Kopftuch-Urteil:Strittige Entscheidung

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Wenn Rechtsreferendarinnen öffentlich für die Justiz oder den Staat auftreten, darf das Kopftuchtragen untersagt werden, entschieden Verfassungsrichter. Grenzt das Urteil aus oder hilft es bei der Integration? Leser sind sich uneins.

Junge Frau mit Kopftuch vor einem Behördenschild mit Bundesadler: Ein Verbot der Kopfbedeckung für Rechtsreferendarinnen bei repräsentativen Tätigkeiten ist verfassungsgemäß, entschied das Bundesverfassungsgericht. (Foto: Martin Schutt/dpa)

Zu " Verhüllen, um zu zeigen" vom 29. Februar/1. März und " Allgemeine Verunsicherung" vom 28. Februar:

Ein Schritt der Ausgrenzung

Der Beitrag von Sonja Zekri "Verhüllen, um zu zeigen" spricht mir aus der Seele. Referendarinnen, die ein Kopftuch tragen, von richterlichen Tätigkeiten und von staatsanwaltschaftlichen Sitzungsdiensten auszuschließen, ist nicht Ausdruck der religiös-weltanschaulichen Neutralität des säkularen Staates. Denn das Kopftuch der Referendarin ist ihr persönlicher Ausdruck eines religiösen oder, wie Zekri zu Recht aufzeigt, anderweitigen Selbstverständnisses. Dies dem Staat zuzurechnen erscheint abwegig. Ebenso liegt es fern, dass ein Kopftuch einer Referendarin das bloße Erscheinungsbild der Justiz als unabhängig und neutral beeinträchtigen kann. Das ist viel eher bei Kreuzen an den Wänden von Gerichtssälen der Fall, wie sie immer noch anzutreffen sind.

Vor allem aber drückt die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Kopftuchverbot für Referendarinnen ein weiteres Mal aus, dass Muslime hierzulande ausgeschlossen und zurückgewiesen werden. Bei den Referendarinnen handelt es sich um junge Juristinnen, die über viele Jahre unser Rechtssystem studiert haben und ihr Studium erfolgreich abgeschlossen haben. Aber am Schluss dürfen sie nicht an allem teilhaben, nur weil sie ein Stück Stoff tragen möchten, das längst zum Erscheinungsbild unserer Gesellschaft gehört. Das muss auf sie ebenso ausgrenzend wirken wie die langjährige Weigerung vieler Landespolitiker, muslimische Verbände am Religionsunterricht als ordentlichem Lehrfach teilhaben zu lassen, wie ihn das Grundgesetz vorsieht (Artikel 7 Absatz 3 GG). Nicht wesentlich anders ergeht es seit Langem Anträgen muslimischer Verbände auf Verleihung der Rechte von Körperschaften des öffentlichen Rechts, mit der zahlreiche rechtliche Vorteile verbunden wären. Ihre Moscheen werden vielerorts in die Gewerbegebiete verbannt; Bestattungen nach islamischem Ritus sind noch nicht überall möglich. Die Liste ließe sich verlängern. Autorin Zekri spricht zu Recht von einer "langen Reihe von Zurückweisungen". Man fragt sich, wann das aufhört, wann die Verantwortlichen einsehen, dass Ausgrenzung der Gesellschaft nicht guttut.

Prof. Dr. jur. Stefan Muckel, Köln

Religion nicht zur Schau stellen

Der Artikel von Sonja Zekri hinterlässt zweideutige Gefühle. Ressentiments gegenüber Menschen mit Migrationshintergrund basieren leider nur zu oft auf Vorurteilen, selten auf negativen Erfahrungen. Das macht es für diese Leute nicht besser. Wenn ich aber Kopftuch oder Hidschab als Zeichen "kulturellen Stolzes" trage, brauche ich mich über negative Auswirkungen nicht zu wundern. Ich grenze mich ja bewusst ab. Schwierig wird es, wenn das Kopftuch nicht freiwillig, sondern mit familiärem oder Gruppendruck gefordert wird. Teilweise wurde von Eltern berichtet, die keinen Wert auf das Kopftuch legen, deren Töchter aber ohne Kopftuch im privaten Umfeld ausgegrenzt wurden und die es dann (freiwillig?) tragen. Aus diesem Grund ist es Aufgabe des Staates, sichere Räume zu schaffen. Das heißt, in Schulen dürften weder von Lehrern noch von Schülern Kopftücher getragen werden, schon gar kein Hidschab. Der Wert der freiheitlichen Gesellschaft geht hier vor religiösem Gefühl. Ebenso im Justizbereich auf Amtsseite oder bei der Polizei etc. Diese Gesellschaft hat Jahrhunderte gebraucht, um den Staat über die Religion zu stellen. Religion ist zu Recht Privatsache. Wenn sie zur Schau gestellt werden muss, ist sie jemandem wichtiger als die Integration in die Gesellschaft.

Bodo Randt, Bremen

Es braucht neutrale Amtsträger

Man kann die Urteile des Bundesverfassungsgerichtes zum Tragen von Kopftüchern in Schulen und im Gerichtssaal im Wortlaut lesen oder sich auf die inhaltliche Wiedergabe der Leitsätze beschränken. Nur im letzteren Fall wird man das demonstrative Tragen für unproblematisch halten können. Das Verfassungsgericht hat das in beiden Fällen nicht getan, sondern Rechte gegeneinander abgewogen. Die Reaktionsmöglichkeiten von Eltern, die ihre Kinder religiösen Demonstrationen ausgeliefert sehen, sind andere als die der Beteiligten in Gerichtsverfahren. Erstere können sich durch Klassen- oder Schulwechsel religiöser Einflussnahme verweigern. Angeklagte könnten sich der nicht entziehen.

Im Bewertungszusammenhang ist interessant, wie sich im "Gerichtssaal-Verfahren" einzelne Organisationen in den vom Gericht eingeholten Stellungnahmen geäußert haben. So wies die Evangelische Kirche darauf hin, dass die Funktion des Amtsträgers - des Repräsentanten des Staates - relativiert oder konterkariert werde, wenn zur Amtstracht Symbole träten, die eine gegenläufige Botschaft vermittelten. Der Zentralrat der Ex-Muslime hatte erklärt, bei strikter Befolgung des Bedeckungsgebotes auch während der Dienstzeit bestünden berechtigte Zweifel an der Loyalität zum säkularen, freiheitlich demokratischen Rechtsstaat und seiner Werteordnung. Die Neue Richtervereinigung hingegen ließ sich nachlesbar dahingehend ein, dass nur Richter und Staatsanwälte dauerhaft an die Grundwerte der Verfassung gebunden seien. Für Referendarinnen gelte dies jedoch nicht, da sie nur vorübergehend in der Justiz tätig seien. Wenn ein Teil unserer Juristen aber nicht mehr dauerhaft an die Grundwerte der Verfassung gebunden sein müsste, beförderte das, was Religionsgemeinschaften früher oder auch heute noch für richtig halten: den Vorrang der Religion vor dem Recht. Ich wünsche mir, dass der Staat und seine Amtsträger auch in Zukunft noch neutral und für alle Bürger gleichermaßen da sein werden.

Dr. Hans-Joachim Meissner, Hamburg

© SZ vom 25.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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