Vaterunser:Ein Gebet, das verbindet

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Soll der Satz ,,Führe uns nicht in Versuchung" geändert werden in ,,Überlasse uns nicht der Verschung" oder ,,Lass uns nicht in Verschung kommen"? Was dafür und dagegen spricht.

Zu " Ein Anruf bei ... Paul Zulehner, der kein Problem damit hat, das ,Vaterunser' ein bisschen zu verändern" vom 31. Januar:

Es geht bei der Frage, ob man den Text des Vaterunsers ändert, nicht nur um Sprache, sondern auch um Inhalte und Haltung. Tauscht man das Wort "hineinführen", das dort im Matthäus-Evangelium steht, aus, gibt man damit auch den Gedanken auf, dass Gott mich in dem, was in meinem Leben geschieht, treu begleitet, was für viele Menschen tröstlich und motivierend ist. "Überlasse mich nicht der Versuchung" bedeutet so ungefähr das Gegenteil, nämlich dass ich grundsätzlich dem, was geschieht, ausgesetzt bin und Gottes Rettung darin besteht, mich gegebenenfalls vor Unbill zu bewahren. Es gibt viele gute theologische Gründe, das Vaterunser zu lassen, wie es ist. Dass man sich auf den biblischen Urtext bezieht, bedeutet, dass das Vaterunser Menschen verbindet, über alle Völkergrenzen hinweg.

Thorsten Gloge, Kremperheide

Hat Jesus wirklich gelehrt, "Führe uns nicht in Versuchung"? Der Jakobusbrief des Neuen Testaments steht dazu im Widerspruch. Dort heißt es: "Niemand sage, wenn er versucht wird, dass er von Gott versucht werde. Denn Gott kann nicht versucht werden zum Bösen, und er selbst versucht niemanden" (1,13). Der altgriechische "Urtext" des Neuen Testaments ist bekanntlich nicht der "Originaltext", sondern eine Übersetzung dessen, was Jesus in aramäischer beziehungsweise hebräischer Sprache gesagt hat. Jüdische Freunde erklären zu Recht, dass bis heute in den Synagogen - etwa im Abendgebet - gesprochen wird: "Lass mich nicht kommen in die Gewalt der Sünde, noch in die Gewalt der Schuld, noch in die Macht der Versuchung." Eine Rückübertragung ins Hebräische zeigt, dass das verwendete Wort nicht nur "führen" oder "bringen", sondern ebenso "kommen lassen" meint.

In diesem Sinne wäre es wahrscheinlich, dass Jesus, der bekanntlich Jude war, seine Jünger die Bitte lehrte: "Lass uns nicht in Versuchung kommen." Der griechische Irrtum im christlichen Vaterunser ließe sich vermeiden, wenn wir auf die "älteren Brüder" aus dem Judentum hörten und die übersetzungsbedingt verfremdete Vaterunser-Bitte korrigieren würden: "Und lass uns nicht in Versuchung kommen." Darin liegt doch die existenzielle Bedeutung: Was uns beängstigt und erschüttert, stellt unser Vertrauen auf die Probe.

Martin Schleske, Landsberg am Lech

© SZ vom 18.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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