Leserbriefe: Amerika nach der Wahl:Aufräumarbeit für den Neuen

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Joe Biden ist gewählt, doch Donald Trump macht Schlagzeilen und beschäftigt Gerichte. Das könnte den Richtungs­wechsel in der US-Politik verzögern. Gut möglich, dass Trump oder ein Mitglied seiner Familie 2024 kandidieren, meint ein Ex-Botschafter.

SZ-Zeichnung: Fares Garabet (Foto: N/A)

Leserbriefe zu " Wahn und Fiktion" vom 17. November, " Sieg ohne Glanz" vom 7./8. November, " Bidens Welt" und " Demokratie vs. Trump" vom 5. November sowie der weiteren SZ-Berichterstattung infolge der US-Wahl:

Hoffnung auf Stabilität

Es gibt drei Sieger bei dieser Wahl: Joe Biden, das amerikanische Volk, das die richtige Entscheidung getroffen hat, und historisch gesehen die amerikanische Demokratie, deren Institutionen die Angriffe eines autokratischen Populisten überzeugend abgewehrt haben.

Biden wurde mit mehr als 79 Millionen Stimmen gewählt, Trump nach dem jüngsten Stand mit rund 73 Millionen Stimmen abgelöst. Die Republikanische Partei hat nur wenige Federn gelassen, im Repräsentantenhaus hat sie dazugewonnen, im Senat ist eine Nachwahl in Georgia im Januar erforderlich. Bei dieser Wahl ging es - wie es die Demokraten formulierten - um die Seele Amerikas. Trump verkörpert einen Aspekt dieser Seele. "The business of America is business", hat Präsident Coolidge 1925 gesagt. Dieser Aspekt trifft auf Trump zu. In seiner ungehobelten und vitalen Art verkörpert er zudem den Cowboy des Wilden Westens. Seine Politik wird zwar von vielen Amerikanern getragen, allein als Person ist er - wie Amerikaner auch sagen - für das Amt des Präsidenten ungeeignet. Die Amerikaner haben ihn abgewählt, weil sie seine Selbstbeweihräucherung, seine Lügen, seine kulturelle Ignoranz, sein autokratisches und rassistisches Verhalten, die intellektuelle Begrenztheit, Polterei und Twitterei nicht mehr ertragen konnten.

Sie wählten Biden, der eher das Gegenmodell verkörpert. In seiner Person und seinem Verhalten repräsentiert er das andere Amerika, das der Pilgerväter, die ein Neues Jerusalem schaffen wollten, und das der Gründerväter, die die erste aufgeklärte Demokratie in der Neuzeit schufen, symbolisiert in der Freiheitsstatue im New Yorker Hafen, dem Leuchtfeuer für alle Beladenen dieser Welt.

Biden ist ein erfahrener Politiker, ein jovialer älterer Herr, der mit dem Ziel angetreten ist, die Spaltung und den Hass in Amerika zu beenden. Seine Wahl verspricht Normalität und Stabilität. Sein Auftreten ist einem zukünftigen Präsidenten angemessen. Er kann dem Amt des Präsidenten wieder die Würde verleihen, die unter Trump abhanden gekommen ist.

Jürgen Einhoff, Hildesheim

Was Trump jetzt vorhaben könnte

Trump als "dummen Mann" einzustufen, der sich nun auf seinen Golfplatz zurückziehen und gelegentlich per Twitter "grammeln" wird, wie in dem Kommentar "Wahn und Fiktion" beschrieben, unterschätzt sein erhebliches negatives Potenzial nach Auszug aus dem Weißen Haus. Die Sorge vor von ihm befeuerten Gewaltausbrüchen in naher Zukunft teile ich.

Ob man Trump als intelligent oder bauernschlau einstuft, ist nicht wesentlich. Er hat bewiesen, dass er durchaus folgerichtig und zielstrebig einen Plan verfolgen und umsetzen kann. Allerdings mit einer unerhörten Skrupel- und Rücksichtslosigkeit, allein auf seine eigenen Interessen abgestellt. Ohne die geringste Selbstbeschränkung durch Moral und Ethik.

Seit er weiß, dass er diese Wahl verloren hat, führt er einerseits aller Voraussicht nach aussichtslose Gefechte unter anderem vor Gerichten wegen Wahlfälschung, konsequent wie vor der Wahl angedroht. Oder mit Bezichtigungen von Wahlleitern, Rauswurf von mutigen Amtsinhabern, die er selbst ernannt hat.

Andererseits bereitet er seine politische Zukunft einschließlich seiner Familie vor. Sohn Donald jr. und Tochter Ivanka stehen für den Aufbau als mögliche Präsidentschaftskandidaten in den Startlöchern. Dass er dynastisch plant, ist kein Geheimnis. Ihm ist bewusst, dass seine politische Zukunft und die seiner Kinder davon abhängt, dass die Republikaner in ihm den wichtigsten Stimmenfänger, ihren Messias für die nächste Präsidentschaftswahl in 2024 sehen. Und das hängt davon ab, ob es ihm gelingt, seine 72 Millionen Wähler bis ein Jahr vor den Wahlen bei der republikanischen Stange zu halten.

Er muss verhindern, dass diese sich im Lauf der Zeit enttäuscht anders orientieren (bei der in den USA weit verbreiteten typischen Mentalität des "one-issuism" durchaus nicht ausgeschlossen). Um dem vorzubeugen, darf er die derzeitige Wut seiner Fans nicht abkühlen lassen. Deshalb heizt er sie seit der Wahl täglich an, wird er sie ohne gefährdende Pausen in Zukunft ständig über Twitter etc. neu anfachen. Etwa so: Ihr seid um eure Wahlstimme betrogen worden, das machen wir gemeinsam spätestens 2024 wieder gut.

Dafür wird er vermehrt alle Register ziehen, um die demokratischen Institutionen zu delegitimieren, unter anderem auch durch Abschaffung, mindestens Beschränkung der Briefwahl. Eine erste Gelegenheit wird sein Berserkern im Wahlkampf in Georgia um die beiden Senatssitze sein, mit der realen Gefahr von Gewaltausbrüchen. Joe Biden und Kamala Harris werden nach ihrem Amtsantritt Ziel seines Fake-Twitter-Dauerbeschusses sein, um sie als künftige Konkurrenten zu minimieren.

Trumps Trumpf ist sein Wahlergebnis mit mehr als 72 Millionen Stimmen, was noch kein republikanischer Präsident je erreicht hat. Und dass es ungewiss ist, ob ein ähnlich erfolgreicher republikanischer Wahlmagnet ihn ersetzen könnte. Auch deshalb das Schweigen der Republikaner-Elite. Wenn Trump über die nächsten drei Jahre die Masse der 2020-Wähler für die Republikaner nicht binden kann, wird ihn diese kalt fallen lassen.

Harald N. Nestroy,Botschafter a.D., Moosburg/Isar

Fehlendes Interesse an Europa

Unsere Politiker und Medien haben sich auf Trump eingeschossen. Ehrlicher wäre es, anzuerkennen, dass er den Wählerwillen von mehr als 72 Millionen amerikanischer Wähler verkörpert. Wir müssen uns klarmachen, welch' Geistes Kind jeder zweite Wähler in den USA ist. Vielleicht hätte John Wayne, lebte er noch, wie damals Ronald Reagan als Kandidat der Republikaner noch besser als Trump abgeschnitten.

Das Bild, das uns hier medial von den USA vermittelt wird, trügt meines Erachtens schon lange. Das Land besteht nicht nur aus den zwei schmalen, liberalen, der Welt zugewandten Küstenstreifen am Atlantik und Pazifik, mit seinem herausgehobenen Zentren, wie etwa New York, Los Angeles, Washington D.C.

Die amerikanischen Durchschnittsbürger interessieren sich wenig für Europa. Dennoch wird hierzulande mit Empathie von und aus den USA berichtet. Als Vorbild für Demokratie taugt aber das politische System der USA mit seinen alten Machtstrukturen und verstaubten Wahlmännergepflogenheiten schon lange nicht mehr.

Friedrich Herzer, Mainz

Auch ein Erfolg für die Umwelt

Die US-Wahl war eigentlich keine Landeswahl, sondern eher eine "Weltwahl". Das Ergebnis war nicht nur ein Erfolg für die "Blauen", sondern auch ein wichtiges positives Signal für den "blauen Planeten". Das Aufatmen in vielen Teilen der Erde war überdeutlich vernehmbar. Es war ein Sieg der Vernunft, verbunden mit der Hoffnung auf eine bessere, gerechtere, sicherere und ehrlichere Welt. Die neue demokratische Vizepräsidentin Kamala Harris, kämpferisch und charismatisch, bringt nicht nur Farbe ins politische Leben - sie stellt auch die Ampel zur Gleichstellung der Frauen auf Grün. Vielleicht kann sie für den Präsidentenposten einmal gar die "Vorfahrt" erhalten.

Klaus Emig, Wiesenbach

Nun geht es um Transformation

Der vordergründige Jubel über den Wahlsieg von Joe Biden wird bald verklingen. Die sozialökonomischen Verwerfungen in den USA, die abgebauten Arbeitsplätze in der Stahl- und Autoindustrie, die misslungene Transformation einer Industrie- in eine Dienstleistungsgesellschaft, verbunden mit einer ökologischen Erneuerung - diese Faktoren spülen eben die Rechtspopulisten nach oben, wenn die geforderte Wende nicht sozial gestaltet wird.

Auch wir stehen vor einer gewaltigen Transformation, vor allem in den Sektoren Industrie, Landwirtschaft, Verkehr und Energie. Es gilt, soziale Gerechtigkeit und ökologische Nachhaltigkeit in Einklang zu bringen mit der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Und es wird Geld kosten, das nur durch eine progressive Steuerpolitik mit der steigenden Belastung für die sehr Vermögenden zu gewinnen sein wird.

Es wird uns eingetrichtert, dass wir auch mit Joe Biden unseren Beitrag zu leisten haben. Gemeint ist damit zunächst unsere Aufrüstung mit bis zu zwei Prozent der Wirtschaftsleistung. Wollen wir uns als Deutschland wirklich einen größeren Rüstungsetat leisten als Russland? Nein - gefordert ist daher verstärkte Friedens- und Abrüstungspolitik.

Ludger Elmer, Weichs

© SZ vom 24.11.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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