Othering:Wenn Menschen nur noch Kontakte sind

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Was die Diskriminierung anders gearteter Menschen mit den sozialen Medien und mit Kapitalismus zu tun hat und wieso Immanuel Kant und seine Lehren mit dem Phänomen wenig zu tun haben.

" Das Paradox der Ausschließung" vom 19. Dezember:

Der Beitrag von Myisha Cherry über den Vorgang des "Otherings" beschreibt ein wichtiges Phänomen der sozialen Exklusion. Allerdings versäumt es die Autorin, ein subtiles Verfahren zur Exklusion zu benennen, das für unsere postmoderne Netzwerkgesellschaft typisch geworden ist.

Für die Eliten und die "Performer" in unserer "Gesellschaft der Singularisierung" gilt Offenheit, Aufgeschlossenheit, Toleranz und Vorurteilslosigkeit gegenüber anderen Menschen, auch gegenüber anderen Kulturen, sexuellen Vorlieben oder Religionen als selbstverständlich. Diese "Tugenden" haben in der globalen Netzwerkkultur allerdings die Funktion, möglicherweise wichtige, außergewöhnliche Kontakte nicht durch eigene Vorurteile oder bornierte Selbstgefälligkeit zu verpassen.

Die "Tugenden" entspringen also keiner moralischen Haltung, sondern einer rein instrumentellen Einstellung. Sie dienen dazu, das eigene Netzwerk und damit den Eigenwert der Person zu optimieren. Wer nach dem ersten Screening uninteressant erscheint, keine außergewöhnliche Geschichte bietet, die sich in die eigene Narration gut einfügen lässt, wer also nichts zu bieten hat, von dem nimmt man nicht einmal die Visitenkarte.

Dies gebietet schon die Netzwerklogik des "unternehmerischen Selbst", wonach wir unsere knappen Ressourcen, Zeit und Aufmerksamkeit, nicht für nutzlose Kontakte investieren sollten. In unserer Netzwerkgesellschaft, wie sie uns von den globalen Eliten vorgelebt und von der Managementliteratur propagiert wird, führen wir permanent soziale Ratingverfahren über Menschen durch. Wie bei Unternehmen und Staaten, die dieser Bewertung unterzogen werden, landen dabei auch manche Menschen auf Ramschniveau und werden für die Netzgesellschaft unsichtbar.

Wir haben es also mit einem strukturellen Problem zu tun, ob Menschen ausgeschlossen werden oder als Teil des Netzwerkes "in Wert" gesetzt werden. Diese Form des "Otherings", die dem neuen Geist des Kapitalismus entspringt, scheint aber leider auch unsichtbar zu bleiben. Die Ökonomisierung des Verhaltens fängt schon damit an, Menschen in der Welt der Netzwerke als Kontakte zu bezeichnen.

Werner Kindsmüller, Kaarst

Einfach Diskriminierung

Anstatt uns mit einem Neologismus zu beglücken, von dem fraglich ist, ob er überhaupt für einen sinnvollen Begriff steht, möchte man Myisha Cherry empfehlen, es doch einfach mal mit dem guten alten Begriff der Diskriminierung beziehungsweise mit dem Verbot der Diskriminierung zu versuchen. Dieses besagt, dass Anderssein keine Rechtfertigung dafür sein darf, Menschen zum Beispiel die Grundrechte vorzuenthalten. Man kann sich selbstverständlich fragen, welche sozialen und/oder individualpsychischen Mechanismen Diskriminierung produzieren oder begünstigen. Aber auch für entsprechende Untersuchungen benötigen wir "Othering" (zu Deutsch: Veranderung) durchaus nicht. Prof. Jens Kulenkampff, Erlangen

Ausgerechnet Kant

Die Methode, jemanden nach vorher aufgestellten Normen des Menschseins aus der Menschheit auszuschließen ("Othering"), wird von der Verfasserin ausgerechnet durch das Beispiel Immanuel Kants illustriert, der von der "Fähigkeit, rational zu denken und zu handeln", bestimmte Gruppen ausgeschlossen habe: "Schwarze zum Beispiel." Eine Quelle zum Nachlesen gibt die Verfasserin nicht an. Dort, wo man sie vermutet, in Kants Rassentheorie (nicht jeder, der eine solche Theorie aufstellt, ist ein "Rassist") steht jedoch der Satz: "Die Klasse der Weißen ist nicht als besondere Art in der Menschengattung von der der Schwarzen unterschieden; und es giebt gar keine verschiedene Arten von Menschen" (Kant, "Bestimmung des Begriffs einer Menschenrasse", 1785; Akademieausgabe Bd. VIII, S. 99/100). Der springende Punkt ist: Schwarze sind Menschen ebenso wie Weiße, und zwar mit allem, was die Gattung der Menschen auszeichnet. Durchaus möglich ist es aber: jemanden durch eine nicht nachgewiesene und obendrein falsche Behauptung zu "othern".

Lutz Koch, Köln

© SZ vom 08.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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