Plastikmüll:Alle im Sack

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Wie kann man der Flut an Plastikmüll Herr werden? Sicher nicht mit den Politikansätzen, die Deutschland und Europa so bieten, meint ein Leser. Aus seiner Sicht ist Recycling nur ein Mythos. Andere pflichten ihm bei.

Alles Wertstoffe, nur: Wer verwertet sie? Plastikflaschen in Hamburg. (Foto: Daniel Bockwoldt/dpa)

" Plastik ist zu billig" vom 1./2. September und " Preis der Bequemlichkeit" vom 17. August:

Argumente der Lobby

Entstand das duale System nicht damals, als die Politik sich erstmals mit den Einwegverpackungen zu befassen drohte? Die interessierten Teile der Privatwirtschaft haben sich dann mit dem Argument durchgesetzt, statt mit Verboten könne man das Problem doch viel intelligenter in Eigenregie bewältigen. Pia Ratzesberger zeigt anschaulich, dass dieses Versprechen - anscheinend ganz legal - nicht eingelöst wurde. Daraus sollte man lernen, bevor man den nächsten Anlauf unternimmt. Natürlich ist es erst mal nicht falsch, den Verbrauch von Plastik hübsch marktwirtschaftlich über den Preis steuern zu wollen. Aber wenn alle verpackten Produkte um ein paar Cent teurer würden und sich das Gesamtvolumen des Mülls nach ein paar Jahren um beispielsweise 20 Prozent verringert hätte, wäre das auch schon ein Erfolg der marktwirtschaftlichen Strategie - nur eben ein ungenügender. Genau das ist aber zu befürchten, wenn die Politik sich nicht sehr viel selbstbewusster als bisher über angeblich marktwirtschaftliche, in Wirklichkeit lobbyistische Argumente hinwegsetzt.

Axel Lehmann, München

Beruhigender Mythos Recycling

Symbolpolitik, wie das Verbieten von Plastiktüten, Strohhalmen, Plastik-Einweggeschirr und exotischeren Dingen wird das Problem der Meeresvermüllung mit Kunststoffen nicht lösen. Ein eilends zusammengeschusterter Vorschlag der EU-Kommission über Maßnahmen gegen Plastik für den einmaligen Gebrauch soll nun Abhilfe schaffen. Ein untauglicher Versuch mit untauglichen Mitteln am untauglichen Objekt? Aktionismus ist eine schlechte Antwort auf Fragen der empörten Öffentlichkeit zu der empörenden Anhäufung von Plastikmüll in den Weltmeeren, die letztendlich ihre Ursache hat in der empörenden Nachlässigkeit und Gedankenlosigkeit vieler empörter wegwerfender Konsumenten selbst sowie vor allem in der empörenden Gleichgültigkeit vieler Mitgliedstaaten beim Aufbau einer geordneten Abfallentsorgung.

Augenfällig sind die Parallelen der Verhaltensmuster zum Klimaschutz, der immerhin schon weiter ist und dennoch ebenfalls bisher folgenlos blieb, da CO₂-Emissionen weiterhin ungebremst ansteigen. Anstatt Ursachen zu bekämpfen, wird Anpassung kultiviert. Für die Kunststoffverschmutzung besteht diese Anpassung in der Anbetung von Recycling und Kreislaufwirtschaft. Bedauerlich nur, dass es schon an einer Definition eines mit kreislaufwirtschaftlichem Denken kompatiblen Recyclingbegriffs fehlt. So weit hat noch niemand gedacht, und so kommt es, dass man sich in Deutschland ungeniert zum Recycling-Weltmeister küren kann, obwohl sich die Wiedereinsatzquote recycelten Plastiks im einstelligen oder, je nach Sichtweise, im niedrigen zweistelligen Prozentbereich bewegt. Recycling, ein beruhigender Mythos für selbstzufriedene Politiker und Ministerialbeamte und eine Beruhigungspille für Empörte.

Ursachenbeseitigung hieße vor allem, drastische Reduktion von Einwegverpackungen, egal aus welchem Material, strenge Vorschriften zur Vermeidung von planmäßiger Obsoleszenz durch massive Ausweitung der Garantievorschriften weltweit, Verpflichtung des Handels zu Wartung und Reparatur und der Produzenten zur Vorhaltung von Ersatzteilen über Dekaden, strenge Regeln für den wildwestgeprägten Online-Handel, der häufig Rückläufe vernichtet, lückenlose Abfallentsorgung vor allem bei mediterranen Anrainerstaaten, aber auch und vor allem den verschmutzenden Hotspots in Südostasien, strenge Kontrolle der grenzüberschreitenden Abfallverbringung, um dem Prinzip, Probleme an der Quelle ihrer Entstehung zu bekämpfen, wieder Geltung zu verschaffen. Schließlich bedürfte es der Förderung der dezentralen Produktion und Vermarktung vor allem von Nahrungsmitteln, um deren Verpackung und Transport zu reduzieren.

Gerne wird verdrängt, dass nicht nur Verpackungen die Umwelt verschmutzen. Der größte Anteil unserer elektronischen Plastikwelt landet auf den Höllen von Deponien in Ghana und anderenorts in weniger entwickelten Staaten und vergiftet dort Menschen und Umwelt. Konsumismus wird bunt, spielerisch und mit viel Psychologie beworben, damit die später Empörten seine mörderische und selbstzerstörerische Kraft nicht bemerken.

Aber kein Grund zur Sorge, nichts wird geschehen, und deshalb sind auch über noch sehr lange Zeit Sommerschlagzeilen zur Plastikvermüllung garantiert. Bequemlichkeit macht Schlagzeilen, doch sie hat ihren Preis, und spätere Generationen werden ihn bezahlen müssen, und deren Nationalität wird keine Rolle spielen.

Prof. Helmut Maurer, Brüssel/Belgien

Separat sammeln

Höhere Preise sind sicher ein wichtiger Teil der Lösung, aber sie sind nicht ausreichend. Wir geben uns im internationalen Vergleich sicher große Mühe, ein effektives Recycling vorzunehmen. Dabei steht aber eine Begriffsverwirrung vielen Lösungen im Wege. Plastikerzeugnisse werden überwiegend aus Erdöl hergestellt und sie finden sich in fast allen Lebensbereichen wieder. Werden sie nicht mehr gebraucht, sind sie "Abfall". Es ist also als Erstes erforderlich, sie aus dem Abfall zu trennen und danach zu sehen, wie ein sinnvolles Recycling vorgenommen werden kann. Hier muss der Gesetzgeber für die Verbraucher anwendbare Vorschriften erlassen, also zum Beispiel allen Müll aus Plastik getrennt sammeln und nicht "Verpackung" als Unterscheidungsmerkmal zu benutzen, wie es mit dem Grüner-Punkt-System verlangt wird. Viele Behälter, eine Pappschachtel, eine Tube aus Metall sind Verpackung, aber kein Plastikabfall. Folien, Kinderspielzeug, Küchenmaschinen-Gehäuse, Kämme, Tüten, Netze usw. sind zwar aus Plastik, gehören aber nicht ins Grüne-Punkt-System. Wer kann das begreifen?

Würden Plastikabfälle separat gesammelt, wäre schon ein großer Schritt getan. Da würden dann auch die Plastiktüten landen, wie die Fischernetze und das Tauwerk der Seefahrt. Sie könnten viel leichter sortiert, recycelt oder verbrannt werden und würden nicht einfach in der Umwelt landen, wenn der Vorschlag für höhere Preise realisiert würde.

Peter Kayser, Sereetz

© SZ vom 13.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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