Rente:Vom Wettstreit um gerechte Reformen

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Jährlich steigt der Staatszuschuss für die gesetzliche Rentenversicherung, dennoch wachsen die Begehrlichkeiten: Rente mit 63, Mütterrente, Grundrente, etc. SZ-Leser sehen ein Strukturproblem, aber sollen deshalb Freiberufler auch einzahlen?

Eigenhändig griff der damalige Bundesarbeitsminister Norbert Blüm auf dem Marktplatz in Bonn zum Leimpinsel, um das erste Plakat zur Sicherheit der Renten auf eine Litfaßsäule zu kleben. (Foto: Peter Popp/dpa)

Zu "Besser gesetzlich" vom 26. März und "Die Kunst des Verdrängens" vom 23./24. März und "Ein Hauch von Kleingeist" vom 22. März:

Beamte und Freiberufler ran

Heute stehen den 20,5 Millionen Rentnern noch 32,9 Millionen Beitragszahler gegenüber - Tendenz negativ und mit horrenden Zuschüssen aus dem Bundeshaushalt.Eine Adhoc-Lösung wären ca. 6,5 Millionen zusätzliche Beitragszahler, nämlich Beamte und Freiberufler, die später selbstverständlich auch etwas herausbekommen! Die Beispiele Schweden und Schweiz lassen grüßen und laden zum Intensivstudium ein.

Steffen Wurzler, Unterhaching

Ein Strukturproblem

Der Artikel "Besser gesetzlich" enthält viele Wahrheiten. Der wichtigste Satz: "Die gesetzliche Rentenversicherung muss tragende Säule der Alterssicherung bleiben" bedarf jedoch der Ergänzung. Die aktuelle Gesetzliche Rentenversicherung (GRV) hat ein Strukturproblem: Die Friseurin, die 40 Jahre lang nur den Mindestlohn verdiente, hat 514 Euro Rente und landet in der Grundsicherung, der Steuerzahler muss das reparieren. Die Anzahl der Empfänger von Grundsicherung im Alter ist von 2008 bis 2018 um 35 Prozent gestiegen. Was also genau ist das Strukturproblem der GRV? In der Zeit vor der Wiedervereinigung gab es bei den Parteien zur Rente einen breiten Konsens: Grundsatz der sozialen Marktwirtschaft ist, dass "Bruttolöhne und Renten wie das Wirtschaftswachstum steigen".

Das lässt sich an den Zahlen ablesen: Das Wachstum zwischen 1960 und 1990 betrug beim Bruttoinlandsprodukt (BIP) preisbereinigt einen Faktor 2,6; der Bruttolohn real stieg ebenfalls um einen Faktor 2,6; die Standardrente brutto real stieg um einen Faktor 2,4; und die Standardrente netto vor Steuern stieg um einen Faktor 2,3 - eine deutliche Korrelation. Im 26-jährigen Zeitraum zwischen 1991 und 2017 sieht das ganz anders aus: Das BIP preisbereinigt steigt um 44 Prozent, die Bruttolöhne steigen um einen Faktor 8,6 langsamer um 5,1 Prozent und die Standardrente netto vor Steuern verliert 9,5 Prozent an Kaufkraft (Die bessere Vergleichszahl ist die Produktivität = BIP pro Erwerbstätigem bzw. Produktivität pro Arbeitsstunde). Nimmt man die Produktivität als Vergleichszahl, so ist diese um 26 Prozent gestiegen, demgegenüber ist der Bruttolohn mit fünf Prozent nur um ein Fünftel der Produktivität gewachsen. Diese Daten sprechen eine deutliche Sprache. Das Strukturproblem der GRV ist also: Die Einnahmeseite der Beiträge der GRV muss wieder an die Produktivität der Arbeit angepasst werden.

Das Strukturproblem ist somit, dass die Größen "Produktivität, Bruttolöhne und Standardrente netto vor Steuern" nicht korreliert sind. Die Bruttolöhne werden heute in der Regel ohne Regulierung festgelegt, es gilt nur das Kriterium Mindestlohn. Die Anzahl der tarifgebundenen Tätigkeit ist stark rückläufig, die Unternehmen lagern aus, und es wächst der Niedriglohnsektor. Und die Einnahmen der GRV sind nun mal Beitragssatz mal Bruttolohn, und die individuelle Rente wird über eine Rentenformel festgelegt, in der der Altenquotient für eine zunehmende Abkopplung vom Bruttolohn sorgt. Gleichzeitig wird an vielen Stellen der GRV herumgedoktert, der Staat bekämpft damit Symptome: Mütterrente, Rente mit 63, Haltelinie 48 Prozent und Grundrente. Der Steuerzahler muss mit Grundsicherung oder Grundrente reparieren, weil der freie Markt bei mehr oder weniger starken Gewerkschaften die Bruttolöhne so regelt, wie sie sind. Der Steuerzahler subventioniert mit der Grundsicherung und der Grundrente die niedrigen Löhne.

Gefordert ist eine langfristige Kopplung der Einnahmen der GRV an die Produktivität. Das ist übrigens nicht alt und verstaubt: Die Alterssicherung der Versicherten muss sich aus der Produktivität seines Arbeitslebens finanzieren. Wie sollte es denn auch anders gehen? Das Demografieproblem kann wie bisher auch durch Berücksichtigung des Altenquotienten in der Rentenanpassungsformel berechnet werden. Allerdings ist das Demografieproblem ein gesellschaftliches und keines des einzelnen Versicherten, entsprechend müssen die Lasten auf Staat, Arbeitgeber und Arbeitnehmer verteilt werden.

Dr. Lothar Sowa, Rohrenfels

Leichter im Systemwettbewerb

"Die Kunst des Verdrängens", die der Autor des Artikels zur geplanten Rentenerhöhung darbietet, gelingt in einer Richtung perfekt: Die Seite des Reichtums belässt er im Dunkeln. Er ist nicht der Einzige. In regelmäßigen Abständen werden Rentenerhöhungen angeprangert, doch der Zuwachs an Reichtum (etwa die Selbstbedienung von Vorständen sogar bei heruntergewirtschafteten Unternehmen) wird großzügig übersehen. Vergessen auch der warme Regen staatlicher Unterstützung, nachdem die Regierung Schröder 2001 den Spitzensteuersatz von 56 Prozent auf 42 Prozent absenkte.

Vergessen wohl auch die Rentenreform von 1957, die als "Generationenvertrag" bezeichnet, eine beachtliche Rentensteigerung vorsah und eine jährliche Erhöhung parallel zu den Lohnerhöhungen. Diese "Wohltat" hatte etwas mit dem Unmut zu tun, den ein Teil der Bevölkerung wegen der Wiederaufrüstung empfand. Jedoch auch mit dem sozialen Wettbewerb, der im Stillen mit der DDR ausgetragen wurde. Als es die DDR-Konkurrenz ab 1990 nicht mehr gab, konnten rücksichtslose Experimente wie Hartz IV in Gang gesetzt werden. Dabei wurde das bisherige Rentensystem einer empfindlichen Belastungsprobe ausgesetzt. Erinnert sei an Artikel 14, Absatz 2 Grundgesetz: "Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen." Dazu gehört auch die Vermeidung von Steuerzahlungen in überseeische "Oasen".

Dr. Kurt Neumann, Bad Harzburg

Politiker bleiben Vorbilder

Zum Artikel "Ein Hauch von Kleingeist" über die Ruhegelder von Politikern folgende Bemerkung: Als wohlbestallter Journalist, Abgeordneter oder Beamter ist es leicht, die Bemühungen des Haushaltsausschusses für eine Begrenzung der Ausgaben für gewesene Kanzler oder Bundespräsidenten für kleinkariert zu halten. Es geht doch gar nicht darum, ob diese früheren Amtsträger künftig einen oder zwei Referenten beschäftigen dürfen. Es geht darum, dass auch diese Politiker in ihrem Altersleben immer noch eine gewisse Vorbildfunktion haben und sich nicht auf Staatskosten in einer abgehobenen Luxuswelt bewegen sollten. Die Diskussion wurde durch den Fall des ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff losgetreten, der nach anderthalb Jahren in dieser Funktion als vergleichsweise junger Mann nun lebenslänglich in einer Weise alimentiert ist, die meines Erachtens unerträglich ist. Vom Bundespräsidenten a. D. Joachim Gauck hört man, dass er die Annehmlichkeiten seines Altersdaseins großzügig zu nutzen versteht. Die Bemühungen des Haushaltsausschusses sollten auch dahin gehen, dass man über die Höhe des lebenslangen Ehrensoldes nachdenkt.

Eberhard Drück, Wachtberg

© SZ vom 02.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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