S-Bahn-Unglück bei Schäftlarn:Besser sichern, mehr tun fürs Personal

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SZ-Leser diskutieren über die Zugkollision und suchen die Schuldigen nicht nur im Führerstand, sondern ganz oben in der Konzernspitze und der Politik.

Nach dem schweren S-Bahn-Zusammenstoß bei Schäftlarn diskutieren SZ-Leser auch über strukturelle Ursachen und fordern mehr Sicherheit. (Foto: Hartmut Pöstges)

Zu "Rotes Signal überfahren" vom 18. Februar, "Nach S-Bahn-Unglück Konsequenzen gefordert" und "Derzeit ist nichts auszuschließen" vom 16. Februar, "Toter und Verletzte bei S-Bahn-Unglück" vom 15. Februar:

Sündenböcke und Schuldige

Das Unglück in Schäftlarn ist sehr bedauerlich und beschäftigt natürlich die Gemüter. Die Probleme der S-Bahn München scheinen aber ihre Ursache nicht allein in der Wege-Infrastruktur zu haben (eingleisige Strecken). Wenn man Experten der Fahrgast-Interessenvertretung Pro Bahn glauben darf, die im BR-Fernsehen interviewt wurden, dann liegt eine der wesentlichen Ursachen darin, dass die Belastungsgrenze vieler verantwortlicher Mitarbeiter erreicht ist, weil sie ständig Mängel in der Infrastruktur ausgleichen müssen. Am Ende des Tages wird es also wieder auf menschliche Unzulänglichkeit hinauslaufen.

Menschen werden dann eigentlich für die Fehler der Politik verantwortlich gemacht. Sie sollen durch ihren Einsatz ausbügeln, was andere versemmelt haben, weil zum Beispiel zwei Ministern aus der CSU die Durchsetzung der Maut wichtiger war. Steuergeld, das hätte besser investiert werden können, beispielsweise in die Bahn, wurde für politischen Unsinn ausgegeben. Geld, das für die Bahn gedacht war, wurde unter dem letzten Verantwortlichen, Andreas Scheuer, in die Autoinfrastruktur umgeleitet. Zwölf Jahre sind eine lange Zeit für Versäumnisse, es gab ja noch einen CSU-Verkehrsminister. Man kennt das Prinzip mittlerweile von der Corona-Pandemie. Maskenhändler verdienen Millionen, ohne eine vernünftige, nachvollziehbare Leistung zu bringen. Beschäftigte im medizinischen Bereich, Krankenschwestern und Pfleger, speist man mit Niedriglöhnen ab und beklatscht ihre notgedrungene Improvisationskunst. Wie immer gilt die Regel: Sündenböcke vor - und die heißen nicht Sauter, Tandler oder Scheuer.

Klaus Holzschuher, Hof/Saale

Strukturelle Defizite

Zum Sicherungssystem PZB (punktförmige Zugbeeinflussung) ließ die Bahn verlauten, das System habe "vor dem Unfall auch gegriffen und mindestens einen Zug gebremst". Das klingt zynisch, etwa wie "das Soll von zwei Bremsvorgängen wurde fast erfüllt". Hätte man nicht einfach sagen können: "Wir wissen noch nicht, warum das System offenbar nur einen Zug abgebremst hat?" Zum Beinaheunfall auf der gleichen Strecke vorigen August heißt es, "warum die PZB damals nicht griff, blieb offen". Ich könnte vielleicht ergänzen, "ist ja nichts passiert".

Mein eigentliches Anliegen ist aber das Thema "Eingleisigkeit", und da die Frage, was man konkret bei der S7 schnell machen könnte. Eine Ursache des Unglücks war die Verspätung des stadtauswärts fahrenden Zuges. Diese Verspätungen sind aus eigener Erfahrung auf beiden Außenästen eher die Regel als die Ausnahme. Es wäre sinnvoll, am Ostbahnhof sowie an der Donnersbergerbrücke für den jeweils stadtauswärts fahrenden Zug eine längere Wartezeit so einzuplanen, dass Verspätungen abgepuffert werden können, oder gleich die S7 zu teilen in eine S7-Ost und eine S7-Süd mit getrennten Fahrplänen.

Erwin Hänel, München

Ständige Personalüberforderung

Der Münchner Teil und der Bayernteil wiederholen in derselben SZ vom 16. Februar so altbekannte wie gegensätzliche Botschaften. Zur Vermeidung von Frontalzusammenstößen sollen bitte 126 S-Bahn-Kilometer (Addition aus der SZ-Skizze) zweigleisig ausgebaut werden. Hat man Vorstellungen von Platzverbrauch, Kosten und Zeithorizont für ein solches Programm, das gegen Landschaftsschutz, Hochwasseraspekte, Stadtentwicklung und Anliegerproteste durchgesetzt werden müsste? Und wären damit wirklich alle Probleme gelöst? Natürlich nein, denn die Hälfte aller Strecken in Bayern, Deutschland und Europa bliebe eingleisig.

Unfreiwillig komisch wird im Bayernteil desselben Tages zum Thema "Brennerzulauf" genau die gegenteilige Dogmatik wiederholt. Sie predigt uns seit Jahrzehnten, dass für das Schienennetz aus Kaisers Zeiten keine Ergänzungen notwendig sind. Gegenwärtiger und künftiger Bedarf wird bestritten. Gerade die professorale Eisenbahnweisheit kennt die Möglichkeiten, mit einem verschlankten Bogen hier und einem verkürzten Signalabstand da ein wenig Kapazität nachzurüsten.

Verschwiegen wird, dass wirklich jeder fundamentalistisch angefeindete neue Schienenweg von der bescheidenen Straßenbahnergänzung bis zur großen Neubaustrecke der Bahn eine Auslastung weit oberhalb aller Prognosen verzeichnet. Wir werden erleben, dass neue viergleisige 250-km/h-Trassen von Wien/Linz nach Salzburg und von Bologna/Verona/Innsbruck nach Kufstein an der bayerischen Grenze in unser zweigleisiges 140-km/h-Netz von 1860 einmünden.

Das Unfallrisiko auf eingleisigen Strecken lässt sich auf eine bestimmte Problematik reduzieren. Das rote Signal vor einem eingleisigen Abschnitt ist seit 150 Jahren ein absolutes Haltegebot. "Menschliches Versagen" kann zu seiner Missachtung führen. Deshalb sorgt die "Punktförmige Zugbeeinflussung" für die Zwangsbremsung. Bei der Münchner S-Bahn gehörte dieses System schon 1972 zur selbstverständlichen Grundausstattung.

Es muss aber Möglichkeiten zur ausnahmsweisen Einfahrt in den belegten Gleisabschnitt geben. So muss ein Hilfsfahrzeug zum liegen gebliebenen Zug oder zur Kollisionsstelle an einem Bahnübergang fahren können. Selbstverständlich ist bei deaktivierter Sicherung größte Vorsicht geboten und darf Schrittgeschwindigkeit kaum überschritten werden. Nach dem ähnlich verursachten Unglück bei Bad Aibling am 9. Februar 2016 ist den verantwortlichen Gremien und Behörden demgemäß nicht die Aufgabe gestellt, binnen Jahrzehnten alle Strecken zweigleisig auszubauen, sondern so schnell wie möglich mit zusätzlichen technischen Sicherungen und Dialogverfahren das bei Tag und Nacht und fast immer allein arbeitende Bahnpersonal zu entlasten.

Dass eine bessere Bezahlung der Triebfahrzeugführer und Fahrdienstleiter die chronische Knappheit in diesen Funktionen und die daraus folgende ständige Überforderung mildern könnte, ist keine neue Botschaft.

Andreas Knipping, Eichenau

© SZ vom 22.02.2022 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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