Thilo Sarrazin:Wo ist der schwere Schaden für die SPD?

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Die SPD-Führung strebt ein Parteiausschlussverfahren gegen das SPD-Mitglied Thilo Sarrazin an. Leser sehen darin keinen Sinn. Einer meint, dadurch würde der Mann doch erst interessant.

Ihm steht ein Parteiausschlussverfahren bevor: SPD-Mitglied Thilo Sarrazin. (Foto: WDR/Max Kohr)

" SPD will Sarrazin loswerden - im dritten Anlauf" und " Was für Sarrazin spricht" vom 18. Dezember:

Ablenkung von der Krise

Normalerweise steht der innerparteiliche Feind der SPD links. Folgerichtig hat die SPD in ihrer Geschichte vor allem sogenannte Linksabweichler ausgeschlossen und zwar zuhauf. Der Fall "Sarrazin" bildet hier eine Ausnahme, vor allem auch deswegen, weil es der dritte Versuch eines Parteiausschlussverfahrens ist. Die ersten beiden Anläufe waren kläglich gescheitert.

Sarrazin wird vorgeworfen, durch seine Veröffentlichungen und Äußerungen gegen die Grundsätze der Partei verstoßen und ihr zugleich schweren Schaden zugefügt zu haben. Da Sarrazin allerdings kein Amtsträger ist, sondern nur "einfaches" Mitglied, kann sein Verhalten nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen einen schweren Schaden für die Partei anrichten. Ob seine zuweilen skurrilen, populistischen oder auch nur albernen Auslassungen den Tatbestand des Verstoßes gegen die Grundsätze der SPD erfüllen, wird man noch bejahen können.

Aber wo ist der schwere Schaden, der das Erscheinungsbild und das Ansehen der Partei in der Öffentlichkeit dadurch erheblich beeinträchtigt, dass Sarrazin im Zusammenhang mit seinen abstrusen Thesen auch und vor allem als SPD-Genosse wahrgenommen wird? Sein Bekanntheitsgrad als Sozialdemokrat dürfte vergleichsweise gering sein und wird erst durch den öffentlich bekannt gewordenen Beschluss des Parteivorstandes, gegen ihn vorzugehen, relevant. Mit anderen Worten: Der messbare Schaden für die Partei tritt womöglich erst durch das eingeleitete Parteiordnungsverfahren ein, ganz zu schweigen für den Fall seines Scheiterns.

Die Causa "Sarrazin" hat aber noch eine ganz andere Dimension. Sie soll offenbar ablenken von der schlimmsten Parteikrise, in der die SPD je gesteckt hat. Ob das gelingen wird, ist indes fraglich. Oder will die Parteiführung dem einfachen SPD-Mitglied Sarrazin vorwerfen, an dem gegenwärtigen Zustand der Partei schuldig zu sein? Wer hat eigentlich den Absturz der SPD von 32 Prozent im März 2017 auf den aktuellen Stand von 14 bis 15 Prozent (in den Umfragen) zu verantworten? Das war ja wohl nicht Sarrazin, sondern die jetzige Parteiführung, die jetzt das Ausschlussverfahren betreiben will. Korrekterweise müsste gegen den Parteivorstand und seine Vorgänger ein Parteiordnungsverfahren eingeleitet werden wegen Verstoßes gegen sozialdemokratische Grundsätze zugunsten einer hanebüchenen neoliberalen Politik.

Horst Isola, Bremen

Niedergang verfestigt

Manchmal erscheint Thilo Sarrazin wie der Überbringer der schlechten Botschaft, für die er bezahlen muss. Man braucht ja nicht alle steilen Thesen goutieren, aber in einigen Punkten seiner Migrationsskepsis hatte er schon 2010 recht. Zum Beispiel das niedrigere Bildungsniveau vieler nichteuropäischer Zuwanderer und mit ihm die höheren Soziallasten, deren höhere Kriminalitätsrate, die oft fehlende Integrationsbereitschaft. Wenn das alles nicht mit dem Verdikt der Bundeskanzlerin belegt worden wäre ("nicht hilfreich"), sondern in den politischen Diskurs Eingang gefunden hätte, hätte die Formel "wir schaffen das" 2015 vielleicht reüssiert. Mit dem Parteiausschlussverfahren verfestigt oder beschleunigt die SPD ihren eigenen Niedergang. Ungewollt und blind. Denn die Funktionärsriege ignoriert noch immer die Stimmungslage ihrer (ehemaligen) Stammwähler. Die reiben sich zwar auch an der Agenda, die Absetzbewegung leitete aber erst die Flüchtlingspolitik ein, ablesbar an den Wahlergebnissen. Daran würde zwar auch eine fortbestehende Mitgliedschaft Sarrazins nur wenig ändern, aber seine neue Stigmatisierung würde einen Lichtstrahl auf die aus Sicht der Basis inkompatible Ausländerpolitik der Partei werfen. Und die Entfremdung befeuern.

Christoph Schönberger, Aachen

© SZ vom 09.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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