Kopftuchstreit:Sind so kleine Mädchen

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(Foto: N/A)

Grundschülerinnen, die auf Befehl ihrer Eltern ein Kopftuch tragen müssen, hilft nach Meinung von Leserinnen und Lesern nur ein Kopftuchverbot an Schulen. Als Erwachsene könnten sie später ja selbst entscheiden.

"Eine Debatte zum Fürchten" vom 12. April und "Wie der Fisch am Karfreitag" vom 11. April:

Politisches Symbol

In unserer und allen Gesellschaften sollte das Kindeswohl an erster Stelle stehen. Wer Mädchen im Kindesalter unter den Hijab zwingt, verletzt gravierend ihr Recht auf freie Entfaltung ihrer körperlichen und geistigen Fähigkeiten. In einem Rechtsstaat muss das Kindeswohl höher einzuschätzen sein als der elterliche Erziehungsauftrag. Der Hijab steht für einen orthodoxen und rückwärtsgewandten Islam, der einer pluralistischen Gesellschaft ablehnend gegenübersteht.

Das Kopftuch, wie es im Islam getragen wird, ist in seiner Aussage und Außenwirkung ambivalent. Es ist nicht nur ein Mittel zum Verdecken der Haare, sondern auch ein politisches Symbol, das den absoluten Machtanspruch dieser Religion symbolisiert. Diese hohe symbolische Bedeutung des Tuchs wird von vielen nicht verstanden oder ignoriert. Den Hijab in seiner Bedeutung mit einem Kreuz an einer Halskette zu vergleichen, ist mehr als lächerlich. Eine Halskette fällt kaum auf, während ein Hijab omnipräsent ist, und es auch sein soll. Der Hijab demonstriert ganz bewusst den Anspruch des Islam, auch das bürgerliche, soziale und gesellschaftliche Leben der Gläubigen zu bestimmen. Er ist ein Alleinstellungsmerkmal, und gleichzeitig auch ein Zeichen für eine gewollte Abgrenzung gegenüber den Mitmenschen.

Wenn Mädchen, wie Constanze von Bullion formuliert, den Hijab als Statement des Andersseins tragen, so hat er erst recht nichts in den Schulen zu suchen. Ein Hijab behindert Mädchen beim Spielen und beim Sport. Es gilt: Mädchen und Jungen sind gleich zu behandeln. Wenn auch dieser Grundsatz in den muslimischen Familien häufig nicht beachtet wird, so sollte diese Maxime auf jeden Fall für das gesellschaftliche Umfeld Gewicht haben. Ein Kopftuchverbot an Schulen ist ein längst überfälliger Schritt

Heide Neubert, Clausthal-Zellerfeld

Scham und Haare

Es grenzt schon an Realitätsverweigerung, das Kopftuch für Kinder einen Brauch zu nennen wie "Fisch am Karfreitag" oder gar ein Mittel der Selbststilisierung (vergleichbar einer "Irokesenfrisur"), wie das Constanze von Bullion in ihrem Kommentar zum Vorhaben eines Kopftuchverbotes für Kinder allen Ernstes tut. Der Kommentar "Eine Debatte zum Fürchten" geht letztlich in die gleiche Richtung. Obwohl Matthias Drobinski Irritationen im Verhältnis zur Demokratie durchaus sieht und benennt, lehnt er die angestoßene Debatte rundheraus ab: Horst Seehofers Satz "entheimate" eine ganze Bevölkerungsgruppe, und das Problem des Kopftuches für Kinder hält er für so marginal, dass das von aufmerksamen Schulleitern geregelt werden könne. Die Frage aber, welcher Islam zu Deutschland gehört, kann so sicher nicht vorangebracht werden. Kritische Islamvertreter sagen seit Langem, dass sie das Kleinreden von frauenfeindlichen, fundamentalistischen und antisemitischen Strömungen im Islam für kontraproduktiv halten. Seyran Ateş, die Gründerin der liberalen Moschee in Berlin, ist in der Frage des Kopftuchverbotes für Kinder (wie viele andere auch) weit weniger zurückhaltend. Sie hält ein Verbot sogar für überfällig: "Denn das Kopftuch wird immer sexualisiert begründet, die Frau solle ihre Scham bedecken, und dazu zählen für viele Muslime auch die Haare. Zieht man einem Kind das Kopftuch an, so sexualisiert man dieses, und das ist pervers." Das muss man nicht unterstützen, man sollte aber ernsthaft darüber diskutieren.

Josef Eigelshoven, Langerwehe

Männliches Machtinstrument

Die von Männern geforderte Verschleierung bei Muslimen betrifft ausschließlich Frauen und Mädchen ("führe uns nicht in Versuchung") und führt zum sichtbaren Anderssein, eventuell zur Ausgrenzung. Diese Bevormundung stößt mir besonders bitter wieder nach der Lektüre des Buchs Zwei auf, in dem Frauen aus ganz unterschiedlichen Berufen ihre demütigenden Erfahrungen mit männlichen Kollegen schilderten ("Us Too" vom 7./8. April). Auch deshalb habe ich keinerlei Verständnis für die politisch korrekte Verteidigung der Verschleierung als männliches Machtinstrument. Und: Ein christliches Kreuz, sei es als Anhänger an einer Halskette oder aufgehängt in Gerichtssaal oder Klassenzimmer, zieht niemals den Blick des Gesprächspartners so an, wie eine Verschleierung oder ein Kopftuch. Zum Totschlagargument, dann müsse auch Nonnen das Tragen ihrer Ordenstracht verboten werden: Diese Kleidung drückt die Abkehr von weltlichen Reizen und Genüssen aus und wird weder von Männern verordnet noch von Kindern verlangt.

Dr. Angelika Schulte-Cloos, Warngau

Regeln verloren ihren Sinn

Das bekannteste Kopftuch der Welt trägt? Richtig, die Totenmaske des Tut-ench-Amun! Der damals schon lange etablierte ebenso praktische wie statusträchtige, Männern vorbehaltene Sonnenschutz für Haare, Kopf, Schultern, Rücken, Brust gelangte aus Ägypten zu den benachbarten Wüstenvölkern und wurde - umweltbedingt begünstigt - Bestandteil der dortigen Damenmode, und zwar lange vor dem Islam. Die vorderorientalischen Stammesgesellschaften ohne ausgeprägte obrigkeitliche und damit formalisierte Autoritätsstruktur begründeten notwendige, auch dem Selbstschutz dienende Regeln religiös: Ewige Hölle statt Geldstrafe oder Bußgeld und ein alles sehender Gott garantierten mit gelegentlicher Unterstützung durch Steinigungen wegen Gotteslästerung/Beleidigung des Propheten oder wegen Ehebruchs die weitreichende Einhaltung auch von Selbstschutzvorschriften nebst Versöhnung der "eifersüchtigen" Gottheit. So funktioniert auch das Verbot von Schweinefleischverzehr: Als Trichinenprophylaxe wurde mangels funktionierender Fleischbeschau der Verzehr ausnahmslos ganz verboten, das Gebot als "religiöses" deklariert. Mit Religionsausübung (als Grundrecht) haben diese Vorschriften zur Vermeidung von Selbstbeschädigungen genauso viel oder wenig zu tun wie bei uns das Anlegen von Sicherheitsgurten oder eine Impfung.

In geschlossenen Räumen werden bei uns üblicherweise weder Regenschirme aufgespannt noch Sonnenbrillen getragen. Warum also vornehmlich dem Sonnenschutz dienende Kopftücher? Hierzulande gilt das Abnehmen der Kopfbedeckung immer noch als Zeichen des Respekts. Warum sollten kleine Musliminnen nicht genauso wie die ab- bzw. zunehmende Schar kleiner Christinnen oder kleiner Heidinnen zu dieser hier allgemein von Schülern und Schülerinnen verlangten Respektform - auch gegenüber den Lehrern und Lehrerinnen - im Rahmen des Art. 3 GG angehalten werden? Vielleicht fällt es den Vätern dieser Mädchen dann ja auch leichter, Lehrerinnen als "Respektspersonen" die Hand zu geben.

Norbert Urban, Blomberg

Behinderte Selbstbestimmung

Der Koran fordert nicht einmal für erwachsene Frauen (geschweige denn für Mädchen) das Tragen eines Kopftuchs. Frauen sollen allenfalls ihre Zierde etwas verschleiern. Allerdings lässt sich am Kopftuch leicht erkennen, wer "dazu"-gehört und wer nicht. In einer Grundschule erschienen die kleinen Afghanen-Mädchen Ende 2015 zunächst ohne Kopftuch, eine meinungsbestimmende afghanische Wortführerin forderte sie dann allerdings dazu auf, sich gefälligst "an die Koranvorschrift" zu halten, was dann auch einige der muslimischen Mitschülerinnen machten. Das Kopftuch, selbst in den Augen liberaler Muslimas nicht nur ein identitätsstiftendes, sondern ein politisches Kampfsymbol, behindert die jungen Mädchen zweifellos darin, zu selbstbestimmten (gläubigen oder auch nicht-religiösen) Jugendlichen heranzuwachsen.

Das angebliche Tragegebot zwingt nicht nur die jungen Mädchen selbst, sondern auch die (unter anderem auch hinsichtlich ihrer Bleibechancen) verunsicherten (gläubigen wie auch nicht-gläubigen) Eltern zum Kopftuch-Anlegen ihrer Töchter. Beiden würde vermutlich ein generelles Trageverbot in der Schule helfen, sich diesem unheilvollen Zwang zu entziehen. Ab 14/18 Jahren könnte sich dann eine jede junge Frau nach ihrem Gusto kleiden.

Wolfram Bode, Gauting

© SZ vom 21.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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