Schulessen:Geschmähter Pampf - mit Potenzial

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Das Thema erweist sich als höchst emotional, und mindestens in der früheren DDR machten viele intensive Erfahrung mit der Verpflegung aus der Schulküche. Die Meinungen, ob modernes, gesundes Schulessen Luxus ist oder Notwendigkeit, klaffen dennoch weit auseinander.

SZ-Zeichnung: Denis Metz (Foto: N/A)

"Das jüngste Gericht" vom 28./29. Mai:

Wohlstandsklagen

Ich bin immer wieder tief beeindruckt, in welchem Wohlstand wir doch alle leben. Da schreibt die SZ einen langen Artikel darüber, welchen "Pampf" unsere lieben Kleinen tagtäglich gezwungen werden, in der Schule mampfen zu "müssen". Plakative Zitate und Fotos unterstreichen ein schweres Vergehen am Kindeswohl, das an früheren, aktuellen und kommenden Generationen in Deutschland verübt wurde und wird. Und ganz nebenbei: Die Kleinen werden in unserem völlig rückständigen Schulsystem noch zusätzlich durch Benotungen auf das Schlimmste gequält. Zur Vervollständigung der Katastrophe genügt ein Blick über den nachbarlichen Zaun in das Land der Kultur und des "Savoir vivre", nach Frankreich, wo die Kinderlein "Vier-Gänge-Menüs" kredenzt bekommen und "zwei Stunden" Zeit haben, diesem Herr zu werden. Was sind wir Germanen doch für Barbaren.

Und was wäre im schnöden deutschen Schulalltag nicht alles möglich: duftende Vollkornfladenbrote belegt mit Tomaten und Mozzarella, Saftschorlen aus selbstgezogenem Waldmeister, Bio-Currywurst mit selbstgemachten Saucen, Dinkel-Spinatknödel, Bio-Burger mit mariniertem Karotten-, Krautsalat, abgeschmeckt mit Bio-Rübenzucker und hellem Essig, und, und - und das für vier Euro am Tag.

Der kulinarischen Fantasie sind da keine Grenzen gesetzt. Wenn das Genannte für vier, das heißt 16 Euro in der Woche, das sind 64 Euro pro Monat, möglich ist, was könnte da nicht alles für sechs Euro pro Tag auf dem Schulkantinentisch serviert werden! So günstig kocht nicht einmal die schwäbische Hausfrau. Aber das wären für Eltern wahrscheinlich völlig unzumutbare Preise, das müsste schon Papa Staat bezahlen.

Aber so werden wegen der menschenverachtenden Verhältnisse in unseren Schulkantinen schon elfjährige Fünftklässler gezwungen, sich täglich eine Leberkässemmel zu kaufen, und damit zur Gewichtszunahme verdammt, da ihnen das Schulessen nicht schmeckt. Ich bin ehrlich entsetzt. Entsetzt, dass ein derartiger Artikel in der SZ erscheint.

Wir leben in einer Zeit, in der sich nach UN-Schätzungen 82 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht befinden, allein in Deutschland leben 1,2 Millionen Flüchtlinge, etwa 1,3 Milliarden Menschen auf dieser Welt sind arm, die Hälfte davon Kinder unter elf Jahren. Die Statistik der weltweiten Kriege lasse ich aus Platzgründen aus. Ich nenne das Wohlstandsarroganz.

Und der Mutter des leberkässemmel-mampfenden, adipösen Schülers möchte man zurufen: "Gib ihm einfach keine Kohle mehr dafür mit, sondern mach, und am besten mit ihm, eine leckere Brotzeitbox für die Schule!"

Dr. med. Thomas Lukowski, München

Viel Erfahrung im Osten

"Für die meisten Eltern bleibt die Versorgung ihrer Kinder allerdings eine Blackbox. Sie selbst haben als Schüler keine Erfahrung damit gemacht, im Vergleich zu anderen Ländern gibt es hier keine Tradition." Diese Sätze ärgern mich. Die allermeisten Ostdeutschen haben ausreichend Erfahrung mit Schulessen gemacht (leider keine gute). Es ist nur ein kleiner Nebensatz, aber es ist so geläufig, die ostdeutsche Erfahrung auszublenden, sich den Luxus zu gönnen, es gar nicht in Betracht ziehen zu müssen, dass es mehrere Millionen Menschen in Deutschland gibt, die andere Erfahrungen gemacht haben. Ich denke, dass diese Art von kleinen (oder auch größeren) Ignoranzen nicht ganz unbeteiligt daran ist, dass Demokratie und Zivilgesellschaft in Ostdeutschland auf so wackeligen Füßen stehen (ich glaube, die meisten Ostdeutschen haben diese Ignoranz seit der Wende sehr oft erlebt).

Übrigens bin ich, nachdem ich zehn Jahre "im Westen" gelebt habe, nun nach Dänemark gezogen. Hier müssen wir jeden Tag eine Brotbüchse packen für die Kita.

Dr. Ina Mittelstädt, Kruså/Dänemark

Gleiche Misere im Krankenhaus

Schlechtes Schulessen: schlimm genug. Aber die Kinder bekommen ja hoffentlich zu Hause noch etwas Ordentliches serviert. Patienten im Krankenhaus sind den "Gourmet"-Zwängen dagegen hilflos ausgeliefert. Man wundert sich, was ihnen da an schwer verdaulichem Mittagessen zugemutet wird. Und das "kalte Abendessen" wird meistens unter dekorativer Haube eiskalt überreicht, damit nicht auffällt, dass es nach nichts schmeckt. Fast immer und überall besteht es aus rosa Wurstscheiben und trockenem Käse. Dazu gibt es dann zwei wässrige Tomaten- beziehungsweise Gurkenscheiben, ebenfalls geschmacksneutral. Nicht zu vergessen: dünnen Tee irgendwelcher Geschmacksrichtung. Das dazu gereichte Brot lässt berechtigte Zweifel zu, dass Deutschland über eine besondere Brotkultur verfügt. Ach ja, das Frühstück: Immerhin mit Brötchen vom Discounter, die aber gerne unaufgeschnitten gereicht werden, denn der Patient soll ja selbständig agieren, auch wenn er nach orthopädischem Eingriff gar nicht in der Lage ist, ein Messer zielgerichtet zu benutzen. Die Essensmisere im Krankenhaus ist die Fortsetzung der Zumutungen im Schulalltag.

Renate von Törne, Hof/Saale

Regionale Sichtweise

Bezüglich der Feststellung, in Deutschland hätten Eltern keine eigenen Erfahrungen mit Schulessen gemacht, bleibt die Sichtweise des Berichts leider sehr regional begrenzt. Immerhin etwa ein Fünftel aller Deutschen haben Erinnerungen an die Schulspeisung, und überwiegend keine schlechte. Ich glaube, die frühe Vergangenheit einer großen deutschen Bevölkerungsgruppe ist für Sie leider eine Blackbox - ein Problem, wenn man sich anschickt, europaweit vergleichen zu wollen. Als "Westberliner" kann ich den Ärger meiner "Ostfamilie" gut nachvollziehen. Warum ist bei einer Recherche zu diesem Thema dieser Teil unserer Vergangenheit so vollkommen vergessen worden?

Michael Rogalski, Geldern

Besseres Essen für Kranke

Warum nur über das Schulessen klagen, in einer Vielzahl deutscher Krankenhäuser ist es doch nicht anders. Ich denke hier nur an die Küche eines großen Krankenhausträgers in Berlin, die sogar in dessen Hospiz serviert wird. Dass es auch anders geht, zeigt sich auf sogenannten Komfortstationen desselben Krankenhausträgers. Inzwischen engagieren sich hier schon Sterneköche, die in Krankenhäusern kochen. Doch der Politik ist das egal, da wird aktuell mehr über gesundes Essen in Kantinen debattiert als über Abhilfe im Umgang mit den Schwächsten, den kranken Menschen.

Michael Ertelsberger, Berlin

Sterneküche in der Schule

Mit dem Präventionsprojekt "Sterneküche macht Schule" setzt sich Sternekoch Stefan Marquard gemeinsam mit einer Krankenversicherung seit fünf Jahren für eine gesunde Verpflegung von Schülerinnen und Schülern in ganz Deutschland ein. 90 Schulen und Kitas machen laut Versicherung bei dem Projekt bereits mit. Die Schülerinnen und Schüler sind ein wesentlicher Teil des Teams und machen mit.

Da neben den Energiekosten Monat für Monat auch die Kosten für Nahrungsmittel steigen, ist das besonders für Schulen, die Mittagsverpflegung anbieten, eine große Herausforderung. Stefan Marquard hat laut Versicherung Lösungen entwickelt, wie Schulessen nicht nur frisch, gesund und schmackhaft, sondern auch um mindestens 30 Prozent kostengünstiger produziert werden können. Es gibt also bereits gut umsetzbare Ideen und Lösungen zur Verbesserung der Schulverpflegung. Die Resonanz der Schülerinnen und Schüler sei positiv.

Sabine Tenberge, Bochum

© SZ vom 11.06.2022 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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