köln

© SZ vom 06.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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