Steingärten:Quadratisch, praktisch, gut?

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Die neue graue Optik in deutschen Gärten hat Aufregerpotenzial. Nur eine profitiert von dem tonnenschweren Schotter und Schiefer auf den Grundstücken: die loriotsche Steinlaus.

" Das Grauen" vom 1./2. Juni:

Die Steinlaus freut's

Schon Vicco von Bülow, besser bekannt als Loriot, setzte sich zeit seines Lebens vehement für die Steinlaus ein. Im Unterschied zu Pediculus humanis capitis, also der Kopflaus, welche Blut aus dem Kopf saugt, lebt die Steinlaus, lat. Petrophaga lorioti, von Silicaten, also Steinen. Etliche Kilo soll sie pro Tag verzehren, so ihr Förderer und Beschützer. Lange galt die Steinlaus als verschollen. Erst in den Tiefen der Städte, in ihrem steinigen Untergrund, wurden einige Restexemplare entdeckt. Der Grund ihres Verschwindens, ja ihres Fastaussterbens, war schlicht der Mangel an geeignetem Futter.

Und damit wären wir im Hier und Heute. Mit großer Genugtuung kann der aufmerksame Betrachter bei seinen Spaziergängen durch Dorf und Stadt einen neuen, höchst bemerkenswerten Trend feststellen. Zurück zur Natur, um es mit Rousseau zu sagen. Denn Steine sind Natur in ihrer ursprünglichsten Form. Noch lange vor dem Neandertaler, vor dem Dackel und den Geranien gab es Steine. Heute wird von vielen ökologisch engagierten Zeitgenossinnen und Zeitgenossen - Gott sei es gedankt - der Steingarten wieder gepflegt. Er erlebt eine Renaissance par excellence. Nicht so, wie das früher war, als man teure alpine Pflanzen zwischen eine Gesteinssammlung pflanzte. Nein, heute dominiert ganz eindeutig der Stein an sich.

Wer sich aufmerksam umsieht, sieht diese Art von Steingärten regelrecht aus dem Boden sprießen. Manche schimmern grau, andere glänzen schwarz und unheimlich. Wagenladungen voller Schiefer und Granit landen so in den Vorgärten deutscher Häuslebauer. Ja, der Aufschrei der Naturschützer, dass unsere Insekten mangels Futterangebot aussterben müssen, wurde mehr als gehört. Die tonnenschwere Pracht bietet Insekten wie der Steinlaus endlich wieder eine Lebensgrundlage. Es muss uns nicht mehr bange sein um unsere kleinen Krabbeltiere. Der deutsche Gartenbesitzer hat sein Herz für sie entdeckt.

Und wer möchte bestreiten, dass ein mit Schotter oder schwarzem Schiefer gefülltes Grundstück mit einer schicken japanischen Steinlaterne nicht ästhetisch ist? Feng Shui braust durch die Gärten und versetzt uns in Schwingungen, und ein grinsender Buddha neben der Haustür zeigt uns, dass der und die Deutsche einen tiefen Hang zum Religiösen verspüren. Zwei-Zentimeter-Rasen war gestern. Jetzt dominiert steinhart-beinhart.

Nützlicher Nebeneffekt: Das verdammte Düngen, Wässern, Mähen und Unkrautjäten hat ein Ende gefunden. Das ist ökologisch eine 180-Grad-Wende. Kein Kunstdünger, kein Glyphosat, kein Trinkwasser für mickrige Pflanzen. Aber dafür ein Habitat für eine bedrohte Tierart. Es lebe die nachhaltige ökologische Wende.

Und wenn es ja mal staubt oder dämliche Blätter eines unbelehrbaren Nachbarn im Steingarten landen: Ein kurzer Griff zum Laubsauger, und alles ist wieder sauber und ordentlich, quadratisch, praktisch und gut.

Reinhard Figel, Nürnberg

Farbe ins Leben lassen

Endlich schreibt mal jemand über den Trend mit dem um sich greifenden Grauschleier. Uns ist die triste Farbe schon lange ein Dorn im Auge; angefangen hat es vor Jahren mit dunklen Balkonmöbeln, dann folgten Fensterrahmen, Wände, Fließen, Supermarktregale - die waren einmal freundlich weiß - Wohnungseinrichtungen und Gärten, die so gar nichts mit japanischem Zen zu tun haben.

Abschreckendes Beispiel: der neue Vorplatz der katholischen Kirche in Neubiberg, kalt und abstoßend, fast militärisch, wo vorher Grün in Rasen, Hecken, Bäumen vorherrschte. Gelobt wird der neue Platz von Menschen, die die Natur nicht lieben, denn nun wird alles natürliche Leben ausgeschlossen. Dass dieses "Verbrechen" von den Verantwortlichen abgesegnet wurde, verstehen wir bis heute nicht.

Lasst endlich wieder Freundlichkeit und Farbe ins Leben, möchten wir den Designern zurufen.

Brigitte und Bernd Broßmann, Neubiberg

Private Burghöfe

Grundgesetz, Artikel 14 (2): Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohl der Allgemeinheit dienen.

Allgemeinwohl? My home is my castle. So kann man vielfach das Grauen der versteinerten Gärten interpretieren. Das sind private Burghöfe und keine Gärten. Artenvielfalt - na ja: Aber der eigene Garten muss pflegeleicht sein. Arbeit für das Allgemeinwohl einer intakteren Umwelt gar im eigenen Garten! Es ist doch nur eine Frage der Zeit, bis die blickdichten Thujahecken einer massiven wehrhaften Mauer weichen. Verantwortung für ein bisschen Natur auf den eigenen Grundstücken? Diese hat man dank Vorortsiedlungen und gebauter Albträume um die alten verfallenden Dorfkerne längst immer weiter versiegelt. Ein Ferienflug durch die Lüfte und zu einem Pool mit vielen Palmen, das ist dann der geizistgeile Naturersatz "all inclusive". Sich verantwortlich fühlen für die Umwelt im eigenen Land, dazu einen kleinen Beitrag leisten - dies bleibt leider oft völlig auf der Strecke. Grau ist die Theorie? Nein, Grau ist leider die Praxis. Blauer Himmel und mausgrauenvolle Gärten: Wie passt das zusammen? Es ist noch nicht überall so, aber es müsste wirklich ein grüner Ruck auch durch die deutschen Gärten gehen!

Frank Becker-Nickels, München

Steine blühen nicht

Grau ist alle Theorie. Aber hier wird (Vor-)Gartengestaltung und deren Umzäunung schauderhaft in Praxis umgesetzt. Das Schotterprogramm macht nur bei Schienenbefestigung einen Sinn. Da ist der "Aufenthalt" der Artenvielfalt doch sehr begrenzt. Heilbronn verbietet Schottergärten, liegt sicher auch an der zurzeit dort stattfindenden Bundesgartenschau. Denn Steine blühen nicht.

Hans Pütz, Ingolstadt

© SZ vom 14.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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