Rassismus I:Ideologie lebt auch von Begriffen

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Es wird diskutiert, das Wort ,,Rasse" aus dem Grundgesetz zu entfernen. Aber bringt das viel? SZ-Leser sind sich uneins, gibt es doch viele Ausdrücke, die diskriminierend sind. Der Tod von George Floyd in den USA hat die Debatte neu angefacht.

Berufsgruppe unter Diskriminierungsverdacht: Polizeikontrolle eines Mannes mit dunkler Hautfarbe in Berlin. (Foto: Paul Zinken/dpa)

Zu " Rassismus ohne Rasse" vom 1. Juli sowie zu " Streichen, bitte" vom 13./14. Juni und " Rassismen" vom 12. Juni:

Worte streichen ändert nichts

Artikel 3, Absatz 3 Grundgesetz: "Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden." Weil es nach der modernen Wissenschaft bei Menschen keine Rassen gibt, fordern aktuell viele, "Rasse" zu ersetzen, etwa durch die Umschreibung"aus rassistischen Gründen". Meines Erachtens sollten wir es bei "Rasse" belassen. Die meisten werden ohnehin "Rasse" sofort mit "Rassismus" assoziieren.

Es ging und geht um das Verbot der Diskriminierung von Menschen aufgrund einer gewissen äußerlichen oder auch nur vorgeblichen Andersartigkeit. Dabei sollte es bleiben und das ist mit "Rasse" gut im Grundgesetz beschrieben. Wobei hier auch ein wenig globaler gedacht werden sollte: Wenn Meghan Markle ganz selbstverständlich davon spricht, sie sei "mixed race", dies also im Angelsächsischen kein Problem ist, sollte auch "Rasse" im Grundgesetz kein Problem sein. Im Übrigen hat der Rassismus nicht deshalb aufgehört, weil "Rasse" im Sprachgebrauch nicht mehr verwendet wird und er wird daher auch nicht aufhören, wenn man "Rasse" im Grundgesetz streicht.

Es mag wissenschaftlich bei Menschen keine verschiedenen Rassen geben. Aber Unterschiede gibt es schon. Und die Menschen reagieren darauf. Also muss man ihnen auch weiterhin offen sagen, dass sie sich hiervon nicht leiten lassen dürfen. Und gerade denjenigen, die immer noch an Rassen glauben, klärt das Grundgesetz mit dem bestehenden Begriff eindeutig auf.

Dr. Claus Schneider, Lichtenstein

Diskriminierung im Mittelmeer

Die Realität ist: "Black lives don't matter in Europe!" Man sehe sich den Dokumentarfilm über die Seawatch 3 mit all den Flüchtlingen an Bord an und stelle sich vor, diese wären weiß. Ich bin sicher, wir würden nicht wegschauen, schweigen, nichts tun und diese Menschen ertrinken lassen. Nach Angaben der UNO Flüchtlingshilfe gab es im Jahr 2018 2275 tote Menschen im Mittelmeer. Geflüchtete Frauen, Kinder und Männer. In 2019 waren es 1327. Wie viele tote Menschen werden es in 2020 sein? Warum tun wir nichts? Ich bin überzeugt: Es hat mit der Hautfarbe der Menschen zu tun.

Dr. Sabine Mock, Frankfurt

Vermächtnis aus der Kolonialzeit

Kolonialismus mit Menschenverachtung, Sklaverei und Ausbeutung bleiben eine ewige Schande europäischer Staaten (Spanien, Portugal, England, Frankreich, Holland, Belgien, Deutschland, etc). Schon in seinem ersten Brief "aus der Neuen Welt" versprach Kolumbus 1453 dem spanischen König eine unerschöpfliche Menge an Sklaven und zu missionierenden Heiden. Am Ende des Ersten Weltkrieges, nach dem Deutschland - zum Glück - alle seine Kolonien verlor, standen über 70 Millionen Quadratkilometer Gebiete und fast 600 Millionen Menschen unter Kolonialherrschaft. Obwohl nach dem Zweiten Weltkrieg die meisten Länder in Afrika und Asien ihre Freiheit erkämpften, gibt es auch heute noch Sklavenarbeit: Nach UN-Angaben arbeiten 15 Millionen unfreie Menschen für den Profit der "freien Völker". Und postkoloniale Abhängigkeiten gibt es bis heute, etwa in Mali, Niger und Senegal.

Es hat anscheinend der Tötung eines Schwarzen in den USA bedurft, um auf das schlimme Vermächtnis von Kolonialismus, Kapitalismus und Menschendiskriminierung aufmerksam zu machen und unsere Geschichte und unsere Denkmäler zu hinterfragen. Der Dichter Heinrich Heine hat 1853 darüber in einer Ballade die menschenverachtende Art, wie Weiße mit Sklaven aus Afrika auf dem Weg nach Amerika umgingen, beschrieben: "... Sechshundert Neger tauschte ich ein / Spottwohlfeil am Senegalflusse. / Das Fleisch ist hart, die Sehnen sind stramm, / Wie Eisen vom besten Gusse. / Bleiben mir Neger dreihundert nur / im Hafen von Rio-Janeiro, / zahlt dort mir hundert Dukaten per Stück / Das Haus Gonzales Pereiro..." Als einige Sklaven unterwegs sterben, betet der Schiffsbesitzer: "Um Christi willen verschone, o Herr, / Das Leben der schwarzen Sünder! / Erzürnten sie dich, so weißt du ja, / Sie sind so dumm wie die Rinder. / Verschone ihr Leben um Christi willen, / Der für uns alle gestorben! Denn bleiben mir nicht dreihundert Stück, / So ist mein Geschäft verdorben."

Peter Wonka, Marktoberdorf

Nicht rütteln am Artikel 3

Den Bedenken von Andreas Zielcke zur Streichung des Begriffs "Rasse" aus der Verfassung stimme ich voll zu. Am Grundgesetz wurde schon so viel herumgedoktert, nicht gut für eine Verfassung. Verbessert wurde der Text dadurch nur in manchen Fällen, immer aber wurde er umfangreicher, damit weniger eindringlich. Änderungen im Grundrechtsteil scheinen mir dabei besonders bedenklich. Ich begreife nicht, wie man Artikel 3 GG, entstanden nach dem Schock der industriemäßigen Massenvernichtung einer "Rasse" missverstehen kann. Noch erinnern sich viele an die Bedeutung des unseligen "Ariernachweises". Für meine Generation enthielt der Artikel 3 ein Bekenntnis zum "Nie wieder". Eine Tradition, deren Selbstverständlichkeit man durch keine Änderung in Frage stellen sollte.

Dr. Irma Hanke, Tutzing

Eine Vorlage für Rassisten

Kein einziges unter den 19 000 menschlichen Genen, ja nicht mal eines von 3,2 Milliarden Basenpaaren der menschlichen DNA findet sich, das rassische Unterschiede begründen könnte. Das ist die klare Quintessenz der Jenaer Erklärung der Deutschen Zoologischen Gesellschaft vom Herbst vorigen Jahres. Der Begriff Rasse dient lediglich Rassisten dazu, ihre menschenverachtenden, oft genug mörderischen Wahnvorstellungen mit einem wissenschaftlich sich gebenden Mäntelchen zu verbrämen. Wer sich also dagegen sträubt, den Begriff der Rasse aus dem Grundgesetz, ja aus unserem Sprachgebrauch zu verbannen, beweist höchstens seine dürftigen naturwissenschaftlichen Kenntnisse, oder verhindert gar, dass Rassisten ihr fadenscheiniges pseudowissenschaftliches Mäntelchen verlieren.

Dr. Alfons Hack, Grafing

© SZ vom 14.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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