Montgomerys Kritik:Weiße Kittel gegen schwarze Roben

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Die drastisch geäußerte Missbilligung des Gerichtsurteils zur 2G-Regel im Einzelhandel polarisiert die SZ-Leser. Die einen stimmen dem Präsidenten des Weltärzteverbundes zu, die anderen treten für eine unabhängige Justiz ein.

Der Präsident des Weltärzteverbundes, Frank Ulrich Montgomery, kritisiert, dass Richter die 2G-Regel im Einzelhandel gekippt haben. (Foto: dpa)

Zum Kommentar "Dr. Großartig" vom 28. Dezember:

Es geht um Leben und Tod

Es ist nicht nachvollziehbar, dass Frank Ulrich Montgomery "die Außerkraftsetzung des Grundrechtsgefüges" (was darunter zu verstehen ist, wäre einer Erklärung wert) als ultimative Maßnahme zur Pandemiebekämpfung fordert. Die Frage lautet doch primär, ist ein Grundrecht ein unverrückbarer, unfehlbarer, nicht zur Disposition stehender Wert, selbst wenn es das absolute Recht, nämlich das auf Leben, beschneidet?

Das kleinste Lebewesen, ohne Hirn und Verstand, nur seinen einfachen biologischen Gesetzen folgend, ist offenbar der selbsternannten Krone der Schöpfung weit überlegen, das scheint die schlimme Wahrheit zu sein. Es geht in dieser Pandemie nicht um Kommerz, nicht um mangelnden Respekt vor Richtern, es geht um Leben und Tod. Und wenn mehr als 100 000 Tote immer noch nicht ausreichen und die fünfte Welle in Sichtweite ist, muss ich doch die Frage stellen, ob wir nicht auch zu den kleinsten Lebewesen gehören.

Dr. Alois Wegener, Greifenberg

Montgomery sollte zurücktreten

Ich teile die Bewertung zu Frank Ulrich Montgomerys Äußerung vollumfänglich: "Wer die Justiz ausgerechnet in Zeiten tiefer Grundrechtseingriffe aus dem Spiel nehmen will, hat das Prinzip Rechtsstaat nicht begriffen." Dazu kommt, dass solche Äußerungen auch denen Auftrieb geben, die sowieso und grundsätzlich gegen jegliche Corona-Maßnahmen sind.

Ein Vorsitzender des Weltärztebundes, der sich derart unreflektiert in der Öffentlichkeit äußert, sollte darüber nachdenken, zurückzutreten.

Gisela Kranz, Oberschleißheim

Berechtigte Kritik

Es steht ja wohl außer Frage, dass die Kritik von Herrn Montgomery nur zu berechtigt ist. Dass Wortwahl und Tonlage auch anders denkbar sind, ebenfalls. Allerdings stellen Zu- und Überspitzung in Diskussionsbeiträgen auch legitime Mittel zur Erhöhung der Aufmerksamkeit dar. Ich finde, es steht Richtern nicht in dem Maße zu, über die Angemessenheit von Schutzmaßnahmen zu befinden, wie sie es sich anmaßen. Solange gestorben wird, muss vieles als angemessen gelten. Hier sind Wissenschaftler doch wohl eindeutig sachverständiger.

Was auffällt, ist vor allem, dass über den Umweg von zahllosen Einzelfallentscheiden die jeweiligen Verordnungen und Vorschriften in beängstigendem Tempo durchlöchert werden wie ein Schweizer Käse - ohne jedes Gespür dafür, dass genau dies die ohnehin vorhandene Skepsis gegen staatliche Eingriffe und Beschränkungen fördert und der Corona-Leugner- und Impfgegnerszene erheblichen Vorschub leistet.

Solange der Eindruck besteht, dass man jede Anordnung individuell juristisch zu Fall bringen kann, wird die notwendige Einsicht und Akzeptanz nicht erreichbar sein. Der Blick über den berühmten Tellerrand täte Klageführern und Juristen jedenfalls gut.

Otto Kühnberger, Berlin

Justiz muss unabhängig bleiben

Vielen Dank, Herr Buschmann! Eine Unterstützung wie diese gegen die Entgleisung und Entgeisterung von Montgomery habe ich von der Vorgängerregierung mehrmals erfolglos erwartet. Wenn die Unabhängigkeit der Justiz - auch informell und verbal - angegriffen oder verächtlich gemacht wird, ist es Pflicht des obersten Juristen, diese verbal in Schutz zu nehmen. Falls die Pandemie auch die Unabhängigkeit der Justiz beschädigen sollte, wäre der gesellschaftliche Schaden unermesslich.

Professor Ludwig Paul, Hamburg

Spielraum überschritten

Es darf nicht verwundern, dass der Retter des Justizstaates, so "großartig" wie großmäulig, Frank Ulrich Montgomery für seine deutliche Kritik an inkompetent anmaßenden Gerichtsurteilen polemisch aburteilt. Der Präsident des Weltärztebundes hat es gewagt, die Kompetenz "schwarzer Roben" anzuzweifeln. Nicht zum ersten Mal haben "Richterlein" ihren justiziellen Spielraum grundrechtsmissbräuchlich gegen fachkompetente und politisch-demokratische Entscheidungen benutzt, um Maßnahmen zur Beschränkung von Freiheitsrechten (wie zum Beispiel der 2-G-Regel in Niedersachsen) zugunsten einer asozial rücksichtslos agierenden Minderheit außer Kraft zu setzen.

Das formalistische Verständnis von Grundrechten eines Wolfgang Janisch - offenbar unabhängig davon, ob es faktisch um Gesundheit bis hin zum Tod geht - zeigt unmissverständlich, dass er intentional "das Prinzip Rechtsstaat nicht begriffen hat". Die vage Formel der "Verhältnismäßigkeit" lässt auch Corona-Verleugnern und Verleugnerinnen in schwarzer Robe alle "Freiheiten".

Herr Janischs demokratisches Rechtsstaatsverständnis endet offensichtlich recht schnell: Wenn an subjektiven, politisch motivierten Rechtsurteilen Kritik geübt wird. Das darf nicht sein? Das muss sein! Die Zeit von Halbgöttern und Halbgöttinnen aller Farben ist längst zu Ende. Und die ihrer medialen Exkulpatoren und Exkulpatorinnen?

Eben nichtRichard Auer, Nürnberg Nun sind sie, die bösen Politiker und Journalisten, über ihn hergefallen, über den "armen" Präsidenten des Weltärztebundes Frank Ulrich Montgomery. Derselbe - nicht die Richter, die sind souverän genug - kann einem leidtun. Damit seine Reputation künftig nicht leidet, damit er sich nicht noch einmal blamiert, sei ihm empfohlen, juristischen Rat einzuholen, bevor er meint, an wem auch immer öffentlich Kritik üben zu müssen.

Dr. jur. Jürgen Harbich, Feldkirchen-Westerham

Buschmanns Populismus

Warum sollte Deutschland stolz sein auf seine Richterschaft, die sich völlig überlastet einer Flut von Fällen gegenübersieht, die einfach nicht zu bewältigen ist? Der Staat tut seit Jahren alles, um die Gerichte in ihrer Aufgabe zu behindern. Da ist es wohlfeil, dass der neue Justizminister Marco Buschmann, bekannt für seinen Weitblick seit seiner Ankündigung des nahen Endes der Pandemie im März 2022, die Justiz gegen Frank Ulrich Montgomerys ausfällige Kritik verteidigt.

Buschmann täte besser daran, die Gerichte mit mehr Richterstellen auszustatten, um so der fortschreitenden Erosion des Rechtsstaates in Deutschland Einhalt zu gebieten. Der Staat handicapt seit Jahren die Gerichte und lässt zu, dass Straftäter frei herumlaufen, weil die Rechtssprechung mangels Personal mit den Prozessen nicht hinterherkommt.

Justizminister Marco Buschmann kann höchstens stolz sein auf seine durchschaubare, populistische Lobhudelei, die nur ihm nützt und eine unterbesetzte Richterschaft weiter im Regen stehen lässt. Herr Montgomery dagegen hat sich mit seiner verbalen Fehlleistung selbst disqualifiziert. Da ist jedes Wort zu viel.

Josef Geier, Eging am See

Vertrauen erschüttert

Dr. Großartig hat recht. Nicht alle Richter werden der Ehrerbietung gerecht, die sie bisweilen recht anmaßend für sich heischen. Im Übrigen geht es im Grundsatz nicht um den Antagonismus von persönlicher Freiheit und dem Recht auf körperliche Gesundheit, sondern um die Priorität von persönlicher Freiheit und der Vermeidung abschätzbarer Todesraten.

Oder sollte es in Wahrheit vorrangig um den Funktionserhalt profitabler Systeme gehen? Über einige Gerichtsurteile im Zusammenhang mit Covid-19, durch die von Seuchenexperten sowie dem gesunden Menschenverstand befürwortete Schutzmaßnahmen gekippt wurden, konnte ich jedenfalls nur den Kopf schütteln.

Ich selbst habe vor Jahren im Zusammenhang mit einem Verkehrsunfall meines Sohnes ein "Richterlein" erlebt, das offensichtlich mit einer vorgefassten Meinung das Verfahren möglichst schnell über die Bühne bringen wollte und meiner knapp 17-jährigen unerfahrenen Tochter als Unfallzeugin so lange das Wort im Munde umdrehte, bis es sie dort hatte, wo es sie haben wollte. Da half auch ein anderer Zeuge nicht weiter, der hinter dem Fahrzeug meines Sohnes gefahren war, das Ganze fotografiert hatte und die (ursprüngliche) Aussage meiner Tochter voll und ganz bestätigte. Immerhin nahte die Mittagspause.

Es versteht sich von selbst, dass mein Vertrauen in die deutsche Gerichtsbarkeit auch im Hinblick auf die Behandlung der Naziverbrechen durchaus seine Grenzen hat.

Dr. Friedrich Leibbrandt, Kürten

© SZ vom 11.01.2022 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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