Schule in der Pandemie:Umstrittene Ideen zur Ferienkürzung

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Schülern wie auch Lehrern werde in der Pandemie ohnehin schon viel zugemutet. Einen Vorschlag, Sommerferien zu kürzen, um Lernlücken zu schließen, halten einige für den falschen Weg.

SZ-Zeichnung: Karin Mihm (Foto: N/A)

Zu " Halbes Schuljahr Präsenzunterricht verloren " vom 15. Mai und " Wieso die Sommerferien zu lang sind" vom 10. Mai:

Extra lernen in heißester Zeit?

Herr Professor Engartner fordert kürzere Sommerferien, angeblich zum Wohl der Schulkinder. Wenn man aber zwischen den Zeilen liest, so kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass er den Lehrern sechs Wochen Urlaub im Sommer nicht gönnt. Derselbe Herr Professor gönnt sich aber wie jeder Uni-Professor in Deutschland monatelange Semesterferien. Die Studenten verbringen, je nach finanziellen Möglichkeiten, diese zum Jobben oder zum Reisen statt zum Studieren, während sich Professoren auf die Vorlesungen des nächsten Semesters vorbereiten. Lehrer brauchen natürlich keine Zeit zur Vorbereitung ...

"Weitere unterrichtsfreie Tage ergeben sich durch Fortbildungen oder Exkursionen der Lehrerkollegien sowie aufgrund von Zeugniskonferenzen und Elternsprechtagen", schreibt Herr Engartner weiter. Das war vielleicht einmal so vor Jahrzehnten. Längst aber sind diese Veranstaltungen am Nachmittag oder am Samstag. Ferner meint der Verfasser: "Kürzere Ferien kämen aber auch den Eltern zugute." Das würde heißen, alle Familien eines oder mehrerer Bundesländer müssten ihren Urlaub in genau diesen drei Wochen nehmen, alle würden zur gleichen Zeit verreisen, sich in den bekannten Stau stellen, horrende Flugpreise bezahlen etc. - oder eben mangels Zeit zu Hause bleiben. Die Kinder hätten zudem das Vergnügen, in der heißesten Zeit des Jahres die Schule zu besuchen.

Johann Betz, Freising

Was sollen Lehrer noch machen?

Ach, wie habe ich doch wieder einmal auf einen solchen Artikel gewartet! Der Aufhänger sind die komfortablen 75 (in Schleswig-Holstein übrigens "nur" 65) Ferientage, frei und unterrichtsfrei werden natürlich gleichgesetzt. Daraus leitet der Autor ab, was Lehrerinnen und Lehrer in der Schule der Zukunft noch bewegen sollen: beispielsweise die Schülerinnen und Schüler anleiten, die im Lockdown erworbenen Corona-Pfunde nachmittags abzutrainieren, Ferienbetreuung zu übernehmen, durch kürzere Ferienzeiten gemeinsame Familienurlaube zu ermöglichen. Die Liste ließe sich bestimmt verlängern!

Diesen Artikel hätte ich deutlich kürzer schreiben können: Lehrer haben vormittags recht, und nachmittags frei. Danach hätte ich mich dem zweiten Teil meiner Aufgabe gewidmet: guten und differenzierten Unterricht vorzubereiten, mich fortzubilden und wichtige Elterntelefonate zu führen.

Stefanie Seidler, Lebrade

Gute Ideen, wenig alltagstauglich

Tim Engartner greift eine Forderung vieler Bildungsexperten und Lehrer auf und fordert zu Recht längerfristige Überlegungen zur Aufarbeitung der durch die Corona-Pandemie verursachten Probleme im Bildungsbereich. Leider greift er dazu auf sehr plakative Ideen zurück, die größtenteils schon in der Vergangenheit gescheitert sind, und denkt diese nicht zu Ende.

Nachmittägliche Sportangebote an der Schule klangen schon früher gut, scheiterten aber an geringer Nachfrage und dem Widerstand der Sportvereine. Eine Verkürzung der Sommerferien würde jenen Schülern, die Inhalte aufzuholen hätten, diese Möglichkeit nehmen und zudem eine Vorbereitungszeit auf die gegebenenfalls erforderliche Nachprüfung so gut wie streichen. Für Erholung bleibt dann für stark belastete Schüler keine Möglichkeit mehr. Ein Konzept, wie eine qualitativ hochwertige Korrektur des Abiturs (in Bayern) ohne Pfingstferien vonstatten gehen soll, fehlt mir auch. Die Ideen mögen gut sein, von einem Bildungsforscher erwarte ich aber, dass deren Alltagstauglichkeit geprüft wird!

Holger Nachtigall, Sachsenried

Längere Sommerferien, bitte

Der Autor fordert grundsätzlich (nicht nur wegen Corona) kürzere Sommerferien, um Bildungsungleichheiten abzubauen. Am Schluss nennt er die "erfolgreichen Bildungsnationen" Finnland und Estland als Zielperspektive. Finnland hat laut Google acht bis zehn Wochen Sommerferien, Estland zwölf. Klar, Kinderbetreuung ist ein Problem, es wäre gut, es gäbe mehr Summer Schools, Ferienlager und dergleichen. Zugleich ist ein längerer "Sommer-Sabbat", in dem die ganze Gesellschaft ihr Tempo drosselt, in meinen Augen ein Segen für alle, ja geradezu ein Kulturgut - und könnte eher noch etwas länger dauern (wie eben in Skandinavien oder den USA).

Dr. Olaf Waßmuth, Nienburg/Weser

Schlechter Umgang mit Kindern

Wir haben unsere Kinder über viele Monate massiv eingeschränkt, Gleichaltrige zu treffen; soziale Orte wie Spielplätze, Zoos, Sportstätten, Schulen, etc. wurden geschlossen. Begründung: Kinder sollen nicht den etwaigen Tod ihrer Großeltern verschulden. Jetzt, wo die Großeltern geimpft sind, sollen Kinder nicht den Tod ihrer Eltern verschulden. Nachdem die Eltern geimpft sein werden, sollen die Kinder geimpft werden. Solange Kinder ungeimpft sind, sollen sie ihre Eltern auf Urlaubsreisen nicht begleiten dürfen. Der Deutsche Ärztetag verlautbart am 5. Mai: "Die gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe erlangen Familien mit Kindern nur mit geimpften Kindern zurück."

Das zwei Milliarden schwere "Aktionsprogramm Aufholen nach Corona" soll den Abbau "pandemiebedingter Lernrückstände" sicherstellen. Anstatt unseren Kindern die Ferien zu gönnen, sollen sie pauken - aufholen statt erholen. Dies verstehe ich als Investment in das Humankapital "Kind" - unsere Kinder müssen später sowohl die Corona- und Klimakosten als auch die Renten bezahlen - und nicht als Kinderförderung. Oder geht es der Politik vor allem um den internationalen Vergleich? Wie gedenkt man mit Kindern umzugehen, denen es nicht gelingt, Lernrückstände aufzuarbeiten?

Ich empfinde all dies als empathielos, und es erfüllt mich mit Scham unsern Kindern gegenüber.

Stefan Eichardt, Celle

Schule als Reparaturbetrieb

"Bildung ist keine Wunderwaffe im Kampf gegen Armut" - da gebe ich Herrn Engartner recht - denn Bildung ist überhaupt keine Waffe. Gegen soziale Ungleichheit muss ein anderer kämpfen. Wenn es keine Bildungsschere geben soll, dann brauchen wir bessere Sozialpolitik. Schulen sind eben nicht der Reparaturbetrieb der Gesellschaft. Umgekehrt: Die Gesellschaft respektive der Staat sind hier in der Bringschuld.

Es ist sogar noch schlimmer: Den "coronabedingten Unterrichtsausfall" mit Verkürzung der Ferien zu kompensieren, wie so breit gefordert wird, offenbart das tiefe Einsickern des neoliberalen "Ungeistes" in unsere Gesellschaft. Die Schüler, die den größten Verlust trugen, weil sie eben im Fernunterricht die schwächsten waren, werden als Erstes auf der Strecke bleiben, wenn wohlverdiente Ferien verkürzt werden. Oder kann man das zumuten, weil Fernunterricht ja so erholsam war? Egal, die Zahlen müssen stimmen, koste es, was es kostet. Nur produziert dieses Bildungssystem dann nicht leistungsbereite "Human Ressource", sondern Burn-out-Kandidaten, noch vor dem ersten Schulabschluss.

Uwe Hauptmann, Mendig

© SZ vom 22.05.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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