SZ Werkstatt:Wann sind Sie draußen, wann am Schreibtisch?

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Reporter Jürgen Schmieder lebt in Los Angeles. Sein Ziel: Möglichst viel vor Ort erleben, um es für die Leser zu berichten. Warum eine Trennung in Büro-, Recherche- und Freizeit für ihn dabei kaum funktioniert.

Jürgen Schmieder hat sich das Studium an der University of Michigan über ein Fußball-Stipendium finanziert. Seit 2013 lebt der SZ-Autor in Los Angeles und hat mittlerweile 113 Sportarten selbst versucht. (Foto: privat)

Warum betreut der Reporter Jürgen Schmieder auch die Sportart Tennis? Und wie oft im Jahr ist er draußen unterwegs und wie oft sitzt er im Büro?

Frank Moosmann, Erding

Selbst die Tennisspielerin Angelique Kerber musste ein bisschen schmunzeln, als ein Kollege beim Videogespräch während der US Open sagte: "Schmieder sendet wohl aus der Waschküche!" Mein Büro in Los Angelos, wenn man es denn so nennen will, ist ein winziger Tisch im Schlafzimmer, und ich hatte vergessen, dass bei dieser virtuellen Pressekonferenz der Wäschekorb auf dem Bett zu sehen war. Ein kleiner Fauxpas, den derzeit wohl viele erleben, die während der Coronavirus-Pandemie daheim arbeiten: Man gewährt Einblick ins Privatleben.

Ich brauche nur ein kleines Büro, weil ich vor der Pandemie den Großteil des Tages draußen verbracht habe: bei Treffen mit Hollywoodstars, bei Silicon-Valley-Startups, in Sportarenen. Es ist ein Privileg, für die Süddeutsche Zeitung als Korrespondent arbeiten zu dürfen, denn die SZ bezahlt mich auch dafür, dass ich jeden Tag etwas Neues lernen darf. So darf ich etwa den Quantencomputer von Google in Santa Barbara begutachten, die Geschichte dazu auf dem Rücksitz des Uber-Fahrzeugs tippen und nebenbei mit dem Fahrer über das Geschäftsmodell des Fahrdienstvermittlers plaudern. Recherche ist immer und überall.

Ich darf bei den Basketballern der Lakers in die Umkleidekabine (und habe mal einen Text vom Spind von LeBron James aus geschrieben); zur Premiere von "Star Wars" (der Text entstand dann auf den Treppen des Kinos) oder auch in den Gerichtssaal, in dem über die Vormundschaft von Britney Spears verhandelt wurde (beim Tippen des Textes im Café saß Paris Hilton am Nebentisch). "Büro" ist also überall, und das ist auch wunderbar so: Ein Korrespondent wird nicht entsandt, damit er daheim rumsitzt, sondern dass er rausgeht und etwas erlebt, von dem er Leserinnen und Lesern berichten kann.

Deshalb ist auch "Arbeitszeit" bei mir ein relativer Begriff: Wenn was Interessantes passiert, beginnt die Arbeit - und wenn es eine Schauspielerin ist, die einem auf einer Party etwas über die Zustände in Hollywood während der Pandemie erzählt. Die hat die Arbeit natürlich grundlegend verändert, Interviews wie etwa mit dem Schauspieler Jeff Daniels finden per Videochat statt; es gibt aber immer noch genügend Gelegenheiten, rauszugehen und Eindrücke zu sammeln.

Über Tennis berichte ich, weil ich mal ein ganz brauchbarer Spieler gewesen bin und glaube, diesen Sport und seine Eigenheiten ganz gut einordnen zu können. Um das ein bisschen zu erklären: Ich habe als Teenager vor einem Turnier mal mit Tommy Haas trainiert - der die Veranstaltung gewonnen hat, während ich in Runde zwei gescheitert bin. Es war einer der Höhepunkte meiner Karriere, als ich Haas jedoch vor ein paar Jahren in Indian Wells beim Kaffee darauf ansprach, sagte er: "Das tut mir jetzt leid, aber daran kann ich mich wirklich nicht erinnern." Er schmunzelte dabei so wie Angelique Kerber, als sie den Wäschekorb auf dem Bett entdeckte. jüsc

(Foto: N/A)
© SZ vom 16.11.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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