Lisa Eckhart:Was soll und darf Kabarett?

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Die Debatte um die Kabarettistin geht weiter. An einer Kritik ihres Wirkens durch den Schriftsteller Maxim Biller entfacht sich ein Deutungsstreit: Für die einen bedient sie bewusst Ressentiments, für andere hält sie der Gesellschaft nur den Spiegel vor.

Erregt die Gemüter: Lisa Eckhart. Eine Kritik über die Kabarettistin aus Anlass ihrer Einladung ins „Literarische Quartett“ löste viele Leserreaktionen aus. (Foto: picture alliance/dpa)

Zu " Strampeln mit Büchern" vom 7. Dezember sowie weitere Briefe zu " Die Truppenbetreuerin beim ZDF", 3. Dezember; siehe auch " Wie viel Polemik ist noch erträglich", Leserbriefe vom 10. Dezember, Seite 32:

Kunstfreiheit - mit Respekt bitte

Lisa Eckharts satirisches Kabarett stimuliert den Humor insbesondere jener, denen das Lachen nicht so leicht im Halse stecken bleibt. Oftmals ist Humor, wenn man trotzdem lacht - eben ansteckend! Ich schaue ihre Auftritte häufig gerne an. Ihre scharfsinnigen Darbietungen sind oft getragen durch sarkastisch überspitzte Pointierungen und ihre unnahbar kühl dargestellte Bühnenfigur, die sie insbesondere bei Vorträgen zu einem ihrer Hauptthemen, dem Semitismus, auf der Bühne als eine aus der Hitlerdiktatur reinkarnierte, zivile und dem damaligen Schönheitsideal entsprechende Nazi-Braut erscheinen lässt.

Leider bedient sie in dieser Rolle antisemitische Klischees, die auch ohne unsere Geschichte weder humorvoll noch unterhaltsam wären. Dennoch (oder vielleicht deswegen?) thematisiert sie das Judentum immer wieder - selten zu dessen Vorteil. Zwiegespalten drängt sich mir unwillkürlich die Frage auf: Steht da die Kunstfigur Lisa Eckhart oder Frau Lasselsberger selbst auf der Bühne, die nicht, wie Max Frischs Herr Biedermann die Brandstifter zu sich ins Haus, sondern die heutigen Biedermänner und -frauen gerne in ihre Veranstaltungen einlädt, sofern sie lachen, wenn sie auch lachen sollen?

Künstlerische Freiheit und die Würde des Menschen haben - auch dank der sich in Deutschland nach Kriegsende entwickelten Erinnerungskultur - eine nicht geringe Schnittmenge im heutigen Deutschland. Dieses hohe Gut kann nur mit gegenseitigem Respekt und ebensolcher Toleranz und Aufmerksamkeit bewahrt werden. Nur die Gedanken sind frei.

Axel Traue, Bremen

Dreist verbräunte Witzeleien

Endlich kommt da jemand - und kein Geringerer als Schriftsteller Maxim Biller -, um gegen das neofaschistische Auftreten der Kabarettistin Lisa Eckhart den Mund aufzumachen; dem Autor sei Dank für seine akribische Recherche und seinen Mut zur Offenheit. Mein Mann und ich haben diese Frau zum ersten Male bei einem Kabarettauftritt im BR-Fernsehen erlebt. Wir waren zunächst irritiert, dann betroffen bis entsetzt über ihren dreist-frechen, provokativen, mit rechtem Gedankengut verseuchten Beitrag - augenfällig gegen Juden. Und nun der geradezu aufrüttelnde Artikel von Maxim Biller in der SZ, der darin gipfelte, dass man Lisa Eckhart beim "Literarischen Quartett" einen Auftritt gewährte - für uns unfassbar! Es erhebt sich wieder einmal die schwierige Frage, wo sind die Grenzen der Meinungsfreiheit und Duldsamkeit gegenüber solch zerstörerischen Beiträgen, besonders brisant, wenn es um spitzfindig verbräunte Witzeleien gegen Juden geht?

Unser Entsetzen betrifft vor allem die Redaktion des "Literarischen Quartetts": Wie nur kann man mit dem Erbe Reich-Ranickis so schändlich und unsensibel umgehen, indem man solch schamlosen Lästermäulern unter dem Deckmantel von Toleranz und Weltoffenheit das "Wort" erteilt?

Friedel und Axel Baumann, Kaiserslautern

Mit Rassismus gegen Rassismus

Mit dem gleichen Recht, mit dem Maxim Biller beklagt, dass Frau Eckhart im ZDF eine Bühne trotz ihrer rassistischen Äußerungen erhalten hat, beklage ich, dass er seine rassistischen Gedanken in der SZ veröffentlichen darf. Juden, erfahren wir bei Biller, haben einen für uns Deutsche viel zu schnellen Kopf. Im Gegensatz zu den beschränkten Deutschen zeichnet sie eine "wilde, klare jüdische Art" aus. 70 Jahre lang, so lesen wir, haben sie versucht, den Deutschen ein "sehr menschliches Verhältnis von Literatur und Kunst" zu vermitteln. Leider vergeblich. Auch Reich-Ranicki hat die "neuen Deutschen" nicht "auf seine wilde, klare jüdische Art" dafür öffnen können, jüdische Autoren für die wichtigsten zu halten.

Bisher war ich davon überzeugt, dass es deutsche Juden, deutsche Mohammedaner, deutsche Katholiken und Protestanten, deutsche Buddhisten und Deutsche ohne religiöse Bindung gibt. Nun sollen wir Biller glauben, dass es Menschen ganz eigener Art (oder sollte ich "Rasse" sagen?), genannt Juden, gibt, die die von ihm hervorgehobenen Eigenschaften gewissermaßen von Geburt an haben und deshalb mit den Deutschen auf Dauer keine Freundschaft halten können. Die "Deutschen" scheinen ebenfalls eine einheitliche Art (oder sollte ich "Rasse" schreiben?) zu sein, denn ihnen fehlt es an Temperament, Weltläufigkeit, an Klarheit und schnellem Denken. Als Kind habe ich die HJ-Hefte, die auf dem Dachboden ein trauriges Dasein fristeten, aus Mangel an Lesbarem gelesen. Ich erinnere mich an Beiträge, die dasselbe wie Biller heute - nur mit umgekehrten Vorzeichen - Jugendlichen nahezubringen versucht haben. Rassismus mit Rassismus zu bekämpfen wird nicht gelingen!

Helmut Kittlitz, Hamburg

Camouflierter Antisemitismus

Eine repräsentative Umfrage des Jüdischen Weltkongresses von 2019 ermittelte bei 27 Prozent aller Deutschen antisemitische Gedanken. Auf diesem Hintergrund sind die zahlreichen antisemitischen Ausfälle und Übergriffe auf jüdische Menschen bis hin zum versuchten Massenmord in Halle zu betrachten. Aber auf diesem Hintergrund ist auch die öffentliche Aufwertung einer Lisa Eckhart zu verstehen. "Diese aus der Zeit gefallene Ostmark-Kabarettistin", wie Maxim Biller sie nennt, befindet sich doch mit ihren primitiven antisemitischen Klischees und Ressentiments geradezu auf der Höhe der Zeit!

Karl Kraus, einer der großen Satiriker des vergangenen Jahrhunderts, begriff sein satirisches Tun unmissverständlich als "sittliche Aufgabe", den Schmutz vor der eigenen Tür zu kehren, "die Abscheulichkeiten dieser Zeit an dem nächstliegenden Beispiel dar(zu)stellen". Lisa Eckhart hingegen camoufliert den Schmutz und die Abscheulichkeiten, die sie von sich gibt, als Satire. Sie weiß genau, dass ihre vermeintlichen Uneindeutigkeiten sehr eindeutig bei dem von ihr visierten antisemitischen Publikum ankommen!

Die weltweiten Umbrüche und Bedrohungen werden nicht kritisch als Herausforderung angenommen, um sie emanzipatorisch zu bearbeiten, sie werden - wie immer schon - "dem Judentum" zugeschrieben. Die Juden stehen für Kosmopolitismus, Reflexion und Vernunft, der mutlose Wutbürger verharrt aber irrational, aggressiv im Mythos totaler Homogenität in einer Klein-Heimat-Welt und träumt vom besseren Vorgestern - das bedienen und befeuern Typen wie Eckhart.

Es gibt allerdings Anlass zu "pessimistischstem Pessimismus" (M. Biller), wenn sämtliche Mainstream-Medien den antisemitischen, menschenverachtenden, reaktionären Auslassungen einer Lisa Eckhart mit Riefenstahl-Ästhetik so wohlwollend den Hof machen!

Eike Pulpanek, Münster

Kunst darf und soll reflektieren

Mit Verwunderung las ich die Kritik von Marie Schmidt über die Sendung "Das literarische Quartett" als Ergänzung zu den Auslassungen von Maxim Biller über Lisa Eckhart in der SZ. Nun schreibt Frau Schmidt als Kritikerin, Herr Biller als Kollege von Eckhart. Von Frau Schmidt werden die anwesenden Literatinnen und der Schauspieler Matthes aufs Korn genommen und ihnen wird vorgeworfen, dass sie keine Kritikerinnen und Kritiker sind. Es fehlten den Diskutanten die Kriterien, mit denen sie über Literatur urteilen. Die sind eben nicht dieselben wie die der Kritikerin Schmidt. Und da fängt die Sache an, interessant zu werden, denn niemand, weder Frau Schmidt noch Herr Biller, will sich damit anfreunden, dass mit Houllebecq und Eckhart eine der verbreitetsten rhetorischen Figuren unserer Zeit zur Sprache kommt: Dis/simulation, das So-tun-als-ob/nicht - und dies in der Spielart des Antisemitismus, des Rechtsextremismus, des Populismus.

Houllebecq und Lisa Eckhart beherrschen Ironie so perfekt, dass selbst eine Kritikerin wie Marie Schmidt dies nicht als Rollenspiel zu entlarven vermag. Und beide, Schmidt und Biller, haben recht, denn was Houellebecq und Eckhart uns vorhalten, sind die geschmacklosen Spiegelbilder unserer Zeit, in denen wir uns nicht erkennen und mit denen wir uns schon gar nicht identifizieren wollen. Aber sie sind real und treten jetzt in ihrer von der Kunst performten Verdopplung auf, wo sie als noch monströser empfunden werden, als sie in der Wirklichkeit schon sind.

Soll man der Literatur/Kunst diese Unerträglichkeiten vorwerfen? Oder macht sie nicht genau das, wofür sie einsteht, nämlich einen Reflexionsraum zu schaffen, in dem wir etwa darüber nachdenken, wie es wieder zu diesen Bildern kommen konnte und wie wir ihnen heute endlich entgegentreten können? (Durch Sprech- oder Schreibverbot sicher nicht!) Oder soll Literatur Eitelkeiten von Kritikerinnen und Autoren bedienen, die sich aus den ihnen gehörenden Formaten ausgeschlossen fühlen?

Prof. Dr. Christiane Kruse, Kiel/Berlin

© SZ vom 11.12.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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