Lehrer in Deutschland:Berufung mit Frustpotenzial

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Ein Report über den vorzeitigen Berufsausstieg von Lehrkräften schreckt auf. Einige Leser zeigen Verständnis für überforderte Lehrer, einer fordert gleich die Abschaffung des Beamtentums.

Zu " Notausgang" vom 8. Januar:

Innere Emigration

In der Zange zwischen immensen Ansprüchen einerseits, miserablen Arbeitsbedingungen andererseits, alleingelassen von den Schulbehörden, von ihrer Gewerkschaft GEW, der Politik und der Öffentlichkeit, gehen viele Lehrerinnen und Lehrer in die innere Emigration, werden krank oder verlassen aus vernünftigem Selbstschutz die Schule. Statt in schwieriger Lage für menschenwürdige Lern- und Arbeitsbedingungen zu sorgen, hat die Bildungspolitik (zumindest in NRW) den Druck auf die Schulen erhöht mit illusionären Aufträgen, ohne sie annähernd ausreichend auszustatten für die großen Projekte Ganztagsunterricht, Inklusion, Integration. So wird kurzfristig Geld gespart, mittel- und langfristig aber großer Schaden angerichtet.

Eberhard Schneider, Horn-Bad Meinberg

Verbeamtung abschaffen

Wie gut, dass das Thema Lehrerverbeamtung so viel Raum bekommen hat. Abgesehen von den persönlichen Umständen, die die genannten Protagonisten zur Kündigung ihrer Verbeamtung veranlassten, ist die Frage, warum es diesen vermeintlich "goldenen Käfig" für Lehrer noch gibt? Warum muss ein Diensteid geschworen werden, um die Kinder unseres Landes auf zeitgemäße Weise mit umfassender Bildung zu versorgen?

Vor allem die angepassten, und das sind nicht unbedingt die besten, empfinden den "Käfig" als "golden". Sie sind Sklaven der jeweiligen Länder und ihrer Regierungspräsidenten, die sie in Ruhe lassen, solange sie kritiklos ausführen, was ihnen vorgegeben wird. Und die dieses System stützenden Behörden bieten Arbeitsplätze, Karriereleitern, Entsorgungsmöglichkeiten für "Sorgenkinder" und politische Einflussnahme. Es ist höchste Zeit, die Verbeamtung für Lehrer und den Behördenapparat dazu abzuschaffen und die Bildungsversorgung auf andere Säulen zu stellen. Der Qualität der Lehrertätigkeit täte das gut. Mit "versklavten" Mitarbeitern ist kein (Bildungs-)Staat zu machen.

Monika von Hodenberg, Halstenbek

Lernen braucht Beziehungen

Ein klarer Artikel. Man möchte hoffen, dass er die Initialzündung darstellt zu einer längst überfälligen, gesellschaftsweiten Debatte darüber, was wir mit den jungen Menschen anstellen. Wieso lassen wir uns ohne Aufschrei gefallen, dass die Stellenplanung nicht funktioniert? Wenn ich weiß, wie viele Kinder 2019 geboren worden sind, kann ich errechnen, wie viele Lehrer 2025 gebraucht werden. Das ist nichts als Addition. Denn: Lernen funktioniert über Beziehungen, nicht über Trichter. Wie aber soll eine Lehrerin Beziehungen aufbauen können zu 30 Schülern in 45 Minuten? Wo noch weitere vier, fünf oder sechs Lerngruppen in der Woche von ihr zu beschulen sind? Und der Beruf noch Dutzende weitere, großenteils sinnentleerte, aber zeitfressende Tätigkeiten mit sich bringt? Und, ganz zentral: Lernen läuft vom Lernenden aus, nicht vom Pauker. Mit der falschen Grundannahme wird das Scheitern der Veranstaltung schon mit eingeplant. Allerdings müsste man mit einigem Geld und mutiger Planung den Laden drehen können. Das bedeutet: mehr und besser ausgebildete Lehrerinnen und Lehrer in die Schulen, damit deutlich kleinere Lerngruppen gebildet werden.

Beruf im Blickpunkt: Die Englischlehrerin einer Grundschule schreibt Unterrichtsinhalte an die Tafel. (Foto: dpa)

Aber was passiert? Es wird über Digitalisierung gefaselt, dass es raucht. Klar kann ich alle möglichen Fragen googeln und in 1,5 Sekunden sechs Millionen Antworten bekommen. Und dann? Um herausfinden zu können, welche davon mir weiterhilft, muss ich unter anderem gelernt haben, Aussagen zu beurteilen, Texte zu analysieren, damit ich zum Beispiel die hinter dem Text liegenden Interessen oder Subtexte entschlüsseln kann. Und das geht nur analog, so sehr mir der Computer auch technisch helfen mag. Bei der vorherrschenden Sorte Pädagogik kommen die Computerhersteller und einige Verlage vor Lachen nicht in den Schlaf; sie sitzen mitten in großen Gelddruckmaschinen. Dass diese Abläufe, aufs Lernen bezogen, kontraproduktiv sind: Wen stört's?

Schließlich: die Ausbildung der Lehramtsanwärter. Es hat sich in den vergangenen vier bis fünf Jahrzehnten nichts geändert. Wer's aushält, mag die einschlägigen Foren im Netz durchforsten. Von der Feststellung "Die schlimmste Zeit meines Lebens!" über Ratschläge, wie man sich am unauffälligsten anpasst, bis zu den klassischen Krankheitsbildern: alles da.

Ach ja: "Kein Geld da!?" Wie lächerlich, wie kleinkariert! Jeder Euro, der ins Bildungssystem investiert wird, bringt eine Rendite von wenigstens vier Prozent. Allerdings nicht in vier oder fünf Jahren (den politischen Wahlzyklen), sondern erst in acht oder neun Jahren. Ich war 37 Jahre Gymnasiallehrer, bin seit 2014 pensioniert und bin zornig.

Dr. Friedhelm Lischewski, Elmen/Österreich

Mit Mut in den Beruf

Hinschmeißen? Doch nicht! Dass das Thema Schule aus Lehrerperspektive dargestellt wird, ist eine gute Sache. Aber so todtraurig - wie dargestellt - war mein Lehrerdasein nicht. Sicher ist das "System" verbesserungsbedürftig. Besonders ärgerlich waren die großen Klassen, die teilweise beklagenswerte Qualität der vom "Kumi" vorgeschriebenen Schulbücher. Ganz entscheidend ist eine pragmatische Schulleitung, ein engagiertes Kollegium und nicht zuletzt die Hauptperson: der Schüler, die Klasse. Findet man einen Draht zur Klasse? Ich frage mich, ob Frau Ghorbani aus dem Artikel Humor hat. Hatte sie gar keine Erfolgserlebnisse? Wenn man bei Klassentreffen dann erfährt, "dass aus ihnen was geworden ist" und dass man seinen Beitrag dazu leisten konnte, entschädigt das doch für den Ärger mit dem System. Daher an die Berufseinsteiger: "Allons enfants", nur Mut!

Helmut Metzger, Bad Aibling

Keine Befehlsempfänger

Das System kann krank machen, ja. Doch wer sich der Fremdbestimmung durch die Schulbürokratie widersetzt und mutig Selbstbestimmung dagegensetzt, schülerzentriert den Unterricht empathisch führt, braucht keinen Notausgang, weil er Wertschätzung und Bewunderung erfährt, auch vom "krank machenden" System. Zivilcourage muss in der Schule Schule machen. Lehrer sind keine Befehlsempfänger, keine Untertanen der Schulhierarchie. Habe selbst erfolgreich 42 Dienstjahre freudig durchlebt.

Harald Dupont, Ettringen

Selbstverwirklicher fehl am Platz

Lehrer an einer staatlichen Schule ist ein Beruf, ein anspruchsvoller mit einer entsprechend benötigten Qualifikation und einer im Vergleich sehr guten Bezahlung inklusive Sicherheit und (noch) konkurrenzloser Altersversorgung. Er ist kein Sammelbecken für all diejenigen, die in anderen Karrieren und Berufen gescheitert sind, deren Hauptanliegen im Leben die eigene Selbstverwirklichung ist oder die eine Arbeitsstelle mit flexibler Arbeitszeitgestaltung suchen (Teilzeitbeschäftigung, um die eigenen Kinder besser betreuen zu können, ist in anderen Bereichen viel leichter zu organisieren als im System Schule, auch wenn das viele nicht begreifen wollen).

Wer dort tatsächlich erwartet, für jedes Übernehmen einer zusätzlichen Aufgabe mit Schokolade belohnt zu werden, hat weder das "System" Berufstätigkeit noch das Prinzip der Bezahlung von beamteten Lehrern verstanden, die nicht nach Arbeitsstunden erfolgt. Übrigens führt dies Prinzip leider zu einer Schlechterstellung von Teilzeitbeschäftigten im Lehrerberuf.

Und wer sich schon in seiner Zeit als Schüler in der Schule unwohl und fehl am Platze gefühlt hat, sollte nicht Lehrer werden (wollen). Ich bin nun fast 40 Jahre Lehrer an einem Gymnasium in NRW gewesen, kann viele der Kritikpunkte im Artikel gegen die Schulpolitik in unserem Lande unterschreiben, aber ein Übel im Schulsystem sind leider auch ungeeignete Lehrerinnen und Lehrer, von denen es zwar nicht so viele gibt, aber jede(r) einzelne ist eine(r) zu viel.

Wolfgang Felden, Essen

© SZ vom 23.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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