Stadtplanung:Was der modernen Architektur fehlt

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Die kürzlich eröffnete Neue Frankfurter Altstadt ist ein unter Architekten umstrittenes Projekt. Und dennoch wird sie viele Fans finden. Leser erklären hier aus ihrer Sicht, warum das so ist.

Aus Neu mach Alt: Führung der Marktfrau Zwiwwelels durch die Neue Frankfurter Altstadt. (Foto: Andreas Arnold/dpa)

" Heimat als Kulisse" vom 28. September:

Flucht in Resonanz-Oasen

"Heimat" wird für viele Bürger ein immer wichtigeres Thema. "Heimatministerien" sind allerdings reine Nomenklatur, solange ihre politischen Maßnahmen nicht darauf abzielen können, die tiefe Sehnsucht nach Heimat, nach einer Verortung in einer erkennbaren und erlebbaren gebauten Umwelt zu befriedigen. Der Erfolg der "Heimatkulisse" in Frankfurt ist dafür ein starkes Zeichen und sollte ernst genommen werden. Hier artikuliert sich nämlich ein Defizit an guten, stabilen emotionalen Erfahrungen, an Resonanz in Räumen und Architekturen. Laura Weißmüller hat vollkommen recht, wenn sie schreibt, dass die Architektenschaft es immer wieder versäumt hat, die Gesellschaft für ihre Bauten zu begeistern, ja, sie im Gegenteil oft provozierend von sich stieß mit ihrer Formensprache, die keinen Wert auf Öffentlichkeit legte. Das Architekten-Ego war da häufig größer als die Verantwortung für das Wohlbefinden der Menschen.

Der Jenaer Soziologieprofessor Hartmut Rosa vertritt die These, dass wir Menschen von unserer psychophysischen Konstitution her Resonanz zum Leben brauchen. Damit meint er körperlich-seelisch schwingende Weltbeziehungen, "welche es den Subjekten erlauben und ermöglichen, sich in einer antwortenden, entgegenkommenden Welt getragen oder sogar geborgen zu fühlen". Wo diese Resonanz fehle, verstumme die Welt für den Einzelnen. Der Mensch fühle sich eben nicht lebendig. Rosa geht sogar so weit, in der Angst vor einem umfassenden Resonanzverlust, vor einem Verstummen der Welt heute eine "existenzielle Grundangst" zu sehen. Bewusst oder unbewusst entwickeln die Menschen Strategien, um den alltäglichen Mangel an Resonanz auszugleichen. Sie begeben sich in "Resonanz-Oasen" (Rosa), in denen sie die im Alltag vermissten seelisch schwingenden Weltbeziehungen erfahren können. Die Frankfurter Rekonstruktionen scheinen genau dies zu bedienen.

Prof. Felizitas Romeiß-Stracke, München

Internationale Gesichtslosigkeit

Laura Weißmüller kritisiert die Rekonstruktionen im Frankfurter Altstadtviertel in einer Weise, die die Auffassung nahelegt, Wiedererrichtungen historischer Gebäude könnten kein Mittel einer guten Stadtgestaltung sein. Dem ist aber doch sehr zu widersprechen, wie sich leicht am Beispiel der Dresdner Frauenkirche, einer exzellent gelungenen Wiederherstellung zeigen lässt. Wenn zur Rekonstruktion die handwerklichen Techniken und die gleichen (bzw. angemessene) Materialien wie zur Zeit der Errichtung des Originals eingesetzt werden, dann ist die Wiedererrichtung so gut wie das Original.

In Frankfurt dürfte zu bemängeln sein, dass man die handwerklichen Mittel und die Bauweise der Neuzeit angewandt hat. Die Wände sind korrekt eben, die Winkel 90,0-gradig, die Kanten linear und scharf, es ist alles geometrisch korrekt, und die Zubehörteile wie Griffe, Geländer, Türen und dergleichen dürften als Massenprodukte nicht zu kurz gekommen sein. Sonst hätte man wohl die dann fälligen Kosten nicht mehr aufbringen können. Die auf diese Weise entstandenen Gebäude lassen sich so doch eher in die Nähe von Operettenkulissen rücken denn als akzeptierbare Wohngebäude sehen.

Altstädte sind sehr langsam und in einer sehr langen Zeit entstanden. Ihre Baumeister waren keine Architekten. Sie orientierten sich ausnahmslos an der für eine Region jeweils typischen Bauweise, wie sie bei Alexander Mitscherlich als Obligation an die Stadt, als Verpflichtung der Stadtgemeinschaft gegenüber bezeichnet worden ist. Es drückte sich darin aus, dass die Bewohner einer Stadt sich als Gemeinschaft verstanden haben. Jeder Hauserrichter hatte einen gewissen Spielraum, während er sich doch an die ortstypische Bauweise hielt. Jedes Gebäude entstand so als Unikat und fügte sich vollkommen harmonisch ins Gesamtbild der Stadt ein.

Dieses Verhältnis ist im Verlauf der fortgeschrittenen Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft und ihrer Produktionsweise abhandengekommen. Das Prinzip der bürgerlichen Freiheit des Einzelnen setzte sich als das oberste Prinzip durch, und der Gesichtspunkt, eine ortstypische Gestaltungsweise einzuhalten, verschwand aus dem Bewusstsein der Leute. Entsprechend wandelte sich das Bild der Stadt. Die Ergebnisse des modernen Bauens werden durch den fortgeschrittenen Wettbewerb im Bausektor wie in jedem Bereich der Wirtschaft bestimmt. Man setzt großtechnische Mittel ein. Entsprechend müssen die Gebäudeformen vereinfacht werden. Man entwickelte Haustypen als Module, die sich in beliebiger Anzahl aneinanderreihen lassen. Ein und dieselbe Form wiederholt sich nahezu beliebig. Die einfachste Art, einen Raum zu umgrenzen, besteht darin, vier senkrechte Wände zu errichten und einen Deckel obendrauf zu tun. Das ist das, was heute passiert. Die Fassaden erhalten gerasterte oder voll verglaste Fensterfronten, die dann das Flair internationaler Gesichtslosigkeit haben. Was an einer Stelle gebaut wird, hat damit, was rechts und links davon steht, kaum noch etwas zu tun.

Dann sind da noch die Singulärentwürfe, wie die BMW-Welt, das Hypoverwaltungsgebäude, Libeskind'sche Stadtverfremdungen, ein Museum Confluence de Lyon und Ähnliches. Die Entwurfsverfasser können in Sydney oder sonst wo sitzen. Auf diejenigen, die in der Umgebung zu Hause sind, nehmen sie keine Rücksicht. Die sind auch nie gefragt worden, ob ihnen die so gestaltete Umwelt auch recht ist. Die Autorin möge doch einmal Beispiele für "großartige" moderne Architektur angeben, die von der Bevölkerung mit Begeisterung aufgenommen werden. Die neue Frankfurter Altstadt belegt auf jeden Fall eine Niederlage der modernen Architektur.

Hans-Josef Weberbartold, Freising

Rekonstruktionen gibt es viele

Vielen Dank für den Artikel "Heimat als Kulisse", den ich als eine Art Paradigmenwechsel im deutschen Feuilleton ansehen möchte. Seit Jahrzehnten ist immer zu lesen gewesen, bei den Rekonstruktionen handele es sich um "einen Disney-Traum", um "Geschichtsklitterung" und um die Auslöschung von "historische(n) Spuren". Deprimierend und unverständlich im bundesdeutschen Feuilleton die völlige Unkenntnis der europäischen Architekturgeschichte, in der es unzählige Beispiele der Rekonstruktion von Bauwerken gibt: Angefangen von den Rekonstruktionen des 17. Jahrhunderts der in den Religionskriegen zerstörten französischen Kirchen und Kathedralen (Valence, Orléans, Périgueux etc.) über Vollendungen italienischer Renaissancepaläste oft 200 Jahre später (wie der Palazzo Medici Riccardi in Florenz 1688) bis zu den beim Londoner Stadtbrand 1666 zerstörten Kirchen, die zum Teil (St. Mary Aldermary) gotisch wiederaufgebaut wurden. Rekonstruktionen sind ein permanentes Phänomen des neuzeitlichen Bauens und weiß Gott kein deutsches Phänomen. Allerdings erhielt das Thema nach dem Zweiten Weltkrieg eine neue quantitative Dimension durch Hunderttausende zerstörte Baudenkmale.

Dr. Richard Hüttel, Scharfbillig

Von wegen Rechtslastigkeit

Dem Urteil der Autorin ist in keinem einzigen Punkt zuzustimmen. Besonders ärgerlich und unnötig ist der Verweis auf eine angebliche Rechtslastigkeit der Unterstützer des Projekts oder sogar dessen Initiators. Die Autorin hat nicht verstanden oder will nicht verstehen, worum es bei diesem Projekt überhaupt geht. Sicherlich ist es nicht schön, dass in diesem Viertel kein sozialer Wohnungsbau stattfindet, aber das muss dann eben an anderen Orten realisiert werden. Die Flächen wären dafür ohnehin zu klein.

Dr. Ulrich Wiedemann, Berlin

© SZ vom 10.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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