SZ Werkstatt:Wie war es damals?

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Gernot Sittner, ehemals Chefredakteur, über die Erinnerungen eines Zeitzeugen zu den Anfängen der Zeitung.

Gernot Sittner, 82, kam 1964 zur SZ, erst für Lokales und Bildung zuständig, leitete dann 17 Jahre lang die Seite Drei. Von 1993 bis 2005 war der promovierte Philologe Chefredakteur der Zeitung. (Foto: Catherina Hess)

Gibt es noch jemanden, der die Gründung der SZ miterlebt hat?

Ines Choroba-Steinmetz, Leipzig

Ein Methusalem, der miterlebt hat, wie im Keller des Verlagshauses an der Sendlinger Straße vor 75 Jahren die erste SZ angedruckt wurde, ist meines Wissens nicht mehr unter uns. Aber Herbert Hess lebt noch, und er verkörpert mit seinen 91 Jahren das Gedächtnis der SZ. Er kam 1947, zwei Jahre nach dem Start der SZ, zur Zeitung, als Volontär - ohne die Voraussetzungen mitzubringen, die heutzutage für eine solche Ausbildung unabdingbar sind. Ein ordentlicher Abschluss war nicht möglich, weil die Schule 1945 aufhörte zu existieren. Zwei Jahre verdiente er sein Geld bei der Bayerischen Vereinsbank, aber Berufsziel blieb für den damals 19-Jährigen der Journalismus. Und er hatte Glück: Ein Ausbildungskandidat verzichtete, Hess konnte ins Volontariat nachrücken.

An eine Ausbildung nach heutigen Maßstäben war damals nicht zu denken. Volontäre mussten, ohne dass man sie gründlich instruiert hätte, Themen mit auswählen, Artikel redigieren, beim Umbruch helfen. Manchmal durften sie auch recherchieren. Als Herbert Hess zur Zeitung kam, bezog die Redaktion gerade den ersten Stock im Haus an der Sendlinger Straße. Die Redaktionskonferenzen mussten nicht mehr im Heizungskeller stattfinden. Von Werner Friedmann, damals in der Lokalredaktion, später Chefredakteur und einer der SZ-Gesellschafter, kam das Angebot, ein Textarchiv aufzubauen: Herbert Hess schlug ein und hatte damit seine Lebensstellung angetreten.

Mittlerweile werden Texte nicht mehr ausgeschnitten, aufgeklebt und in vielen Mappen gesammelt, sondern digital gespeichert, aber das Papierarchiv, das Hess und sein Team aufgebaut hatten, liefert der Redaktion auch heute immer wieder wertvolle Dienste. Zu den ersten Artikeln, die Hess archivierte, gehörte auch der Bericht "Die Geburt der ,Süddeutschen Zeitung'" in der SZ Nr. 2 vom 9. Oktober 1945. Der Vierspalter schildert die feierliche Übergabe der Zeitungslizenz an Edmund Goldschagg, Franz Joseph Schöningh und August Schwingenstein im Kleinen Rathaussaal, beschreibt die "symbolische Handlung" , als der Originalsatz von Hitlers "Mein Kampf" für die erste Druckplatte der SZ eingeschmolzen wird, und am Ende seiner Reportage lässt Werner Friedmann Oberst McMahon, damals Kommandeur des Nachrichtenwesens der US-Militärregierung, auf den Knopf der Rotationsmaschine drücken: "Die Motoren beginnen ihr stampfendes Lied, die Walzen drehen sich, die Papierrollen fliegen über die Druckplatten, um kurz darauf als fertige Zeitung ausgestoßen zu werden. Die ,Süddeutsche Zeitung' ist geboren."

(Foto: N/A)
© SZ vom 08.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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