Soziale Gerechtigkeit:Umverteilen, bitte

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Erst kürzlich hat Nikolaus Piper in einem Essay gefragt "Was heißt hier gerecht?". Ein Leser setzt sich damit kritisch auseinander und flicht folgenden Hinweis für Vermögende ein: Das Wort "sozial" steht unter anderem für Wohltätigkeit.

Was hilft jenen, die Monat für Monat nur das Allernötigste finanzieren können? (Foto: Catherina Hess)

"Was heißt hier gerecht?" vom 15./16./17. April:

"Sozial" steht für Wohltätigkeit

Wenn Fragen der Gerechtigkeit traktiert werden, sind konträre Auffassungen nicht weit entfernt. "Was heißt hier gerecht?" Entgegen der Suggestion, die in dem Essay von Nikolaus Piper entwickelt wird, kann das, was gerecht ist oder so empfunden wird, allemal sozial ungerecht sein. Ein Verteilungsergebnis des Marktes kann in Bezug auf angelegte Kriterien wie die Bewertung von Leistungen gerecht sein und gleichzeitig maßgeblich gegen Grundsätze der sozialen Gerechtigkeit verstoßen. Der Wohnungsmarkt mit seinen ausgrenzenden Wirkungen auf einkommensschwächere Gruppen in Ballungsräumen ist dafür ein von vielen erlebtes Beispiel.

Die Infragestellung der Abschaffung von Studiengebühren unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten, versehen mit dem Hinweis, dass Hochschulabsolventen und Hochschulabsolventinnen in der Regel besser verdienen und deshalb auch schon während des Studiums zur Kasse gebeten werden sollten, überzeugt nicht. Wer studiert, so die vielleicht altmodisch anklingende Idee, sucht auch Bildung, und diese nicht nur unter Verwertungsgesichtspunkten. Nicht jeder Germanist, Philosoph, Politologe oder Historiker wird später gut verdienen. Die Beiträge dieser Wissenschaften sind gleichwohl für eine Gesellschaft unverzichtbar. Und wenn Akademiker später gut verdienen, sollten sie über ein leistungsgerechtes Steuer- und Abgabensystem ihren Obolus an die Gesellschaft entrichten.

Die Wiedereinführung von Studiengebühren würde zudem die in dem Artikel favorisierte Chancengleichheit unterlaufen. In diesem Zusammenhang verweist Piper insbesondere auf gleiche Startchancen, mit denen unterschiedliche familiäre und sozialökonomische Startbedingungen möglichst ausgeglichen werden sollten. Dagegen spricht nichts, nur eine darauf im Wesentlichen verkürzte Idee der sozialen Gerechtigkeit verkennt vollständig, dass Menschen in ihrem Leben auch bei guten oder kompensierten Startchancen höchst selten nur von Triumph zu Triumph eilen, wie es der Philosoph Odo Marquard einmal formuliert hat. Der Vorschlag, auf den zuweilen schillernden Begriff der sozialen Gerechtigkeit zugunsten einer gerechten Sozialordnung zu verzichten, und das mit dem nicht weiter ausgeführten Hinweis auf das Godesberger Programm der SPD, will nicht recht einleuchten. Das Adjektiv "sozial" steht für das menschliche und solidarische Miteinander in der Gesellschaft, es tangiert das Gemeinwohl, steht für Wohltätigkeit. Eine Gesellschaft, die sich dieses Anspruchs auch nur begrifflich entledigt, stellt sich selbst in Frage.

Auch wenn man über eine gerechte Sozialordnung nachdenkt, braucht es Vorstellungen sozialer Gerechtigkeit, um diese mit Leben zu füllen. Die Sozialordnung des deutschen Sozialstaatsmodells ist ausdrücklich der sozialen Gerechtigkeit verpflichtet. Dies kommt in den zwölf Sozialgesetzbüchern mit den darin vorgesehenen Dienst-, Sach- und Geldleistungen treffend zum Ausdruck. Dort heißt es in Paragraf 1 Sozialgesetzbuch I, dass die einzelnen Sozialleistungen zur Verwirklichung von sozialer Gerechtigkeit und sozialer Sicherheit dienen. Das Recht des Sozialgesetzbuchs soll zu einem menschenwürdigen Leben beitragen sowie gleiche Voraussetzungen für die freie Entfaltung der Persönlichkeit schaffen, die Familie fördern und schützen, eine frei gewählte, den Lebensunterhalt sichernde Erwerbstätigkeit ermöglichen und dem Ausgleich besonderer Belastungen unter Einbezug der Selbsthilfekräfte dienen. Ohne Umverteilung wird es nicht gehen. Kriterien dafür können den verschiedenen Entwürfen sozialer Gerechtigkeit entnommen werden. Weder der Begriff noch dahinter liegende Vorstellungen sozialer Gerechtigkeit sollten abgewählt werden. Prof. Harald Ansen, Burg

Märchen

Was dieses Essay völlig unterschlägt: Mit dem Hartz-IV-Satz kann man nicht leben und kein wirkliches Einkommen fürs Alter erwarten. Was ist mit den unsäglichen Sanktionen in den Jobcentern? Wer fragt die von Armut betroffenen Menschen nach ihrem Anspruch an Gerechtigkeit? Wer von den Langzeitarbeitslosen glaubt denn noch an das Märchen, dass Bildung alles besser machen würde. Erhard Beckers, Krefeld

© SZ vom 26.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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