Reformation:Gefordert ist Herrschaftskritik

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Matthias Drobinski hat in seinem Leitartikel zu 500 Jahren Reformation geseufzt: "Ach Gott! Wo bist du?" Damit hat er Leserinnen und Lesern offenbar aus dem Herzen gesprochen. Sie fordern Christen dazu auf, sich einzumischen.

Maßgeblich war für Martin Luther allein das, was in der Bibel geschrieben steht. Statue des Theologen in Wittenberg. (Foto: Getty Images)

"Ach Gott! Wo bist du?", "Die Lutherin" und "Macht der richtige Glaube reich?" vom 30./31. Oktober/1. November sowie "Da bleibt was" vom 28./29. Oktober:

Weg mit den Samthandschuhen

Matthias Drobinski geht zur Sache in dem, worum es Martin Luther ging. Sein Leitartikel "Ach Gott! Wo bist du?" ist ein kräftiges Votum gegen das Christentum als Wohlfühl-Religion, in der es darum geht, dass wir Menschen mit tröstlichen Zureden eingekuschelt werden und als Kuschelbedürftige betrachtet werden. Was ich an Reden und Artikeln über Luthers Reformation im Jubiläumsjahr gehört und gelesen habe, finde ich unscharf, häufig platt und schmerzlos. Der Brennpunkt der Theologie Luthers ist das Kreuz Jesu Christi. Was bedeutet es, dass die zentrale Person des christlichen Glaubens ein von den in Rom Herrschenden Hingerichteter ist?

Sein Platz ist in der Tat an der Seite derer, die geschunden und betrogen werden: der polnischen Frau, deren "gnädiger und naher Gott" ihr Kopfschmerzen bereitet; der Menschen, die im Mittelmeer ertrinken; der Kinder in Syrien, die von Fassbomben zerfetzt werden; der alten Menschen, die allein und vergessen in unseren Krankenhäusern ihrer Krankheit und ihrem Sterben überlassen werden.

Wir Christen sollten nicht mit Samthandschuhen angefasst werden, sondern lernen "Verdammte Scheiße" zu schreien! Dazu, dass wir immer mehr zu Robotern einer Konsumgesellschaft werden, die ewig wachsen und immer mehr Profit generieren muss, die sich als Schlusspunkt der Menschheitsgeschichte feiert und unsere Heimat Erde auffrisst. Das Kreuz Christi fordert Herrschaftskritik von uns und vor allem, dass wir lernen, jede Herrschaft über uns abzuschütteln. "Wir sind Bettler, das ist wahr" - und hoffentlich Bettler, die zunehmend sehend werden und sich nicht mit unscharfen, flachen und schmerzfreien religiösen Deklarationen abspeisen lassen. Dr. Clark Seha, Pfr. i. R., Bielefeld

Wenig erbauliche Predigten

Immer wieder gibt es Leitartikel in der SZ, die bewegen, aufrühren, die eigene Position bestärken ... so der Beitrag von Matthias Drobinski zum Reformationstag, "Ach, Gott! Wo bist du?", vermutlich getragen von persönlicher innerer Suche. Wie konträr, die sonntäglichen Gottesdienste, die mich im Rahmen oft vereinfachender, harmonisierender Aufbau-Predigten kaum noch erbauen, und dagegen die eindrücklichen Worte des Autors, der anlässlich der reformerischen Gedanken Luthers prägnant eine überzeugende theologische Argumentationslinie bis hin zur "Kreuzestheologie" aufzeichnet, von der "unfassbaren Zumutung des Glaubens angesichts des verborgenen Gottes".

Erst die Kenntnisnahme menschlicher Macht, Gier und Zerstörungswut in Folge eingefrorener systemischer Strukturen eröffnet Zugangsmöglichkeiten zu einer verinnerlichten Glaubenshaltung und religiösen Vergewisserungen.

"Der Christengott ist (...) kein 'Spiritual Leader' fürs angenehmere Leben", schreibt Drobinski. Ein Satz, der wohl auch für die Masseninszenierung des Pop-Oratoriums (!) "Luther" - das Projekt der 1000 Stimmen und die zumeist banalisierenden Texte von Michael Kunze gelten kann. Dr. Annedore Hirblinger, Dießen a. A.

Der Traum vom "lieben Gott"

Ich finde es unglaublich, wie hartnäckig sich die Vorstellung eines "lieben Gottes", so wie wir ihn gerne hätten, hält, sowohl bei Menschen, die an Gott glauben als auch solchen, die ihn ablehnen - gerade bei solchen, weil es so leicht scheint, ihn mit Begebenheiten, wie sie die Polin im Leitartikel "Ach Gott! Wo bist du?" erzählt, widerlegen zu können. Ist es so schwer zu durchschauen, dass alle unsere Auffassungen von Gott nur unsere Vorstellungen sind und überhaupt nichts mit Gott zu tun haben (müssen)?

Alle unsere Vorstellungen von Gott sind egozentrisch, das heißt, wir sehen uns im Mittelpunkt unseres Denkens und maßen uns an, darüber zu befinden, wie Gott zu sein hat. Damit stellen wir uns über Gott, anstatt dass wir Gott an erste Stelle setzen und aus dem Leben lernen, wie Gott wirkt und das demütig annehmen. Gott ist eben der, der Leben schenkt und es wieder vernichtet. Leben wäre unerträglich, wenn es keinen Tod gäbe. Da sind indische und buddhistische Auffassungen vom Leben um vieles weiter. Der Einwand, dass die Kirche ja seit Jahrhunderten den "lieben Gott" predigt, zählt nicht, denn die Kirche besteht genau aus diesen egozentrischen Menschen wie wir alle.

Echter Glaube beginnt erst dort, wo ein Mensch bereit ist, das Leben so anzunehmen, wie es eben ist, so grausam es auch manchmal ist. Das meiste an Grausamkeit wird übrigens durch Menschen verursacht - eben von Menschen, die sich in den Mittelpunkt stellen und nicht Gott.

Anton Weiß, Bad Aibling

Max Weber war pessimistischer

Marc Beise behauptet in "Macht der richtige Glaube reich?" unter anderem, Max Weber würde ein Loblied auf den Calvinismus singen und beruft sich dabei auf Webers Schriften zur protestantischen Ethik. Im vorletzten Absatz von "Askese und politischer Geist" wird jedoch dazu deutlich, dass Weber selbst ein äußerst pessimistisches Resümee aus seinen eigenen Überlegungen zieht. Er befürchtet, dass wir es bei konsequenter Weiterentwicklung dieser Form des Kapitalismus nur noch mit "Fachmenschen ohne Geist, Genussmenschen ohne Herz" zu tun haben werden. Und er wirft einen düsteren, geradezu prophetischen Blick auf die damit verbundene Geisteshaltung: "Dies Nichts bildet sich ein, eine nie vorher erreichte Stufe des Menschentums erstiegen zu haben." Das klingt nun so gar nicht nach Loblied, eher schon nach Abgesang. Und, mit Blick auf diverse aktuelle Führungspersönlichkeiten der westlichen, kapitalistischen Welt: Hat er nicht auf tragische Weise recht behalten?

Ein weiterer Irrtum durchzieht die zugrunde liegende Studie: Auch katholische Städte und Kommunen können in ihrem wirtschaftlichen Denken und Handeln kapitalistisch überformt sein, und entsprechend dieser Haltung grundkapitalistisch agieren. Ein gutes Beispiel hierfür ist der italienische Norden, der sich komplett anders als der Süden entwickelt hat, ohne deswegen zum Protestantismus zu konvertieren. Dasselbe gilt sogar für Bayern, wo ebenfalls mittlerweile der protestantisch geprägte Kapitalismus Einzug gehalten hat. Wenn aber kapitalistisches Wirtschaften nicht von der aktuell ausgeübten Religion abhängt, ergibt die Ausgangsfragestellung wenig Sinn. Jochen Löffler, Augsburg

Käßmann - ein Glücksfall

Vieles mag man Margot Käßmann im Kontext ihres theologischen Wirkens nachsagen, aber eines ist sie ganz gewiss: eine veritable Luther-Versteherin. Insofern war es nach ihrem "Fall" kein Akt einer Job-Kompensation, für sie einen adäquaten Posten zu finden, nein, es war die beste aller Möglichkeiten, wahrlich ein ausgesprochener "Glücksfall", sie zur Botschafterin des Reformationsjubiläums berufen zu haben. Käßmann hat im besten Sinne Missionsarbeit für Luthers Gedanken betrieben, sie hat Luthers Leben und Werk mühelos, authentisch, offenherzig und stets auch kritisch interpretiert, so dass Zeitgenossen auf der ganzen Welt einen Ansatz des Verstehens für die Tragweite und Bedeutung der Reformation entwickeln konnten (in diesem Kontext erinnere ich an die großartige Reportage im SZ-Magazin zu Margot Käßmanns Reise nach Asien).

Es ist betrüblich zu lesen, dass es scheinbar Zerwürfnisse zwischen Käßmann und der EKG-Führung gab. Gleichwohl bleibt für mich im Sinne der Mottowahl der evangelischen Kirche für das 500. Reformationsjubiläum für die Botschaftsrolle der Ex-Bischöfin dieses überaus erfreuliche Fazit: "Käßmann - teuflisch gut!"

Hans Watermann, Bornheim-Hersel

Roms leeres Wortgeklingel

Die naive (?) Gutgläubigkeit von Heinrich Bedford-Strohm ist schon erschreckend. Solange der Papst sein Unfehlbarkeitsdogma aufrechterhält, solange die protestantische Kirche als eine lediglich "kirchenähnliche Gemeinschaft" bezeichnet wird (Benedikt XVI.), solange bleibt das Gerede von der Ökumene leeres Wortgeklingel. Wer es tatsächlich wagen sollte, Martin Luthers Grundsatz von der "Freiheit eines Christenmenschen" aufzugeben, wenn Glaube aus der Schrift und Gnade auf dem Altar der Unterwürfigkeit geopfert werden, wenn die Amtsgewalt der Päpste höher gestellt wird als die Rechtfertigung des Glaubens mit seinen zwei Sakramenten aus dem Neuen Testament, dann werden die Freiheit des Christenmenschen und unsere protestantische Kirche zerstört. Dr. Wolfgang Miege, Bergisch Gladbach

© SZ vom 08.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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