SZ Werkstatt:Was den Job ausmacht

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Christina Hertel über Begegnungen mit Menschen, die man sonst nicht trifft, Orte, die man sonst nie besucht und kluge Gedanken von Gesprächspartnern - was die Arbeit in der SZ-Redaktion meist sehr kurzweilig macht.

Christina Hertel findet ihre Ideen für Artikel hauptsächlich hinter der Stadtgrenze Münchens. Seit ihrer Ausbildung an der Deutschen Journalistenschule schreibt sie vor allem für die SZ-Landkreisredaktion. (Foto: privat)

Woran merken Sie denn, dass es ein bisschen schöner ist, in der Zeitung zu arbeiten, als anderswo?

Anna Penninger, Zürich

Wie schön mein Beruf ist, merke ich besonders dann, wenn ich anderen darüber erzähle. Wenn mich zum Beispiel meine Mutter am Telefon fragt, was ich die Woche über alles so tun muss, und dann plötzlich ein Gespräch, das vielleicht schon ein wenig eingeschlafen war, wieder ins Rollen kommt. Denn als Reporterin bekomme ich Zugang zu Orten, an die andere Menschen nicht so einfach kommen. In den vergangenen vier Jahren besuchte ich Asylunterkünfte, wo geflüchtete Familien mit ihren vier Kindern in zwei Zimmern lebten - ebenso wie Villen von Reichen, wo die Badewanne in den Boden eingelassen war und die Wasserhähne golden glänzten. Ich fuhr Mähdrescher und Krankenwagen, ich spielte mit einem AfDler Golf und flog in einem historischen Flugzeug über München. Ich sprach mit Prostituierten und Obdachlosen, mit einem Mann, der beinahe einen Menschen tötete, und mit der Frau, die als erste Deutsche erfolgreich den Mount Everest bestieg. Und das Schönste war: Ich konnte all diese Menschen alles fragen, was mich interessierte.

Oft entstehen in solchen Gesprächen Momente von Nähe - obwohl sich eigentlich zwei Fremde gegenübersitzen. Manchmal geben mir die Leute dann ihre Lebensweisheiten mit, die wie Kalendersprüche klingen könnten, wenn sie nicht von dieser bestimmten Person stammen und in genau diesem Augenblick fallen würden. "Wer aufgibt, hat schon verloren", sagte zum Beispiel neulich ein 90-Jähriger zu mir, der gerade seinen 10 000. Kilometer auf dem Fahrrad geschafft hatte. Oder: "Wer ein Ziel im Leben hat, darf nie ,ich würde gerne' sagen, sondern immer ,ich will'." Das kommt von einem Hausarzt, der erst mit Mitte 30 sein Medizinstudium begann und heute mit Mitte 70 noch jeden Tag seine Praxis öffnet. Eine Prostituierte sagte mir, dass es keine Liebe ohne Leiden gebe, und eine Bergsteigerin, dass man im Leben und auf dem Berg nie den Moment verpassen dürfe, in dem es nicht mehr weitergeht und die Zeit gekommen ist umzukehren.

Solche Begegnungen machen mein Leben reich. Vielleicht erlebe ich als Autorin im Lokalteil sogar noch mehr Vielfalt als in anderen Ressorts. Denn ich bin keine Expertin für Rentenpolitik oder die Automobilbranche. Meine Themen ergeben sich manchmal von Woche zu Woche, manchmal von Tag zu Tag, und meine Gesprächspartner muss ich meistens persönlich treffen. Das kann stressig sein, doch zumindest geht einem dann der Gesprächsstoff nie aus. chrh

(Foto: N/A)
© SZ vom 24.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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