Seenotrettung:Lob und Tadel für Carola Rackete

Lesezeit: 4 min

Sie hatte Flüchtlinge aufgenommen und nahm Kurs auf den Hafen der Insel Lampedusa, obwohl Italien dort keine Rettungsschiffe mehr anlegen lassen will. Für manche Leser ist Racketes Handeln eine Heldentat, für andere ist es Beihilfe zur Schlepperei.

Da war sie noch an Bord: Kapitänin Carola Rackete vor ihrer Festnahme auf Lampedusa. (Foto: Reuters)

Zu " Auf eigene Faust" vom 16. Juli, " Berlin steht hinter Rackete" vom 2. Juli, " Nicht nur Italien" vom 1. Juli und zu " Profil: Carola Rackete" vom 29./30. Juni:

Verschanzen hinter Formalien

Da hätte ich von der Süddeutschen ein paar deutlichere Worte erwartet. Da schaut das reichste Land Europas, das sich zudem wegen des Dublin-Abkommens in einer denkbar komfortablen Lage befindet, wochenlang zu, wie vierzig aus Seenot gerettete Flüchtlinge auf dem Mittelmeer treiben, und nichts passiert. Als dann eine bewundernswert mutige junge Frau notgedrungen gegen eine menschenverachtende italienische Flüchtlingspraxis verstößt und damit auch noch eine längere Haftstrafe riskiert, da haben wenigstens Bundespräsident und Außenminister deutliche Worte gefunden, aber das war's dann auch schon.

Da muss das Land, um nur ein Beispiel zu nennen, eine dreistellige Millionensumme für die Folgen der gescheiterten Autobahnmaut aufbringen, für die Aufnahme von vierzig Flüchtlingen reicht es aber nicht. Da verschanzt man sich hinter Formalien. Man kann sich für diese abgrundtiefe Schäbigkeit eigentlich nur schämen.

Dr. Eberhard Wildenhahn, Potsdam

Moral steht nicht überm Gesetz

Es ist der alte Antagonismus zwischen legal und legitim. Nicht alles, was illegal ist, muss illegitim sein. Wobei es das geschriebene Recht schwer hat, wenn es mit anderslautenden moralischen Ansprüche konfrontiert wird und diese, wie im vorliegenden Fall, von einer Sympathiewelle getragen werden bis hinauf zum Bundespräsidenten. Zweifelsohne hat die Kapitänin italienische Hoheitsrechte verletzt, sie tat dies im Interesse notleidender Menschen. Gewiss ehrenwerte Motive, also legitim?

Angreifbar hat sie sich im Vorfeld dieser Aktion gemacht. Sie wusste, dass sie keine italienischen Häfen anlaufen durfte und hat dennoch Flüchtlinge aufgenommen. Man kann die dahinterstehende Politik Italiens kritisieren, aber darf sich jedermann darüber hinwegsetzen? Eine Mutter beispielsweise, die sich ins Halteverbot begibt, um ihr behindertes Kind zum Arzt zu führen, kann kaum mit Milde der Ordnungsbehörden rechnen. Wo liegen folglich die Grenzen?

Dass die Flüchtlingsorganisationen bei einer rigiden Abschottungspolitik nervös werden, liegt an ihrem Geschäftsmodell. Neben allen altruistischen Motiven ist dies ein wesentlicher Beweggrund. Sie stehen aber nicht über dem Gesetz, heben sich jedoch in moralisierender Attitüde darüber hinweg. Das weckt Argwohn und ist kritikwürdig.

Christoph Schönberger, Aachen

Bewusst in Not gebracht

Die Situation der Flüchtlinge im Mittelmeer wird zunehmend von Medien zur Manipulation der öffentlichen Meinung und von Politikern zur populistischen Profilierung missbraucht. So wird unreflektiert ganz selbstverständlich von "schiffbrüchigen Flüchtlingen" berichtet, auch wenn es gerade gar kein havariertes Schiff gibt, von dem sich Flüchtlinge retten müssen!

Seenotrettung bedeutet Hilfe für in Seenot geratene Menschen. Die von den Hilfsorganisationen "Geretteten" waren aber offensichtlich nicht in Seenot geraten, sondern haben vom Ufer oder von hochseetauglichen Schiffen aus als Voraussetzung für ihre nachfolgende "Rettung" unsichere Schlauchboote genutzt. Die Flüchtlinge werden von kriminellen Schleppern vorsätzlich in Seenot gebracht, um "gerettet" zu werden und illegal nach Europa einreisen zu können. Dieser inszenierten "Seenotrettung" muss von der Europäischen Gemeinschaft unverzüglich die Geschäftsgrundlage entzogen werden.

Frank Dost, Neckargemünd

Die Kritik an Italien spaltet

Die Rettung in Seenot geratener Menschen ist moralische und rechtliche Pflicht - Salvini ist mir zuwider! Aber, die zu kurz gegriffene Kritik deutscher "Wohlmeinender" an Italien ist wohlfeil und befeuert die Spaltung unserer Gesellschaft. Es gilt zu bedenken, dass nach dem Anlanden in Libyen zur Ausschiffung kranker Migranten (10 von 53 Geretteten) eine Abfahrt Richtung Italien eindeutig ein Akt der Schlepperei ist. Karl-Heinz Heinrich, München

Kalkulierte Rettung

Kann man denn in diesem Fall tatsächlich von einer "Seenotrettung" sprechen? Die international gültigen Regeln für die Rettung von Schiffbrüchigen sind doch für ganz andere Situationen getroffen worden, nämlich für Schiffsbesatzungen und Passagiere, die unverschuldet, ungeplant und nicht vorhersehbar in Not geraten.

Hier dagegen werden von vornherein für jedermann erkennbar nicht seetüchtige Kleinboote aus den Hoheitsgewässern der nordafrikanischen Staaten geschleppt, und dann wird auf die "Rettung" durch SeaWatch und andere gewartet, die hier dann lediglich als eine Art "Shuttle Service" fungieren.

Ich finde, dieses Vorgehen hat mit echter Seenotrettung überhaupt nichts zu tun.

Prof. Dr. Heico-Rüdiger Krause, Gyhum

Zivilcourage und Mut

Die Schriftstellerin Marie Ebner-Eschenbach hat uns Folgendes hinterlassen: "Die großen Augenblicke sind die, in denen wir getan haben, was wir uns nie zugetraut hätten." Carola Rackete hat sich trotz aller Risiken für die Menschen etwas "zugetraut", und das findet Anerkennung für Zivilcourage und Mut. Vielleicht hat Frau Rackete insgeheim das verwirklicht, was uns schon Novalis aufgetragen hat: "Wir wissen nur, insoweit wir machen, wir erkennen es nur, insofern wir es realisieren.

Winfried Kretschmer, Wiesbaden

Geltendes Recht unterlaufen

Die Vorgänge um die Kapitänin des privaten Rettungsschiffes Sea-Watch 3 (holländisches Schiff, deutsche Hilfsorganisation) müssen rechtlich in die richtige Perspektive gesetzt werden. Der italienische harte Standpunkt ist, vor allem vertreten durch Italiens Innenminister Salvini, dass private Hilfsorganisationen faktisch die immer dreister werdenden Schleuserbanden unterstützen. Dass die italienischen und maltesischen Hafenbehörden auf oberste Anweisung hin das Einlaufen von Schiffen privater Rettungsorganisationen zu unterbinden suchen, können Bürger anderer EU-Mitglieder, die nicht Anrainer des Mittelmeeres sind, nicht einfach unterlaufen. Die direkte Konfrontation von Menschenrecht mit dem Souveränitätsrecht einzelner Staaten ist hier nur allzu evident.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat nun allerdings eine Klage von Carola Rackete, Kapitänin der Sea-Watch 3, auf Bewilligung der Anlandung des Schiffes in Italien zurückgewiesen. Die Bundesregierung kann in dieser Angelegenheit nicht einfach passiv abseitsstehen. Italien baut eine Abschreckungskulisse gegen Flüchtlinge aus Afrika auf, die über das Mittelmeer kommen. Das muss Italien selbst verantworten und private Rettungsschiff-Akteure müssen sich der Folgen bewusst sein, wenn sie gegen italienische Anlande-Verordnungen bewusst verstoßen.

Vieles spricht dafür, dass Italien bei Weitem nicht genügend Militärschiffe einsetzt, um Flüchtlingsboote an dem Eindringen in italienische Hoheitsgewässer zu hindern. Wenn Salvini allerdings sagt, er hoffe, dass nicht noch mehr reiche, weiße Deutsche kämen, um den Italienern "auf den Sack zu gehen", dann fällt dies allerdings auf Salvini zurück. Vielleicht überlegen sich dann Deutsche, in nächster Zeit überhaupt noch nach Italien zu fahren?

Sigurd-Schmidt, Bad Homburg v.d.H.

Zielhafen nicht frei wählbar

Es ist ein ehernes Gesetz der christlichen Seefahrt, Schiffbrüchige zu retten. Ein Anspruch - quasi als Tourist - auf bestimmte Zielhäfen, besteht jedoch nicht. Vor der libyschen Küste Gerettete müssten logischerweise in nordafrikanischen Häfen abgesetzt werden. Dass jedoch Schiffe privater Organisationen in See stechen, um Menschen aus Seenot zu retten, überzeugt nicht, weil sich erst durch solche Aktivitäten mit materiellen Problemen behaftete Menschen in die Hände von Schleusern begeben. Diese privaten "Retter" sind daher mitverantwortlich dafür, dass sich Flüchtlinge in untauglichen Booten aufs Mittelmeer wagen. Ein Verbot privater Rettungsorganisationen wäre die logische Konsequenz. Diese unterstützen mit ihren "Rettungsmaßnahmen" die Schleuserbanden, und es wäre zu prüfen, aus welchen Quellen das beachtliche Spendenaufkommen der Rettungsorganisationen stammt.

Heinz Raeder, Niedernhausen/Taunus

© SZ vom 18.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: