Recht und Gerechtigkeit:Unverständnis für zweierlei Maß

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Dass Hartz-IV-Schummler härter bestraft werden als Steuerhinterzieher, empfinden viele als ungerecht. Ein Leser fordert eine transparente Strafzumessung für verschiedene Delikte.

Zum Essay " Das soll gerecht sein ?" - Hartz-IV-Schummler werden viel härter bestraft als Steuerhinterzieher, vom 19./20. Juni:

Man muss selbst nicht Hartz-IV-Empfänger(in) sein, um sich über die beschriebene Ungerechtigkeit gehörig aufzuregen. Und die von dieser Ungerechtigkeit Betroffenen haben nun mal keine Lobby, was man von den Begünstigten eher nicht sagen kann. Wer Nachrichten und politische Magazine mit einem gewissen Interesse verfolgt, kann eigentlich oft nicht mehr ruhig schlafen. Denn der Skandal beschränkt sich ja nicht auf Steuerhinterzieher, auch Abgeordnete, zum Beispiel aus Bayern, haben sich entgegen jedem Rechtsempfinden in der Corona-Pandemie auf Kosten der Allgemeinheit unzulässig bereichert, ein Minister hat Milliarden Steuergelder unter Umgehung eines geordneten Verfahrens einer fixen Idee geopfert, von den vielen anderen unfassbar teuren Fällen von Steuerverschwendung, die immer wieder aufgedeckt werden, ganz zu schweigen. Davon, dass diese Männer (Frauen sind weniger oft im Fokus) angemessen zur Rechenschaft gezogen worden wären oder würden, hört man indes kaum etwas .

Renate Brosseder, Schliersee

In der Tat: Schaue ich auf die beiden Straftaten - Sozialbetrug einerseits, Steuerhinterziehung andererseits - und deren Straffolgen, wird auch mein Gerechtigkeitssinn extrem strapaziert. Es wird - wieder einmal - die Frage danach aufgeworfen, ob der Unwertgehalt der Straftaten richtig erfasst wurde. Handlungsunwert und Erfolgsunwert beider Taten sind so unterschiedlich, dass sie weder das Urteil für die Frau aus Sachsen noch das Urteil für den Mann aus Bayern rechtfertigen können. Letzterer hätte eine weitaus härtere Strafe bekommen müssen, die Sächsin eine mildere.

Die dahintersteckende Problematik, nämlich die Vergleichbarkeit der Strafzumessung über die Landesgrenzen hinweg, wird seit Ewigkeiten diskutiert und nicht gelöst. Sie soll nicht gelöst werden, weil eine schematische Strafzumessung mit dem deutschen Strafrecht nicht vereinbar wäre. Aber das ist meines Erachtens falsch, wie sich zum Beispiel daran zeigt, dass es für Ordnungswidrigkeiten im Straßenverkehr längst Tabellen gibt.

Es muss im modernen demokratischen Rechtsstaat für Delinquenten transparent gemacht werden, wie es zum konkreten Strafmaß gekommen ist. Das leisten die jetzigen Strafzumessungsregeln nicht. Was sie aber hervorbringen, ist eine einseitige Betonung der richterlichen Unabhängigkeit auf der einen Seite und der Unberechenbarkeit auf der anderen Seite. Dabei steht in den geltenden Strafzumessungsregeln nichts davon drin, dass die Unberechenbarkeit ein Strafzumessungskriterium sein darf.

Friedrich-Wilhelm Heumann, Bremen

Zu der sehr unterschiedlichen Behandlung von Hartz-IV-Schummlern und Steuerhinterziehern durch unsere Justiz hat schon 1978 die im April dieses Jahres verstorbene italienische Sängerin Milva (in dem Album "Freiheit, Gleichheit und so weiter") das Richtige gesagt: "Vor dem Gesetz sind alle gleich / das gilt für jeglichen Bereich / nur eine Minderheit ist gleicher / und die ist halt ein bisschen reicher."

Solange sich hier nichts ändert, müssen die Verantwortlichen in Justiz und Politik den Vorwurf der "obszönen Diskrepanz" wohl weiter hinnehmen.

Achim Clausing, Münster

© SZ vom 14.07.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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