Nato und Europa:Ringen um die passende Rolle

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Verteidigung, Finanzierung, Werteverständnis: Wie vielstimming soll und kann das Konzert europäischer Staaten sein, um Themen gemeinsam nach außen zu vertreten? Einige Leser machen sich Sorgen über schwindenden Pazifismus und Drohnenkriege.

SZ-Zeichnung: Fares Garabet (Foto: N/A)

Zu " Erst weiterdiskutieren, dann abheben" vom 9. Dezember, " Wir dürfen uns nicht wegducken", 30. November und " Eine EU-Armee muss her", 18. November:

Der letzte Pazifismus schwindet

"Auslandseinsätze", "Ja zur Nato" "Mehr Geld für die Bundeswehr". Mit diesen Schlagzeilen kann man die Konsequenzen aus der Position benennen, die Frau Annalena Baerbock in dem SZ-Interview eingenommen hat. Und auch eine weitere Militarisierung der EU ist eine Konsequenz aus der Haltung. Damit schleift Frau Baerbock die letzten pazifistischen Reste, die bisher in der Partei der Grünen zu finden waren.

Demgegenüber ist meines Erachtens Folgendes herauszuarbeiten: Militärische Einsätze in Kriegs- und Konfliktgebieten führen nicht zur Befriedung, sondern in aller Regel zur Gewalteskalation. Sie vermehren die Traumatisierung der betreffenden Bevölkerung, die dann über Generationen anhält. Und: Sehr viele Konflikte haben Armut, soziale Verelendung und kollektive gesundheitliche Gefährdungen zur Ursache. Um hier Veränderung und Abhilfe zu schaffen bedarf es unter anderem entschlossener und großzügiger Investitionen in zivile Konfliktbearbeitung, Bildung, medizinische Hilfe, Nahrungsmittelhilfe und ökonomische Entwicklung sowie in den Klima-, Umwelt- und Naturschutz. Die finanziellen Mittel, die hierzu zur Verfügung gestellt werden, sind mehr als unzureichend, und wenn man sie ins Verhältnis setzt zu den Mehrausgaben für Verteidigungszwecke, die - geschuldet den Forderungen von USA und Nato - jährlich getätigt werden, dann ist das ein grobes Missverhältnis.

Es ist nachvollziehbar, dass Frau Baerbock auf die Interessen und Befürchtungen unserer östlichen Nachbarländer (Polen, baltische Staaten, etc. ) eingeht. Deren Anliegen sind aber langfristig besser aufgehoben in einer nichtmilitärischen Friedens- und Sicherheitspolitik, die auf eine Konfliktbearbeitung der Interessengegensätze zwischen Russland und der EU zielt. Auch die Bevölkerungen in den Staaten können mit Methoden der zivilen Konfliktbearbeitung langfristig vertraut gemacht werden. Frau Baerbock besteht nicht auf Erfüllung der Zwei-Prozent-Forderung im Bezug auf Rüstungsausgaben im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt. Doch die Art, wie sie Klärungen fordert, bevor dazu Entscheidungen fallen, lässt darauf schließen, dass sie sich für ihre Partei "Hintertürchen" offen lassen will.

Christian Keller, Villingen-Schwenningen

Neue EU-Verfassung muss her

Ist die EU noch handlungsfähig? Klare Antwort meinerseits: Diese EU ist nicht handlungsfähig. Die EU ist eine großartige Einrichtung, eigentlich. Sie sichert den Frieden unter den Mitgliedern, sorgt für freien Handel, für Freizügigkeit der Bürger, für einheitliche Umweltstandards, für gemeinsame Grundwerte, ermöglicht einen materiellen Ausgleich zwischen unterschiedlich reichen Staaten, etc. - eigentlich. Aber der Anspruch der Wertegemeinschaft, in der die Grundrechte und unsere Grundwerte beachtet werden, und in der alle Mitgliedstaaten ihren Verpflichtungen nachkommen, wird immer mehr gefährdet. Was wollen wir noch in und mit einer EU, in der Mitgliedsstaaten EU-Gelder kassieren, die teilweise im Korruptionssumpf verschwinden, die den Geldfluss und die Verwendung nicht kontrollieren lassen, in der Staaten eine gemeinsame Flüchtlingspolitik verhindern, in der Staaten unsere gemeinsamen Grundwerte nicht beachten etc. Was kann die EU dagegen unternehmen? Wie man sieht, ob der Veto-Möglichkeiten der betroffenen Staaten fast so gut wie gar nichts. Warum sollten diese Staaten denn auch grundsätzlich auf ihr Vetorecht verzichten? Sie können doch ungestraft gegen gemeinsame Grundregeln verstoßen.

Mit dieser EU-Konstruktion mit dem Geburtsfehler der Festlegung auf Einstimmigkeit bei wesentlichen Entscheidungen, de facto einer Veto-Möglichkeit für einzelne Staaten, wird diese EU nie eine ernsthafte Macht im Spiel der Großen, insbesondere der USA und China. Wenn schon eine Region von Belgien (!) ein Handelsabkommen (Ceta) fast verhindern kann, wie will diese EU weltweit ernst genommen werden?

Was ist zu tun? Man braucht eine EU-Verfassung, die die Handlungsfähigkeit mithilfe von Mehrheitsentscheidungen sicherstellt. Da spielt es keine große Rolle, ob für wesentliche Entscheidungen eine Mehrheit von zum Beispiel zwei Dritteln oder vier Fünfteln erforderlich ist. Man muss nur sicherstellen, dass die "Kleinen" weder von den "Großen" unzulässig dominiert werden noch von ihnen die Mehrheit blockiert werden kann.

Visionäre Politiker würden die Frage stellen, was denn passieren würde, falls zum Beispiel Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien, Österreich, Dänemark, die Benelux- und die baltischen Staaten aus dieser EU austreten würden und eine echt Werte orientierte und handlungsfähige neue EU gründen würden mit einer entsprechenden Verfassung. Wie klein würden die sich jetzt so aufblasenden Staaten Polen, Ungarn, um nur die wesentlichen zu nennen? Würden sie jetzt nicht plötzlich einer echten Verfassung zustimmen, die die Handlungsfähigkeit sicherstellen würde?

Das wäre doch einen Versuch wert. Aber ich fürchte, die EU wird so weiterwursteln, und man lässt sich weiter erpressen von Staaten, die mit einem solchen Verhalten eigentlich in einer EU nichts verloren haben.

Klaus- Dieter Nerlich, Grafrath

Was Drohnen-Politik anrichtet

Der Einsatz von Kampfdrohnen ist nach Ansicht vieler Völkerrechtler mit dem humanitären Völkerrecht und dem völkerrechtlichen Gewaltverbot nur schwer in Einklang zu bringen, denn das Risiko der Tötung unschuldiger Kinder, Frauen und Männer ist, wie die Drohnenangriffe der USA unter anderem in Afghanistan, Irak, Somalia mit Tausenden von toten Zivilisten belegen, nur schwer vermeidbar. Die Zielpersonen derartiger Angriffe werden, wie zuletzt die Taliban immer wieder vorexerziert haben, zunehmend Zivilpersonen als menschliche Schutzschilder benutzen, was die Unterscheidung von Kombattanten und Zivilpersonen kaum möglich macht.

Möchte Deutschland (von wo Drohnen starten) derartige Kollateralschäden wirklich in Kauf nehmen? Die politische und militärische Hemmschwelle zum Einsatz militärischer Gewalt würde sinken, ein weiterer Schritt in Richtung Automatisierung der Kriegsführung, deren Entwicklung schon weit fortgeschritten ist, wäre mit Kampfdrohnen getan. Für den berechtigten Schutzanspruch der Soldaten gibt es andere Möglichkeiten. Der beste Schutz deutscher Soldaten wäre übrigens im Fall Afghanistan nach fast 20 Jahren ein Abzug der Bundeswehr und am besten auch aus Mali gleich mit. Es gibt bislang weder Evaluierungen von diesen Einsätzen noch Exit-Strategien.

Dr. Gerd Pflaumer, Bad Honnef

SPD soll Farbe bekennen

In einem Punkt muss ich Herrn Szymanski in dem Artikel "Erst weiterdiskutieren, dann abheben" ausnahmsweise recht geben: ein klarer Standpunkt der SPD zu bewaffneten Drohnen ist wünschenswert. Der Fall ist für mich klar: Die große Mehrheit der Menschen in Deutschland will weder höhere Militärausgaben noch Auslandseinsätze der Bundeswehr. Mehr denn je ist es in Zeiten von Corona schade um jeden Euro, der für Kriegsspielzeug verschwendet wird.

Thomas Gentsch, Leipzig

Frieden erhalten ohne EU-Armee

Herr Daniel Brösslers Kommentar zugunsten einer EU-Armee stellt einen gefährlichen Anachronismus dar: Die Menschheit ringt um die Einhaltung der ohnehin schon gefährlichen Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius plus. Der Militärsektor ist bereits der größte Emittent von Treibhausgasen. Alleine eine Flugstunde eines Eurofighter bringt so viel Kohlendioxid in die Atmosphäre wie ein Bundesbürger innerhalb eines ganzen Jahres. Der Panzer Leo II verbraucht pro 100 Kilometer über 500 Liter Diesel. Die französische Armee verfügt über nukleare Arsenale; diese braucht niemand, wenn man in einem Waffengang in Europa die Zivilisation nicht endgültig zerstören will, denn es stehen auch in einem nicht nuklear geführten Krieg circa 200 Nuklear-Reaktoren in diesem auch mit Chemie-Industrie in der Nähe von Metropolen dicht besiedelten Erdteil. Den circa 50 Milliarden Euro im Bundesetat stehen etwa drei Milliarden Euro für Umweltschutz gegenüber.

Und dann kommt noch die angebliche Notwendigkeit, die immer höheren Militärausgaben, die fälschlicherweise "Verteidigung" und "Sicherheit" zugeschrieben werden, den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern abzuverlangen. Wenn Deutschland alleine das Nato-Ziel der zwei Prozent der Wirtschaftsleistung (BIP) fürs Militär erfüllen sollte, dann hätte alleine dieser eine Nato- oder auch EU-Staat mehr Militärausgaben als Russland, das immer als erste Gefahr genannt wird, gegen die Abschreckung und "Verteidigungsmaßnahmen" gerechtfertigt werden.

Der Plan einer EU-Armee, die wie die Nato vor allem für eine Verteidigungsstrategie gegen Russland aufgestellt werden soll, verletzt auch den Vertrag zur Deutschen Einheit, in dessen Präambel die Aufgabe - von Gorbatschow mit formuliert - steht, auf eine europäische Friedensordnung hinzuwirken, die die Sicherheitsinteressen aller Staaten, also auch Russlands mit berücksichtigt. Dagegen verstößt die Nato-Osterweiterung und die EU-Militärische Mobilität von Plänen, Militär schnell in die Nähe der russischen Westgrenze bringen zu können. Bundesaußenminister Genscher und US-Außenminister Baker erklärten während der Verhandlungen zur deutschen Einheit, die Nato werde sich keinen Zoll ostwärts ausdehnen. Andernfalls hätte es vermutlich die Einheit nicht gegeben.

Bernhard Trautvetter, Essen

© SZ vom 18.12.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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