SZ Werkstatt:Warum so negativ?

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Kurt Kister über die Brisanz und Relevanz schlechter Nachrichten und die Kontrollfunktion von Medien.

Warum berichten Medien meist über Negatives?

Annette Baumeister, Leipzig

"Und immer wieder schickt ihr mir Briefe, / in denen ihr, dick unterstrichen, schreibt: / "Herr Kästner, wo bleibt das Positive?" / Ja, weiß der Teufel, wo das bleibt." Diese Strophe eines Gedichts, das Erich Kästner, Schriftsteller, Satiriker, Melancholiker, 1930 schrieb, zeigt auch, dass die Frage, warum so viele Nachrichten so schlecht zu sein scheinen, schon alt ist - so alt wie die dazugehörigen Anlässe. Das liegt wohl auch daran, dass Menschen ganz generell auf negative Nachrichten stärker reagieren.

Vor einem Jahr zum Beispiel ergab eine Studie der Universität von Michigan, die Probanden aus 17 Ländern verschiedene Nachrichten der BBC vorlegte, dass die Leute bei eher negativen News physisch messbare Reaktionen, etwa bei der Herzfrequenz, aufwiesen. Dies mag damit zusammenhängen, so meinen Evolutionsforscher, dass potenzielle Gefahren, die sich in negativen Nachrichten ausdrücken, eher wahrgenommen werden.

Auch im Alltag übrigens ist die Neigung, eher das Unangenehme, das Schlechtere zum Gesprächsgegenstand zu machen, weit verbreitet. Es wird zum Beispiel deutlich häufiger über Kollegen gelästert, als dass man sich Positives über sie erzählt. Und wenn man morgens mit der S-Bahn pünktlich ankommt, ist das viel weniger interessant als eine zwanzigminütige Verspätung. So etwas spielt auch bei der Auswahl von Themen eine Rolle, die sich in den Medien finden. Hinzu kommt, dass viele Journalistinnen und Journalisten neben der Information auch die Aufklärung des Publikums für wichtig halten. Zur Aufklärung gehört die Kontrolle von Institutionen, Parteien, Firmen etc. Auch das Bundesverfassungsgericht versteht die Presse unter anderem als "Kontrollorgan". Aufklärung und Kontrolle aber heißt Missstände aufzeigen. Und Missstände werden als eher negative Nachrichten wahrgenommen.

Dies alles hat auch einen ökonomischen Aspekt, allerdings weniger bei Blättern wie der SZ. Bad news sell, wie man in den USA sagt und dies auch hierzulande an Boulevardzeitungen oder einschlägigen Websites erkennt. Abonnementsblätter dagegen, digital wie gedruckt, leben nicht davon, dass sie Einzelausgaben mit reißerisch aufgemachten, schlechten Nachrichten verkaufen. Allerdings müssen wir Journalisten sehr aufpassen, dass nicht der Eindruck entsteht, alles sei schlecht, die Welt sei kurz vor dem Untergang. Auch dafür sind Rückmeldungen von Leserinnen und Lesern wichtig.

© SZ vom 08.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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