"Das deutsche Watergate" und "Wie Adenauer die SPD ausspionieren ließ" vom 9./10. April und "Trotz Adenauer" vom 11. April:
Tendenz zum Autoritären
Bereits in der Publikation "Getrennt und doch vereint" des Instituts für Zeitgeschichte München-Berlin wird über Konrad Adenauers Versuche, die Demokratie nach seinem Willen zu formen, ausführlich berichtet. So behauptete Adenauer im Wahlkampf 1953, dass lokale Politiker der SPD Gelder aus der DDR bezogen hätten, was sich als gelogen herausstellte. Auch seine unsäglichen Ausfälle gegenüber Willy Brandt, die an Schäbigkeit nicht zu überbieten waren, sind mir im Gedächtnis.
Mehrfach hat Adenauer versucht, die Presse und Rundfunkanstalten nach seinem Gusto auszurichten. Er war der Meinung, dass der öffentlich-rechtliche Charakter der Rundfunkanstalten geändert werden müsse, so sollte dieser bedingungslos zur Verfügung des Regierungschefs stehen (aus "Getrennt und doch vereint"). Diese Vereinnahmung der Pressefreiheit wurde durch die Alliierte Hohe Kommission (AHK) verhindert.
Journalisten wurden drangsaliert, bis sie ihren Stuhl räumten oder als Korrespondenten arbeiteten, wie Peter von Zahn, der nach Washington ging. Kabarettisten wurde das Leben schwer gemacht. Berichteten sie kritisch, wurden sie unter Generalverdacht gestellt, sie ständen im Dienste der DDR-Diktatur. Nicht zu vergessen, die Spiegel-Affäre. Was sich die Regierung damals leistete, spottet jeder Beschreibung. Konrad Adenauer hatte eine seltsame Vorstellung von Demokratie und Pressefreiheit. Man konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, die CDU sei der Ansicht, sie habe das Monopol zur Regierungsbildung.
Vor Jahren hielt Professor Axel Schildt, damaliger Leiter der Forschungsstelle für Zeitgeschichte Hamburg, Vorlesungen über die Geschichte der Bundesrepublik von den Anfängen bis zur Gegenwart. Es wurde dabei ersichtlich, Adenauer hatte eine Tendenz zum Autoritären. Der erste Bundeskanzler war kein wirklicher Demokrat, allein schon Hans Globke mit einem Staatssekretariat zu betrauen, ist mir nicht erklärlich, nach allem was in der Nazi-Zeit passiert war. Sicher hatte Adenauer seine Verdienste, doch seine Regierungszeit war von vielen Schattenseiten umgeben, das darf nicht vergessen werden. Insofern ist die Aufdeckung über die Bespitzelung der SPD durch den Historiker Klaus Dietmar Henke ein Segen. Sie dient der Wahrheitsfindung über diese Zeit und den ersten Bundeskanzler der Bundesrepublik.
Annemarie Dembélé, Hamburg
Von der Geschichte bestätigt
Der ehemalige Chef des Bundeskanzleramts Hans Globke und Geheimdienstgeneral Reinhard Gehlen waren ähnlich wie Senator Joseph McCarthy in den USA Kommunistenfresser und der "Alte" (Konrad Adenauer) gewiss kein Heiliger. Aber zur historischen Wahrheit gehört auch: Die SPD vor dem Godesberger Programm (1959) war, was die Ausrichtung der Bundesrepublik nach Westen angeht, ein recht unsicherer Kantonist. Maßgebliche Spitzenpolitiker der Partei waren nicht nur offen gegen Wiederbewaffnung und Nato-Beitritt, sie sahen in den Stalinnoten, die Westdeutschland eine Wiedervereinigung zum Preis der Neutralität in Aussicht stellten, ernsthafte politische Gesprächsangebote. Der Beitrag von Willi Winkler und Roland Preuß trägt leider wenig zum Verständnis der Zeit des Kalten Krieges bei, leistet aber einen Beitrag zur Skandalisierung von Zeitgeschichte.
Adenauers Politik der Westbindung unter Ignorierung der Sirenengesänge seitens der Linken sind spätestens 1989 von der Geschichte bestätigt worden. Große Teile der SPD-Spitze haben sich zunächst der Westbindung (Kurt Schumacher) und 1989/90 der deutschen Wiedervereinigung verweigert (Oskar Lafontaine). Die SPD ist die Partei, die dort, wo Geschichte geschrieben wird, immer zu spät kommt. Dies gilt leider bis zum heutigen Tag.
Christian Schuler, München
Unkontrolliertes Eigenleben
Geheimdienste leben davon, dass möglichst alles, was sie tun, geheim bleibt. Damit sie alles tun können, ohne Rechenschaft ablegen zu müssen. Deshalb hassen Geheimdienste Transparenz, weswegen sie für mich ein, von vielen für notwendig gehaltener, giftiger Pfeil im Fleisch der Demokratie sind.
Zugegeben, die erläuterten Ereignisse waren am Anfang unserer ersten stabilen Demokratie. Wir mussten also noch "üben". Aber was erwartet man, wenn ein gewählter Bundeskanzler einen Offizier der "Abwehr" in einem Unrechtsregime zum Chef des Geheimdienstes einer Demokratie und einen bekennenden Nazi und Mitautor der Rassengesetze zum Staatssekretär im Bundeskanzleramt macht? Die beiden wussten, wie Unrecht geht. Und Adenauer konnte sich darauf verlassen, dass die USA, falls etwas über den großen Teich schwappen sollte, nichts gegen Leute haben könne, die "Kommunisten" jagen. Und "Kommunist" kann man in den USA schon sein, wenn man eine gesetzliche Krankenversicherung verlangt. In Deutschland waren nach Lesart des damaligen Kanzlers schon Sozialdemokraten sehr verdächtig. Und selbst in den 1980er-Jahren machten die Konservativen mit "Freiheit oder Sozialismus" Panik.
Allein die Tatsache, dass es 60 Jahre gedauert hat, bis diese unerhörten Vorgänge, die ich wohl eher in Staaten wie dem Orbán-Ungarn verorten würde, ans Licht kamen ... Es liegt daran, dass derartige Schweinereien unter die Geheimhaltungspflicht fallen und erst veröffentlicht werden dürfen, wenn sie den betroffenen Personen nicht mehr schaden können. Offiziell wird das damit begründet, dass bei Veröffentlichung der Staat gefährdet sei. Moderne Staaten wie die USA schützen die Täter, indem sie die "Petzer" mit drakonischen Strafen belegen. Und immer spielt das Phänomen "geheim" die Hauptrolle.
Natürlich wäre es verwegen zu behaupten, dass diese illegalen Machenschaften eine frühere SPD-Regierung verhindert haben. Das ist auch nicht der Punkt. Entscheidend ist, dass sich Konrad Adenauer an Leuten bedient hat, die ihr Handwerk in einem Unrechtsstaat gelernt und ausgeübt hatten, um sich seine Macht zu erhalten. Alles andere als demokratisches Verhalten. Für eine Strafe oder Entschuldigung ist es zu spät. Eigentlich müsste die CDU jetzt wissen, was in Sachen Aufarbeitung zu tun ist. Fraglich ist, ob sie überhaupt darüber nachdenkt.
Watergate hat zum Glück zum Ende etlicher politischer Karrieren geführt. Das "Rhöndorf-Gate" könnte zu einer Diskussion führen, wie man Geheimdienste dazu bringen kann, dass sie nicht weiter ein unkontrolliertes Eigenleben führen können. Aber diese Diskussion endet wohl wie immer: geht nicht, weil geheim. Die "Kontrollorgane" sind zwar da, aber die dürfen so gut wie nichts sagen. Ich denke, derartige Exzesse gibt es nur wenige. Trotzdem bleibt bei mir das ungute Gefühl, dass sich Regierungen auch in demokratischen Staaten solcher zwielichtiger Typen bedienen. So wird die Rolle der Geheimdienste in Fällen wie dem Oktoberfest-Attentat oder dem NSU ungeklärt bleiben oder wir müssen 60 Jahre Geduld haben.
Thomas Spiewok, Hanau
Wie reagiert die CDU nun?
Die CDU steht vor der für sie vielleicht bitteren Erkenntnis, dass ihre beiden Kanzler, die sie als besonders identitäts- und geschichtsprägend wertschätzt, die Verfassung brachen. Helmut Kohls Parteispenden und Konrad Adenauers Bespitzelung der SPD waren keine nebensächlichen Nachlässigkeiten im Eifer des politischen Alltagsgeschehens, sondern mit Vorsatz fortgesetzte Attacken auf unverzichtbare Grundbedingungen der Demokratie. Dazu gehört die ungestörte freie Willensbildung demokratischer Parteien, ebenso wie die Offenheit, wer mit viel Geld hinter ihnen steht. Die Machthaber in Staat und Regierung dürfen mit staatlichen Macht-, Repressions- und Kommunikationsmitteln demokratische Parteien weder fördern noch beeinträchtigen oder gar die Opposition geheimdienstlich ausforschen. Sie müssen den Parteien gegenüber neutral sein. Darüber gibt es keinen Streit.
Nach Kohls Verfassungsbruch konnte er nicht Ehrenvorsitzender der CDU bleiben. Friedrich Merz sagte damals im Deutschlandfunk: "Jeder von uns macht Fehler, aber fortgesetzte Verstöße gegen Gesetze, sogar einen fortgesetzten Verstoß gegen das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland hat eine völlig andere Dimension." Wie reagiert die CDU nun auf "die völlig andere Dimension" bei Adenauer? Wollen sie weiter aus dem nach ihm benannten Haus mit dem Namen des Verfassungsbrechers Politik machen, jederzeit die freiheitlich demokratische Grundordnung im Auge und Herzen? Soll die Parteistiftung, in deren Archiven die Beweise gegen Adenauer ruhen, weiterhin seinen Namen tragen? Und die vielen Straßen und Plätze in Deutschland: Wollen wir mit dem Namen Adenauer symbolisieren, dass es uns nichts ausmacht, wenn ein Bundeskanzler Macht über die Verfassung setzt?
Ralf Feldmann, Bochum
Richtiger Mann zur rechten Zeit
"Nichts war mir mein Leben lang so unsympathisch wie ein preußischer General" ist ähnlich der Saga, dass er, der ehemalige Kölner Oberbürgermeister und Vorsitzende des Preußischen Staatsrats die Vorhänge bei seinem Schlafwagenabteil im D-Zug von Köln nach Berlin zuzog, damit er die "asiatische Steppe" nicht sehen müsse. Bekannt ist, dass Konrad Adenauer nachts im Zug nach Berlin müde war und nicht "gedient" hatte. Preußische Generäle waren zu seiner Zeit in der Mehrheit "Protestanten" gewesen, und "Protestanten" waren für "strenge Katholiken" keine besonders gelittenen Partner, auch noch nach 1945; da verließ man sich lieber auf "praktizierende Katholiken" wie Hans Globke.
Konrad Adenauer war sicher kein "lupenreiner Demokrat". Nach dem Krieg war er aber der richtige Mann, zur rechten Zeit am richtigen Platz. Und: Die US-Amerikaner, so Dean Acheson, John F. Dulles und andere unterstützten ihn kontrolliert. Sonst wäre Deutschland nicht mehr "nach oben" gekommen, sondern "unten" geblieben, wie es Lord Hastings Ismay gehässig wünschte.
Reinfried Brunsch, Freising
Die Heiligen der Realpolitik
Selbstverständlich ist es wichtig, auch die dunklen Ecken des Adenauer'schen Regierungssystems auszuleuchten. Wir können daraus sehr viel lernen über die notwendige Kontrolle der Exekutive in unserer Demokratie. Aber wundert uns wirklich, was die Historiker zu Tage gefördert haben?
Es ist zwar verständlich, wenn die SPD nun fordert, die CDU möge den Adenauerkult sofort einstellen. Sie weiß aber auch, dass das nicht geschehen wird.
Den Heiligen der Realpolitik wurde noch immer verziehen, dass sie auch große Sünder waren.
Axel Lehmann, München